Ebenso wie die Album-Verpackungen und deren Design sich durch gewisse Extravaganz vom Üblichen unterscheiden, ist auch das Repertoire bei Winter & Winter aus München durch Querstand zu anderen Labels gekennzeichnet. Wesentlich für die erfolgreiche Marktpräsenz ist wohl die besondere Qualität der Musikproduktionen und das hohe Niveau der Künstler. Letztgenannte können sich unter der Rubrik „My Choice“ mit ihren Veröffentlichungen zum 25-jährigen Firmenjubiläum je monatlich wechselnd nach eigenem Gusto präsentieren.
Nach vielen Richtungen hat Noël Akchoté, Gitarrist und Komponist aus Paris, seine Stil-Fühler ausgestreckt. Musik ist für ihn sowohl klangästhetisch als auch für die Wahl seiner Sujets offenbar ein universales Medium der Artikulation. Während er Solo manchmal zwei Gitarren per Overdub aufnimmt und so sperrige Riffs, etwa bei „Street Woman“ von Ornette Coleman kombiniert, interpretiert er in politischer Intrige „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“, eine Nazi-Affirmation von Zarah Leander im krassen Kontrast zu „Melvins“ von Daniel Humair, komplexe Improvisationen über einem trivialen Rhythmus. Er sagt: „Ich glaube weder an Stile noch an Genres“, sodass seine individuellen Musik-Brechungen stets überraschend sind.
Ein weiterer Solitär der Winter & Winter-Expertise ist Guy Klucevsek, Akkordeon-Virtuose aus Pennsylvania (USA), der sein Metier zu klassischem Konzertniveau gebracht hat. In Eigenkompositionen verblüfft er durch knifflige Zwiefache, schnell alternierende Metren aus „The Heart of The Andes“, ähnlich raffinierte Balkan-Themen, Adaptionen der Klavier-Préludes von Dmitri Schostakowitsch und schrägem Tango.
Auf diesem Gebiet sind Andrés Linetzky, Pianist aus Buenos Aires, und sein Ensemble Vale Tango besonders profiliert. Abgesehen von tanzbaren Arrangements können seine Tangos Humoresken sein, wenn bestimmte Percussion-Effekte emotionalen Schwung geben oder Schlagermelodik milde karikiert wird. Auch ist bei zwei Live-Aufnahmen aus der legendären El Chino Bar dokumentiert, wie sich der Enthusiasmus der Musiker auf das Publikum überträgt. Darüber hinaus gehört zu seiner musikalischen Biographie europäischer Klezmer, allerdings auch mit einigen Gran Ironie verfeinert.
Über den Pianisten und Komponisten Fumio Yasuda aus Tokio ist zu lesen, dass er quasi idealtypisch die Philosophie von Winter & Winter verwirkliche, indem er wissenschaftlich gezogene Grenzen zwischen den Musiksparten ignoriere. Insofern verweist seine Auswahl auf ein sehr weit gefächertes Spektrum der Interessen und ihrer Beziehungen: Seine Fähigkeiten als Jazzpianist sind bei „Kakyoku“ solo zu erleben, kollektiv im Kontext von onomatopoetischem Gesang und Klarinetten-Stimme in einer „Rain Landscape“ oder am Prepared Piano für seine „Vexations“-Version nach Erik Satie, die Bassklarinettist Joachim Badenhorst frei ornamentiert. Orchestral hat er „Song of Lydia“ für einen intensiven Sopran-Cantus ausgestattet und bedrohlich dissonante Blöcke um den „ Last Choral“ seines Teodoro Anzellotti gewidmeten „Accordeon Concerto“ gelegt. Spiritualität scheint ihm Priorität zu sein. Dies gilt in gewisser Hinsicht auch für die Freitagsakademie, denn die von Katharina Suske, Oboistin aus Graz, gegründete und geleitete Formation konzentriert sich (auch multimedial) auf historisch informierte Aufführungen von Repertoire aus dem 17. bis frühen 19. Jahrhundert. Da hat die „Ouvertüre-Suite“ von Georg Philipp Telemann durchaus Barock-Muskeln, das „Brandenburgische Konzert Nr. 2“ von Johann Sebastian Bach verblüffendes Tempo und die „Sonate II g-Moll“ von Jan Dismas Zelenka scharfen Rückenwind für die solistischen Holzblasinstrumente.
Für die künstlerische Gestaltung der gesamten Reihe „My Choice“ wurde die japanische Designerin Ruri Hada engagiert. So bieten diese repräsentativen Portrait Pic(k)s, im Sinne von je individuellem Klangprofil und persönlicher Auswahl, beste Gelegenheiten, den komplexen Winter & Winter Sound-Kosmos in ganzer Ausdehnung kennen zu lernen.