Kassetten mit Chopin-Interpretationen Maurizio Pollinis haben ihn als Kind zum Klavier gebracht, später kam das Komponieren hinzu. Nun hat Sebastian Bund, der unter anderem Kammeropern und Ballettmusiken schreibt, AURIO gegründet. Über sein Konzept der „kuratierten Musikbibliothek der Inspirationen“ sprach Juan Martin Koch mit ihm.
neue musikzeitung: Wie kam es zur Idee für AURIO?
Sebastian Bund: Ich habe mich schon immer für das Musikverlegen interessiert; den Ausschlag gegeben hat schließlich eine Aufnahme mit einer Flötistin, für die wir nach unbekannterem, aber lohnenswertem Repertoire gesucht haben. Wir saßen nächtelang vor den Rechnern und fanden kein geeignetes Material. Mir wurde klar, dass es vielen unserer Kollegen so gehen muss: Wenn man über den Tellerrand des Standardrepertoires schauen will, und das trauen sich glücklicherweise mittlerweile immer mehr Musiker, fangen die Alltagsprobleme an: Da habe ich zum Beispiel ein tolles Stück auf YouTube gefunden, Noten gibt es aber vielleicht nur in schlechten Vorlagen auf der IMSLP. Dieses Problem lösen wir, indem wir von renommierten Solisten kuratierte, komplett spielfertige Ausgaben zu Verfügung stellen, als Schatzkästchen der Empfehlungen sozusagen.
nmz: Sie bieten diese Ausgaben im Abomodell an. Warum, und wie funktioniert das?
Bund: Mir ist wichtig, dass AURIO ein Convenience-Angebot ist. Die Kunden erhalten für 8,32 Euro (digital 4,16 Euro) monatlich Ausgaben für ihr Instrument direkt aufs Notenpult geliefert, wobei diese auch als Einzelausgaben für 29,95 Euro (digital 12,95 Euro) verfügbar sind. In jeder Ausgabe sind jeweils fünf bis sechs Stücke aus verschiedenen Epochen enthalten, die von unseren Verlagsexperten sowie – als Special Guest – einem Solisten empfohlen werden, nach dem Motto: Hier ist tolle Musik abseits des Mainstreams, die sich zu spielen lohnt.
nmz: Als Überraschungspaket?
Bund: Als Überraschung im besten, positiven Sinne. Deshalb erreicht unsere Kunden auch jede unserer Papierausgaben einzeln, liebevoll als Geschenk verpackt. In jeder Ausgabe gibt es zudem eine Vorschau auf die nächste. Enthalten sind neben dem Stimmenmaterial auch Audioaufnahmen zur Orientierung, die wir zum großen Teil eigens einspielen.
nmz: Für welche Instrumente bieten Sie die Ausgaben an, wer sind die Kuratoren?
Bund: Zum Start bieten wir Werke für Flöte, Klavier und Klarinette an, als nächstes folgen Violine, Violoncello und klassische Gitarre. Der erste Kurator für Klavier ist Michael Korstick, für Flöte konnten wir die Opus-Klassik-Preisträgerin Kathrin Christians gewinnen, für Klarinette Nicolai Pfeffer, für Cello Nicolas Altstaedt. Wichtig ist, dass die Kuratoren dann immer wieder wechseln, denn wenn Sie etwa fünf Pianisten nach Empfehlungen fragen, bekommen sie fünf verschiedene Antworten – und genau das ist wunderbar!
nmz: Die Kuratoren sind aber nicht für den Notentext verantwortlich, oder?
Bund: Nein, dafür haben wir Lektoren und Musikwissenschaftler. Insgesamt sind wir ein zwölfköpfiges Team, das AURIO auf die Beine stellt. Hier finden sich auch renommierte Namen der Musikszene; beispielsweise ist der langjährige Head of Global Sales der Edition Peters, Joachim Großpersky, begeisterter Vertriebsleiter im AURIO Musikverlag. Ein Büro, das auch für andere große Verlage arbeitet, ist für den Notensatz zuständig. In Kombination mit dem wunderschönen Partiturdesign des mehrfach preisgekrönten Gestaltungsbüros EDITIENNE sowie der hervorragenden Herstellungsqualität – unsere Printausgaben sind speziell fadengeheftet und bleiben aufgeschlagen absolut flach auf dem Notenpult liegen – haben wir ein Angebot entwickelt, das neben dem tollen Inhalt auch optisch und haptisch wirklich etwas hermacht und den Anforderungen der Musikerinnen und Musiker gerecht wird.
nmz: Was bieten Sie bei den digitalen Ausgaben an?
Bund: Wir wollten uns nicht an eine bestimmte App binden, sondern die Noten ganz leicht für alle nutzbar machen. Wir stellen die Daten als PDF zur Verfügung, wie sie in jeder gängigen Anwendung lesbar sind. Dazu gibt’s die Audioaufnahmen als mp3.
nmz: Können Sie schon konkrete Werke und Komponisten nennen?
Bund: Michael Korstick hat zum Beispiel Tschaikowskys Dumka empfohlen, in einem späteren Band finden sich auch mal Stücke wie Chopins „Boléro“ – das Stück kennt kein Mensch. Das sind natürlich bekannte Komponisten, aber die Werke finden sich trotzdem nicht auf Konzertprogrammen. Komponisten, deren Werke wir „ausgegraben“ haben, sind zum Beispiel Reynaldo Hahn, Baldassare Galuppi, Padre Antonio Soler oder der so jung verstorbene Guillaume Lekeu – alles Komponisten wunderbarer Musikstücke. Bei Flöte, Klarinette und Geige ist übrigens auch größer besetzte Kammermusik enthalten, der Anteil liegt bei etwa 30 Prozent Solo- und 70 Prozent Kammermusikliteratur, wobei natürlich der Pianist mehr Solomusik für sein Instrument in der Ausgabe findet als der Orchestermusiker.
nmz: Wie sieht es mit der zeitgenössischen Musik aus?
Bund: Die kuratierten AURIO-Ausgaben speisen sich hauptsächlich aus gemeinfreiem Repertoire. Wenn allerdings ein Kurator eine eigene Bearbeitung anbietet oder ein zeitgenössisches Stück empfiehlt, kommen wir natürlich an die Rechte. Für das reine zeitgenössische Programm planen wir eine eigene Jahresausgabe, das „Composer’s Special“; diese Idee wird sich im Laufe des kommenden Jahres konkretisieren.
nmz: Wen haben Sie als Zielgruppe im Auge, auch von den technischen Ansprüchen der Stücke her?
Bund: Wenn wir von Schwierigkeitsstufen von 1 (sehr leicht) bis 6 (sehr schwer) ausgehen, so bewegen wir uns im Bereich von 2 bis 5, wobei der Großteil unserer Noten bei 2 bis 4 liegt. Damit erreichen wir den ambitionierten Laien genauso wie den Profimusiker. Die Hauptzielgruppe neben den Liebhabermusikern sind die Instrumentallehrer, die gutes Material für ihren Unterricht suchen, aber auch selbst Kammermusik machen wollen und konzertieren.
nmz: Wann und wie fällt der Startschuss?
Bund: Ab dem 15. April 2020 ist unsere Webseite online, dann ist unser Angebot bestellbar – man kann sich die Editionen dann entweder per Post schicken lassen oder die digitalen Ausgaben downloaden.
nmz: Welches Ziel haben Sie sich bezüglich der angestrebten Abos gesetzt?
Bund: Da kann ich zum Glück gelassen abwarten, weil wir mit unserer Idee einen großen Investor gewinnen konnten. Wir planen in den nächsten drei bis fünf Jahren, einen hohen vierstelligen bis fünfstelligen Bereich zu erreichen. Das deckt sich durchaus mit den Ergebnissen unserer Marktforschungen. Ich bin überzeugt, dass wir mit AURIO ein wertvolles und wirkungsvolles Angebot entwickelt haben. Ein Angebot, das Musikerinnen und Musiker inspiriert, ihre Neugier herausfordert, ihre Spielfreude anregt und ihnen mühsame Recherchearbeit abnimmt.