Bei der jazzahead! Ende April spielt deutscher Jazz erstmalig eine doppelte Rolle – nicht nur mit den acht Konzerten der „German Jazz Expo“, sondern auch als Partnerland mit „Commissioned Works“, für die deutsche Musiker vier internationale Bandprojekte ins Leben riefen. Die in Bremen stattfindende Fachmesse hat sich von Anfang an für den deutschen Jazz stark gemacht. Sybille Kornitschky ist seit dem Start 2006 für die jazzahead! verantwortlich. Klaus von Seckendorff hat mit ihr über die nicht unproblematische Stellung des deutschen Jazz im europäischen Umfeld gesprochen.
Klaus von Seckendorff: Die jazzahead! hat sich zum weltweit wichtigsten Treffpunkt der Jazzbranche entwickelt. Deutsche Musiker waren seit 2012 mit acht Konzerten der „German Jazz Expo“ bei insgesamt 40 Showcases – davon 16 europäische und acht aus Übersee – am stärksten vertreten. Hatte der Bund einen entsprechenden Auftrag zur „Exportförderung“ erteilt?
Sybille Kornitschky: Wir sind zwar von Anfang an aus unterschiedlichen Töpfen vom Bund gefördert worden, weil wir uns diese Aufgabe gestellt hatten. Wir haben aber nie per Auftrag gehandelt. Eine Verstetigung der Förderung unter dem Label German Jazz Expo gab es ab dem Jahr 2012. Wir haben die jazzahead! von Anfang an sowohl national als auch europaweit gedacht. International gesehen steckt Deutschland dabei leider immer noch zu sehr in der Rolle des Gastgeberlandes.
von Seckendorff: Man hört kaum deutsche Bands auf französischen oder norwegischen Festivals: Die hiesige Szene wird im Ausland nach wie vor wenig wahrgenommen. Woran liegt das?
Kornitschky: Die Entscheidung, das Gastgeberland Deutschland für 2023 zugleich zum Partnerland zu machen, hat damit zu tun, dass es hier trotz großer Bemühungen bisher noch ganz viel Luft nach oben gibt. Ich sehe dafür mehrere Gründe. Zu einen haben wir im Unterschied zu fast allen anderen europäischen Ländern bisher kein Exportbüro im klassischen Sinne. Die Initiative Musik hat sich allerdings auf den Weg gemacht, ein solches Exportbüro einzurichten.
von Seckendorff: Vor allem der skandinavische Raum ist vorbildlich aufgestellt, oder?
Kornitschky: Oh ja, aber auch viele andere Länder wie Österreich oder Frankreich sind dabei erfolgreich. Italien holt gerade mächtig auf. Unterstützend gibt es unter dem Namen EMEE (EUROPEAN MUSIC EXPORTERS EXCHANGE) einen Zusammenschluss zum Verband der europäischen Exportbüros.
von Seckendorff: Warum tut sich Deutschland schwer?
Kornitschky: Da ist zum einen der Föderalismus. Wir haben eben nicht den zentralen nationalen Gedanken dahinter, und auch die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern funktioniert noch nicht so richtig. Aus meiner Sicht ist das aber zwingend notwendig für ein effektives nationales Exportbüro.
von Seckendorff: Und die Szene an sich, sieht es wenigstens da gut aus?
Kornitschky: An aus internationaler Sicht bemerkenswerten Musiker:innen fehlt es jedenfalls nicht. Das wird immer wieder deutlich, wenn Juroren, die sich ja endlos viele Bewerbungen für die Showcases anhören, anschließend ganz überrascht sagen: „Ich hätte nicht gedacht, dass ihr so viele tolle Leute habt. Richtig spannend und vielseitig. Wieso habe ich von denen noch nie etwas gehört?“ Die internationalen Jurymitglieder bekommen einen sehr kompakten Überblick und staunen häufig, was in den jeweils anderen Ländern an Jazz existiert. Bei der für deutsche Bewerbungen zuständigen Jury kommt dieses Staunen besonders häufig zur Sprache.
von Seckendorff: Bei einem Land mit 18 Hochschulen, die Jazzmusiker ausbilden, gibt es eben einen gewaltigen Output.
Kornitschky: Der auf eine begrenzte Zahl von Auftrittsmöglichkeiten trifft. Zugleich ist aber auch die internationale Konkurrenz in Deutschland besonders groß. Für Veranstalter ist es manchmal sogar finanziell günstiger, eine gut unterstützte Band aus Norwegen oder Frankreich zu buchen, als eine Band von München nach Hamburg zu bringen. Außerdem spielt immer noch das Imageproblem eine Rolle. Deutscher Jazz, das klingt erst mal nicht sexy. Er gilt als akademisch, als zu verkopft. Da mag früher mal was dran gewesen sein. Aber solche Klischees treffen schon lange nicht mehr zu. Peter Schulze und sein Nachfolger Götz Bühler haben bei einem Round-Table mit deutschen Musikern, die in New York leben und arbeiten, im Januar Charlotte Greve getroffen. Die schafft es als Musikerin aus Berlin, dort Clubs und Säle zu füllen mit allem, was sie so macht von Wood River bis zum Lisbeth Quartett. Sie entwickelt immer neue innovative Konzepte, mit denen sie weit rausgeht aus der Blase. Da fragt gar nicht erst jemand: Kommt die aus Deutschland?
von Seckendorff: Aber wenn eine hierzulande lebende Band eine Tour durch Großbritannien zustande kriegen will oder gar in den USA auftreten, stehen die Chancen bekanntlich gar nicht gut.
Kornitschky: Götz Bühler als neuer Artistic Adviser und ich werden insbesondere die Strategien in Richtung Übersee unter die Lupe nehmen müssen, denn Nordamerika hat da immer noch eine gewisse Einbahnstraßen-Mentalität. Die jazzahead! hat zwar schon einiges unternommen, aber die Bilanz sieht eher mager aus. Da sollte man nichts schönreden.
von Seckendorff: Was bringen die Übersee-Konzerte?
Kornitschky: Für das Publikum ist es natürlich spannend, eine Band aus Asien zu erleben oder aus Kuba. Wir haben jedoch nur 40 Showcase-Plätze, und 32 bleiben in Europa. Wir müssen uns also überlegen, wie man mit den restlichen acht strategisch sinnvoll umgeht. Soll man eine Band aus Südamerika für ein 45-Minuten-Konzert einfliegen? Oder braucht es doch mehr, um deren Wünschen gerecht zu werden? Wir werden uns diesen Fragen auch mit Blick auf ökologische Aspekte des Reisens stellen müssen.
von Seckendorff: Welche Erkenntnisse hat denn die komplett digitale jazzahead! im Jahr 2021 gebracht?
Kornitschky: Man kann ja als Teilnehmer*in an den drei Messetagen nicht alles umsetzen, was einem wichtig ist. Ideal wäre es also, wenn wir eine ganzjährige Plattform entwickeln könnten, über die man sich auch über die Messetage hinaus austauschen kann. Fantastisch wäre es, wenn wir darüber auch eine länderübergreifende Booking-Plattform für Touren anbieten könnten, um Bands mehr Spielmöglichkeiten zu verschaffen. Es bräuchte viel mehr Absprachen und Kooperationen, um zum Beispiel auch kleinere Veranstalter mehr ins Spiel zu bringen, aber auch, um auf internationaler Ebene besser abgestimmte Touren zu entwickeln. So sähe für mich eine gute hybride Zukunft aus, auf die wir zusteuern sollten. Für uns kann eine Online-Plattform dieser Art aber nur eine Ergänzung der persönlichen Begegnungen sein oder eine Möglichkeit, erstmalig bei der Messe reinzuschnuppern um Kontakt aufzunehmen, ohne deswegen gleich den ganz großen Aufschlag machen zu müssen.
Infos zu Registrierung oder Festivaltickets finden Sie auf jazzahead.de