Hauptrubrik
Banner Full-Size

Keine Antwort, nirgends

Untertitel
Die Popkomm 2004 präsentiert sich im Schlummerschlaf
Publikationsdatum
Body

Die Popkomm 2004 lässt sich mit einem völlig missratenem Jazzfestival vergleichen. Jede Menge Mainstream-Information ohne jeden geistigen Nährwert, dazu diverse substanzlose Hypes und einige wenige Avantgarde-Beiträge für den Kreis der Spezialisten. Bedeutende aktuelle Fragen wurden im offiziellen Forum nicht gestellt oder nicht beantwortet, die Stimmung blieb sichtlich gedämpft. Nur Veranstalter Dieter Gorny trug ein breites Grinsen zur Schau, als er mit den Besucherzahlen prahlte. Lächerlich! Ist Musik ein schwarz gekleideter Mann, der mit der Bierflasche des letzten verbliebenen Sponsors und einer Umhängetasche von O² vergeblich nach Ansprechpartnern sucht? Man möchte es fast glauben, man muss es aber nicht. Denn hinter den Kulissen tut sich endlich einiges. In der Stadt jedenfalls liefen die heißesten Diskurse, wie das Musikbusiness auf jeder Ebene neu zu organisieren sei.

Im Rahmen der Musikmesse liefen Diskurse über die Branchenzukunft hauptsächlich auf technischer Ebene und ohne Beteiligung des gemeinen Volkes ab. Im Konferenzraum Oslo erörterten beispielsweise sechs (schwarzgekleidete, na klar) Männer (logisch) die Umsatzpotentiale von Klingeltönen in unterschiedlichen Formaten für unterschiedliche Endgerätetypen und deren Auswirkungen auf die Bilanzen der Musikrechtverwerter. Normale Messebesucher durften diesen Panels nicht beiwohnen. Kurioses Ergebnis: Der Raum mit Platz für mehrere hundert Zuhörer füllte sich mit zwei Duzend Freunden und Bekannten der CEO’s, die bei altbekannten Botschaften wie „Ich glaube nicht an die Zukunft des Handys, die Zukunft heißt Mobile Device“ friedlich einschlummerten.

Kann es wirklich sein, dass eine Pop-Messe in Duzenden von Panels das Niveau eines Uni-Tutoriums unterschreitet? Es kann! In vielen Panels wurden keine Publikumsfragen zugelassen („keine Zeit“) oder keine gestellt, wie zum Beispiel bei der Diskussion „Music meets Fashion“. Zu diesem Forum mittags um 12 Uhr mitten auf dem Popkomm-Gelände erschien nicht ein einziger Musikmanager. Gleiches Bild beim Forum „Value Added Touring“: Mehrere im Tournee-Business erfolgreiche schwarzgekleidete Altachtundsechziger regen sich lautstark über die Kombination von Pink Floyd und Volkswagen auf, verlieren aber kein Wort über zeitgemäße Möglichkeiten für Bands und Manager, um Geld für Tourneen zu beschaffen.

Der Oberhype auf der Popkomm hieß natürlich Quote, der diesbezügliche Höhepunkt war ein Auftritt der Unionsvorsitzenden Angela Merkel. Ist das nicht die Partei, die mit dem Begriff „Überfremdung“ einmal das Unwort des Jahres formulierte? Jetzt also die deutsche Quote im Radio, die Marktbefürworter beschwören plötzlich den staatlichen Eingriff. Immerhin beweist Frau Merkels Wahlkampfmanager den richtigen Riecher, als er den vielen jobsuchenden Musikmanagern das einzige Büffet der Messe spendiert.

Da standen sie nun, die Popkomm-People, mit Schweinshaxe und Sauerkraut in der Hand: Lauter Menschen die etwas verkaufen wollen und keiner der es ihnen abnimmt.

Auch der ehemalige Deutschlandchef von Universal, Tim Renner, beschäftigt sich medienwirksam mit heimischen Musikprodukten, allerdings wesentlich fachmännischer. Die persönliche Niederlage, die sein Abgang bei Universal darstellt, wird von Renner offensiv vermarktet und zur Promotion seiner neuen alten Marke Motor Music eingesetzt. Das Buch „Kinder der Tod ist gar nicht so schlimm“ hat der Verlag (Campus) rot (nicht schwarz!) und mit einem Stich Magenta (die achte Farbe des Spektrums besitzt die höchsten und schnellsten Schwingungen) eingefärbt. Er spricht über Musikmanagement als Herausforderung und die darin enthaltenen Thesen kursierten als Gegenreaktion zur Popkomm lebendig in der Stadt. Das halbleere „Labelcamp“ auf der Popkomm konnte diesbezüglich nicht mithalten. Der absolute Großteil der deutschen Labelszene verzichtete von vorne rein auf eine eigene Popkomm-Präsenz.

So hatte der Pflichtbesuch der Popkomm-Nacht von Jazzpartners und Jazzthing im Quasimodo doch noch sein Gutes. Zwar waren die Bands für Berliner Verhältnisse allzu bekannt und füllten den Club nur zur Hälfte, dafür entwickelte sich jedoch eine ganz außergewöhnliche Stimmung. Auslöser für die Euphorie war das Duett von Joachim und Rolf Kühn, auch nicht gerade ein zukunftsorientiertes Projekt, wenn man Alter und Spielweise betrachtet. Aber: Das Zusammenspiel war so menschlich und beinhaltet eine solch wohltuende Balance zwischen Geben und Nehmen, dass für einen kurzen Moment die ursprüngliche Bedeutung von Musik wieder präsent wurde. Die Energie und die Symbiose zwischen Produzenten und Fans war regelrecht greifbar. Und das, obwohl von Männern in schwarzen Anzügen vorgetragen!

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!