Dass der Bereich der sogenannten klassischen Musik in den aktuellen Streamingdiensten nicht besonders gut abgebildet ist, ist keine Neuigkeit, ob die Dienste Spotify, Apple Music, Grooveshark oder Ampya heißen. Man findet da vieles, aber nichts wirklich gut. Im Repertoire von 30 Millionen Titeln geht so manches unter. Nicht vorteilhaft von Beginn an ist auch die Verschlagwortung klassischer Musikeinspielungen in diesen Diensten. Die sind regelmäßig nach Künstler und Song sortiert, was bei Klassischer Musik nicht so häufig hilfreich ist. Mit IDAGIO soll das anders sein.
Zunächst startet das Unternehmen allein mit einer sogenannten APP für iOS-Geräte (wie sie von Apple hergestellt werden). Die APP ist schnell installiert und eine Registrierung ist nötig. Die grobe Sortierung nach Komponist, Interpret, Instrument und Epoche ist so einfach wie sinnvoll. Im Zweifel, und wenn man mehr über die gewünschte Musikrichtung weiß, kommt man per Suchfunktion schnell zum Ziel. Die Oberfläche ist englischsprachig. Das zeigt sich dann auch in der Ausgabe der Titelnamen. Ein altes andauerndes Problem übrigens, das die Nutzer von Jazz und Pop/Rock so nicht kennen: Da sind Künstler und Werk einigermaßen eindeutig. Aber schon zwischen Sinfonie und Symphonie beziehungsweise Symphony gibt es ordentlich Differenzen, die man aber in den Griff bekommen kann. Freilich wird es dann schwierig, wenn dabei die Gattungen durcheinanderwirbeln. Sinfonien bei Bach für Klavier sind ja was anderes als solche bei Brahms. Man kommt schnell dorthin, wohin man will.
Werke und Interpreten
IDAGIO bietet keine Hintergrund-Infos zum Werk, dafür aber einige schon eingepflegte Werke in verschiedenen Interpretationen. Das ist gut. Schlecht ist es, dass man zu den Aufnahmen aber auch nicht so viel oder zumindest Ungenaues erfährt. So wird eine Einspielung der 2. Sinfonie von Johannes Brahms unter Hermann Abendroth mit dem MDR-Sinfonieorchester angeboten. Abendroth starb aber bereits in den 50er Jahren, und da gab es doch noch gar keinen MDR! Also: Aufnahmedatum und richtiger Orchestername (hier: Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig) wäre nicht schlecht, insbesondere, wenn es sich um gleiche Interpreten handelt, aber Aufnahmen aus unterschiedlichen Zeiten. Problematisch ist ferner, dass der Player mitunter die Auswahl des letzten Interpreten verdeckt. Ganz konsistent ist das alles noch nicht! Werke, die man durch die Auswahl über Interpreten erhält, sind nicht zwingend rekursiv gelistet, also als Interpretation unter den Werken selbst (siehe Abendroth).
Stimmung
Man kann sich bei IDAGIO aber auch komplett (ver-)leiten lassen und wählt eine Stimmung (Mood) aus, dann sucht die APP die dazu mehr oder weniger passende Musik von selbst aus. Nervös zum Beispiel. Es gibt natürlich Menschen, die auf diese Weise hören. Und das führt zu einer Besonderheit.
IDAGIO sagt, die Aufnahmen seien nicht einfach Übernahmen aus dem Weltrepertoire, sondern durch die Entwickler und Mitarbeiter kuratiert. Und so wird man nicht durch Algorithmen, sondern durch Sortierungen und Auswahlen von Mitarbeitern bei IDAGIO geleitet. Das ist zwiespältig, weil natürlich Menschen ihren eigenen Geschmack haben und die Auswahl insofern immer nach deren Einordung abgestimmt wird. Ob es passt oder nicht: Fragezeichen.
Repertoire
Das betrifft auch den Kern des Vorhabens. Die Musik! Noch ist nicht bekannt, wie umfangreich der Musikkatalog ist und unbekannt ist auch die technische Qualität der anhörbaren Musik (also welche Kompressionsverfahren verwendet werden). In der Epochenauswahl „20. Jahrhundert“ gibt es, fast möchte man sagen „natürlich“, extreme Lücken. Das klassische Repertoire ist dazu naturgemäß so riesig, dass man sich fragen mag, wieviel Promille hier abgebildet werden können. Denn, will man einen Dienst, der nur geringes Repertoire führt, wirklich? IDAGIO hat in einer Pressemitteilung folgende Interpreten genannt, die Hörer anziehen sollen: „Vladimir Ashkenazy, Sir Andrew Davis, Christoph von Dohnányi, Nikolaus Harnoncourt, Lorin Maazel, Sir Charles Mackerras, Georges Prêtre, Franz Welser-Möst, Thomas Hampson und Ray Chen“.
Aussicht
IDAGIO ist offensichtlich noch nicht ganz fertig. Der Premium-Dienst soll 2016 starten. Was der dann kostet, steht bisher nicht fest, aber was er mehr können soll als der „Free-Account“ (Download der Musik zum Beispiel). Anzunehmen ist auch, dass es dann Apps für Android (und Windows – bei Windows 10 sollen ja alle Geräte unter einer Plattform laufen) geben wird, ebenso wie eine Webanwendung – von einer Desktopanwendung steht da erstmal noch nichts. Das ist auch zwingend nötig, will man nicht auf potentielle Kunden verzichten. Momentan fordert IDAGIO dazu auf, dass Künstler sich dafür bewerben, ihre Aufnahmen in diesem System einzuspeisen. Und IDAGIO verspricht ihnen faire Beteiligungen. Wie die genau aussehen, ist noch nicht bekannt.
An sich ist die Idee zu IDAGIO gar nicht schlecht. IDAGIO darf man ein gutes Gelingen wünschen, denn der Bereich der klassischen Musik hat so eine Plattform, die den besonderen Wünschen ihrer Hörer entgegenkommt, nötig. Die alten Download-Plattformen und Streaming-Dienste versagen in dieser Hinsicht eklatant.
Eleonore Büning hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Dienst bereits als revolutionär bezeichnet. Etwas zurückhaltender äußert sich das Van-Magazin. Sie fragen: „Vertrauen Kenner- und Liebhaber/innen nicht eher ihrer Plattensammlung? (…) Gründet sich eine Community, die man anvisiert, tatsächlich so offiziell, konzeptverliebt? Ist dafür die Idee vielleicht zu wenig simpel? Kommen genügend Partner? Vielen wird es (trotz guter Audioqualität, Offline- und Downloadfunktionen) vielleicht nicht reichen, auf ewig Beethovens Dritte in den Einspielungen von Böhm, Karajan und Knappertsbusch zu vergleichen. Die Fans haben sie vielleicht schon auf Platte und wollen was anderes hören, die anderen merken, dass es auf Spotify schon viel mehr gibt.“
Und nicht vergessen sollte dabei werden, dass gerade im Klassikbereich zudem weitere Anbieter mit anderen Mitteln am Start sind. Ob es sich um die digitalen Konzertsäle, um Rundfunkarchive, die sich mehr oder weniger deutlich öffnen, oder auch um die Naxos Music Library, die seit einigen Jahren ihre Dienste anbietet. Spotify, ja auch selbst YouTube, mögen anderen genügen. Das „hier gibt es alles“ ist im umfangreichen Katalog der Klassik einfach sehr schwer herzustellen.