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Klingende Anlageformen in Zeiten von Niedrigzins

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Die Stradivari aus dem Netz: Wie Auktionshäuser die Möglichkeiten des Internets für sich nützen
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Ein kostbares altes Streichinstrument im Internet verticken? Etwa ohne Hammer und weiße Handschuhe? Sakrileg, mögen Traditionalisten schreien, so etwas gehört doch in die Tempel von Sotheby’s oder Christie’s! Doch ein junger Amerikaner dachte sich: warum eigentlich nicht? Und gründete nach dem Muster von Ebay das Auktionsportal Tarisio. Das war 1999. Heute gebietet Jason Price über Standorte in London und New York. Sein bislang größter Coup: 2011 versteigerte Tarisio die Stradivari „Lady Blunt“ von 1721 für die Nippon Foundation, die den Erlös den Opfern der Katastrophe von Fukushima zuwenden wollte. Für knapp 16 Millionen Dollar wechselte die Geige den Eigentümer.

Dass ein relativer Newcomer einen Rekordpreis erzielt, macht es augenfällig: Auch an einem so alt­ehrwürdigen Handelssegment geht die digitale Revolution nicht spurlos vorbei. Wie aber steht es im übrigen um Streichinstrumente als Wertanlage? Um das zu ergründen, bringt es wenig, auf die spektakulären Fälle zu starren. Zu irrational verhalten sich die Preise für Geigen, Bratschen, Celli von Stradivari, Guarneri und ähnlich berühmten Cremoneser Kollegen. Je nachdem, welcher findige Händler im üblichen Doppelblindspiel zwischen Anbietern und Interessenten die Fäden zieht, kann sich ein ohnehin siebenstelliger Preis über Nacht verdreifachen.

Aber dann ist immer noch die Frage, ob ihn jemand bezahlt. Für die Stradivari-Bratsche „Macdonald“, erbaut 1719, die einst Peter Schidlof vom Amadeus Quartet spielte, rief das Auktionshaus Sotheby’s 2014 sogar 45 Millionen Dollar auf – und niemand schlug zu.

„Bei Preisen, die weit jenseits der Herstellungskosten liegen, ist immer ein spekulatives Moment dabei“, sagt Hieronymus Köstler. „Es gibt Veränderungen, die mit der Qualität der Ins­trumente nichts zu tun haben. Vor 100 Jahren war eine Gabrieli genausoviel wert wie eine Widhalm. Heute kostet sie zehnmal soviel, einfach weil italienische Geigen einen anderen Nimbus haben als deutsche.“ Der Stuttgarter ist einer von ganz wenigen Gutachtern in Deutschland, deren Expertise allgemein als vertrauenswürdig gilt.

Köstler, von Haus aus Geigenbauer, ist in dreieinhalb Jahrzehnten in sein Metier hineingewachsen. „Inzwischen stehe ich nur noch mit Spiegelchen, Lampen und Vergrößerungsglas an der Werkbank“, scherzt er, und das Bedauern darüber, dass er nicht mehr dazu kommt, selbst zu restaurieren oder zu bauen, ist deutlich zu hören. „Eine gute Konzertgeige hat schon immer ähnlich viel gekostet wie ein Einfamilienhaus. Natürlich werden Geigen teurer, aber wenn jemand etwas kauft und zehn Jahre hat, dann will er dafür auch wieder mehr haben. Bilder werden ja auch teurer.“ Andere Anlageformen weisen zwar im langjährigen Mittel höhere Renditen auf: Gewerbeimmobilien steigen um durchschnittlich 4 bis 5 Prozent pro Jahr, Aktien sogar um 8 Prozent. Allerdings weisen diese Entwicklungen starke Schwankungen auf. Im Unterschied dazu verläuft die Wert­entwicklung von Streichinstrumenten kontinuierlich ohne Einbrüche, und zwar nicht nur für die alten Italiener. Auch neu gebaute Violinen steigen im Wert, wie der so genannten „Fuchs-Taxe“ zu entnehmen ist, dem Anfang des 20. Jahrhunderts von Albert Fuchs begründeten Nachschlagewerk „Taxe der Streichins­trumente“. Es verzeichnet die Preisspannen von Instrumenten namhafter Geigenbauer und erlaubt so eine gewisse Messbarkeit im Handel mit lauter Unikaten.

Von einem Boom würde Tim Ingles vom Londoner Auktionshaus Ingles & Hayday trotz der stabilen Marktlage nicht sprechen. „Es gibt kaum verlässliche Zahlen, aber als Faustregel würde ich sagen: Gute Instrumente verdoppeln ihren Wert in zehn Jahren, außergewöhnliche Instrumente können mehr erreichen.“ Ingles ist optimistisch, dass das so bleibt: „So oft wird der Niedergang der klassischen Musik beschworen. Ich sehe nur, dass sie an Attraktivität gewinnt. Die Londoner Proms sind normalerweise sofort ausverkauft, und die Halle hat 5.000 Plätze! Und denken Sie an China. Allein dort sollen 10 Millionen Menschen Geige lernen. Viele von ihnen werden gute Instrumente brauchen.“

Spezialisierung gefragt

2012 hat Sotheby’s seine Abteilung für Streichinstrumente an Ingles & Hayday ausgegliedert. Christie’s schloss seine wenig später. Einen Zusammenhang zwischen dieser Entwicklung und dem Aufkommen von Tarisio sieht Ing­les aber nicht. „Das hatte rein strukturelle Gründe“, sagt er. „Sotheby’s hat die Ausgliederung kleinerer Abteilungen über mehrere Jahre hinweg betrieben. Das Haupthaus konzentriert sich jetzt auf Kunst und Schmuck.“ Für den Geigenhandel bietet sich eine Spezialisierung besonders an. Kostbare Streichinstrumente kann man nicht mal eben kaufen und wieder abstoßen wie Goldbarren oder Wertpapiere. Es ist kein Zufall, dass sie nicht zum gängigen Portfolio von Banken gehören. Selbst Anlage­institute, die Kunstexperten beschäftigen, winken ab. Die Anlageform ist längst nicht für jeden Investoren geeignet. Zum einen verschlingen Transaktionen erhebliche Mittel. So schlagen die Auktionshäuser Prämien in der Größenordnung von 15 bis 20 Prozent auf den Zuschlagspreis auf, die der Käufer zusätzlich entrichten muss; auch vom Verkäufer wird eine Provision erhoben. Dazu kommen Steuern, unabhängige Berater sind unerlässlich, Gutachten kosten Geld, Reise- und Transportkosten fallen an – und wer das Instrument schließlich sein eigen nennt, sollte es angemessen versichern.

Zum anderen ist der Gewinn nicht auf Abruf zu realisieren. Die Entscheidung für ein Instrument ist meist sehr persönlich, entsprechend lang dauert oft die Suche. Um zu beurteilen, ob und zu welchem Preis sich ein Instrument als Investitionsobjekt lohnt, braucht es nicht nur Experten wie Hieronymus Köstler, es braucht auch Vertrauen. Ein rares Gut in einer Branche, die immer wieder mit spektakulären Betrugsfällen von sich reden macht. 2012 wurde der Wiener Geigenhändler Dietmar Machold, bis dahin einer der ganz Großen der Branche, zu sechs Jahren Haft verurteilt. Jahrelang hatte er ein Karussell von vielen Millionen Euro unterhalten und reihenweise Stradivaris unter die Leute gebracht, an denen nur die Preise original waren. Die Sache mit dem Wert ist bei Streichinstrumenten besonders heikel, weil er auf kaum messbaren Faktoren beruht. Vier Indikatoren zählt Tim Ingles auf: Wer hat das Instrument gebaut, wie klingt es, wer hat es gespielt, in welchem Zustand ist es? Jede dieser Fragen birgt Fußangeln. So hat der Hamburger Geigenbauer Andreas Hampel einmal CT-Scans einer berühmten italienischen Bratsche angeschaut. „Auf den Bildern konnte man in allen Holzteilen Wurmfraßspuren erkennen. Ein Drittel der Decke war neu angefertigt worden. Die Decke muss so durchlöchert gewesen sein, dass der Restaurator neues Holz einsetzen musste. Danach wurde das Instrument akribisch retuschiert und jeder Jahresring nachgemalt, sodass die Reparatur auf den beiliegenden Fotos nicht sichtbar war“, erzählt Hampel. „Wichtig ist bei solchen Arbeiten, dass sie in einem Zustandsbericht dokumentiert werden und bei einem Verkauf offen darüber geredet wird. Denn das Instrument ist natürlich nicht mehr 100 Prozent original und nicht mehr in tadellosem Zustand.“ 

Ausprobieren bleibt ein Muss

Ganz zu schweigen von dem, was die Entscheidung für eine Geige endgültig in den Bereich des Hoffens, Glaubens und Empfindens verweist: vom Klang. Subjektiver geht es nicht. Luftfeuchtigkeit, Raumakustik, Hörgewohnheiten, Hörerwartungen, Spieltechnik, die psychische und physische Verfassung des Spielers, all diese und viele andere Faktoren bestimmen den Eindruck mit. Sachlich überprüfbar ist es kaum, wie jemand einen Klang erlebt. Und doch von einzigartiger Bedeutung. „Vielen Musikern ist das Instrument fast wichtiger als der Lebenspartner!“, ist Hieronymus Köstlers Erfahrung. An der Zwangsscheidung von Frank-Peter Zimmermann und der Stradivari „Lady Inchiquin“ nahm die gesamte Musikwelt Anteil. Seit Juli haben sie sich wieder, das Land Nordrhein-Westfalen hatte ein Einsehen.

An anderen Faktoren lässt sich drehen. Eine Geige verkauft sich nicht zum aufgerufenen Preis? In der Branche bedeutet das, der Markt dafür ist „verbrannt“. Da hilft nur Abwarten. Der Eigentümer kann den Wert zu steigern versuchen, indem er das Instrument einem möglichst berühmten Solisten überlässt oder es etwa für eine Leihperiode bei der Deutschen Stiftung Musikleben eingibt. Ein hochbegabter Spieler hat ein hervorragendes Instrument, der Eigentümer profitiert vom Renommee – eine klassische Win-win-Situation.

Wo exorbitante Summen fließen, blühen auch die Ideen, wie man von dem Segen etwas abschöpfen könnte. Etwa die des Vermittlers, der anbietet, Inves­toren und Solisten zusammenzubringen. Natürlich gegen Provision. Oder des Händlers, der Investoren zu Konsortien zusammenschließen will. Oder gleich einen ganzen Instrumentenfonds auflegen. Was von solchen Modellen zu halten ist, dazu will sich niemand namentlich äußern. „So ein Fonds ist wunderbar, um die eigenen Ladenhüter zu parken“, schimpft ein Beobachter hinter vorgehaltener Hand – das kennt man ja von normalen Wertpapierfonds.

Nur – welche Geige wirklich ein Ladenhüter ist und warum, wer will das beurteilen, wenn die Kriterien für den Wert so wenig messbar sind? Hieronymus Köstler findet nicht, dass der Markt transparenter geworden ist, schon gar nicht durch das Internet. Im Gegenteil. „Es ist eine gewisse Anonymität entstanden“, sagt er. „In klassischen Auktionen sitzt man mit den anderen Bietern in einem Raum. Da sieht man, wofür sich die anderen interessieren, man bekommt einfach mehr mit.“ 

So grundlegend unterscheidet sich das Procedere von Tarisio gar nicht mehr von denen der angestammten Auktionshäuser. Auch bei Ingles & Hayday kann man inzwischen online bieten, telefonisch und schriftlich konnte man das schon immer. Und wie das die Kollegen auch machen, tourt Tarisio mehrmals im Jahr und stellt die Instrumente an verschiedenen Orten aus, damit Kaufinteressenten die Instrumente sehen, anfassen und ausprobieren können. Ganz analog. Anders geht das Geschäft eben nicht.

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