Kultur kostet Geld. Kultur bringt auch Geld ein, meistens jedoch nicht auf direktem Weg und nicht zeitlich unmittelbar. Der Staat ist zur Kulturpflege und Kulturförderung verpflichtet, überlässt aber wegen der andauernden Flaute in den Haushaltskassen gerne privaten Spendern manche Aufgaben der Kulturarbeit. Gemeinnützige Tätigkeit auf diesem Gebiet genießt hohes Ansehen. Die in den letzten Jahren rapide wachsende Anzahl von Mäzenen und Stiftungen versorgen den Kulturbetrieb mit mehr als 500 Millionen Euro. Entweder als Corporate Citizen (im Sinne von Bürgerpflicht) oder in Modellen der Public Private Partnership (Öffentlich-Private Partnerschaft), eine Form zeitlich begrenzter oder projektbezogener Zusammenarbeit etwa von Firmen oder Kommunen. Wilhelm Simson, Vorstandsvorsitzender der E.ON AG, erläutert in einem Exklusivinterview die Aktivitäten des größten privaten Energiekonzerns Europas im Bereich Kultursponsoring. Das Interview führte Hans-Dieter Grünefeld.
: Sehen Sie sich als Mäzen?
Wilhelm Simson: Ich sehe mich sehr gern als Mäzen. Für mich ist der Grundgedanke privatwirtschaftlicher Kulturförderung der eines Mäzenatentums. Und ich glaube, dass über das Mäzenatentum etwas zurückkommt, sei es allgemein als positive Resonanz oder als Aufwertung des Firmenimages, auch wenn direkte Werbung nicht beabsichtigt ist. Also, wenn ich mich heute auf die Bühne stelle und für die Freunde und Förderer der Düsseldorfer Robert Schumann Hochschule (RSH) bettele und sage, ich bedanke mich auch bei E.ON, weil das Unternehmen den Saal bezahlt hat, dann ist das meines Erachtens angemessen. E.ON stellt allerdings keine Anforderungen an die Musikhochschule, was ins Programm zu nehmen ist und was gesagt werden soll. Wir geben der RSH für ihre Konzerte, für bedürftige Studenten und für eine Stiftungsprofessur um die 150.000 Euro, ohne eine einzige Auflage. Das verstehen einige Leute nicht, aber ich meine, ohne dieses Mäzenatentum würden wir in Deutschland verarmen. Dies liegt auch daran, dass der Staat sich aus all diesen Engagements immer mehr zurückzieht, die wir aber dringend brauchen.
: Die Firma E.ON begründet ihr Engagement mit dem Fördermodell Corporate Citizen. Können Sie das bitte erläutern?
: Corporate Citizenship ist zum neuen Schlagwort geworden und bedeutet, dass eine Firma über ihren eigentlichen Unternehmenszweck hinaus aktiv ist. Der Zweck jeder Firma ist, Gewinne zu erzielen. Das klingt zwar kühl, aber es ist so. Denen, die uns ihr Geld anvertrauen, nämlich den Anteilseignern, müssen wir auch etwas zurückgeben. Das ist das Eine.
Darüber hinaus „lebt“ unser Unternehmen in und mit einer Umwelt, und steht mit ihr in vielfältigen Beziehungen. Diese Unternehmensumwelt ist ja auch Grundlage unseres Geschäfts. Ohne die Menschen und die Tatsache, dass diese Strom verbrauchen, könnten wir unser Geschäft nicht betreiben. In Düsseldorf, der Stadt unserer Konzernzentrale, kümmern wir uns, gleich nebenan, um das Kunstmuseum. Wir sponsern Ausstellungen. Und wir unterstützen musikalische Aktivitäten.
: Ist es so etwas wie Bürgersinn?
: Dieses Engagement ist letztendlich für die Bürger (die Citizen). Ich halte das für eine ganz wichtige Aufgabe. Allerdings soll und darf dieses Engagement, da bin ich ganz kritisch, die Aktivitäten des Staates langfristig nicht ersetzen. Wenn der Staat meint, die Industrie soll Kulturförderung übernehmen, sage ich ganz klar: Dafür sind wir nicht da. Wir zahlen ja schließlich auch Steuergelder, die zum Teil für kulturelle Aufgaben verwendet werden. Diese Haltung schließt allerdings nicht aus, dass man in dem unmittelbaren Umfeld, in dem man lebt und arbeitet, etwas macht. Deshalb konzentrieren wir uns vor Ort, in Düsseldorf, auf Einrichtungen wie die RSH und das Kunstmuseum.
: Bemerkenswert ist, dass dieses Museum einen internationalen Rang hat. Der Standort Düsseldorf ist für E.ON offenbar auch zugleich ein internationaler Standort, nicht nur regional bezogen.
: Das ist richtig. E.ON ist eine internationale Firma, und dann ist der Anspruch, dass das, was wir sponsern, international ist auch richtig. An der Musikhochschule sind 30 bis 40 Prozent ausländische Studenten. Wenn, zum Beispiel, ein Koreaner, der hier mit Unterstützung von E.ON Musik studiert hat, zurück in sein Land geht, und positiv über E.ON und Düsseldorf spricht, dann ist er ein „Sympathieträger“ für den Bund wie auch für Bundesland und Industriestandort NRW. Bedenkt man, wie wichtig der Export für unser Land ist, dann ist das mit das Beste, was man erreichen kann.
: Es ist also ein kosmopolitischer Gedanke?
: Selbstverständlich! Mich beunruhigt die Gefahr, dass Kunst immer mehr in die Isolierung einiger elitärer Zirkel gerät. Pop- und Rockmusik ist auch Kunst. Damit habe ich keine Probleme. Wichtig ist, dass sich junge Leute für Kunst und Musik interessieren. Deshalb sollte man beispielsweise Konzertabos für die Matinées der Musikhochschule in Düsseldorf an junge Leute verschenken. Junge Leute sollen auf der Bühne junge Künstler sehen, die sich ihre Tätigkeit zur Lebensaufgabe gemacht haben. Das wird von jungen Menschen oft ernster genommen, als wenn dort ein etablierter Pianist oder Geiger auftritt. Der hat’s bereits geschafft, aber die jungen Künstler haben noch einen schweren Weg vor sich. Es müssen also wieder Verbindungen der gleichen Generation entstehen.
Um das Interesse an Kunst breiter zu fächern, halte ich erschwingliche Eintritts- und Katalogpreise bei Ausstellungen für notwendig. Ausstellungen und Konzerte sollten von möglichst vielen Menschen besucht werden können. Dann ist Sponsoring sinnvoll.
: Was bekommt E.ON zurück?
: E.ON bekommt am Standort Düsseldorf viel zurück. Ein Effekt ist vor allem, dass viele Düsseldorfer in die Konzerte gehen und bewusst junge Künstler unterstützen. Da kommt was ganz anderes herüber, als wenn da einer sitzt, von dem Sie eine Top-Leistung erwarten. Wenn ein Top-Künstler kommt, erwartet jeder viel, aber von den jungen Leuten ist man noch begeistert. Und diese Begeisterung tragen die Besucher auch raus und sagen: „Da macht die E.ON etwas Tolles!“ Einige werden sich wundern, weil sie so etwas von einer „trockenen“ Firma wie E.ON nicht erwartet haben. Und vielleicht erreichen wir gerade die Leute, die uns bisher anders und eben nicht so vielseitig gesehen haben. Solche Wirkungen kann man nicht messen, nicht in Zahlen ausdrücken, aber sie sind wichtig. Ganz unabhängig davon hat eine Firma wie E.ON auch von ihrer Größe her eine gewisse Verantwortung.
: Woher leiten Sie die Verantwortung ab?
: Die Verantwortung leite ich daher ab, dass wir eine erfolgreiche Firma sind und gute Geschäfte machen. Unser Erfolg beruht allerdings auch auf einem Quäntchen Glück. Und vielleicht kann man das Glück, das eine gute Firma auch haben muss, dadurch anlocken, indem man, wenn auch auf einem anderen Gebiet, anderen etwas Glück bringt. Ich glaube, da gibt es einen Zusammenhang.
: Ist damit Imagepflege gemeint?
: Das Image kommt ganz automatisch. Man muss seine Verantwortung erkennen: Wir müssen auch mal den Mut haben, etwas zu machen, das nicht kalkulierbar ist.
: Haben Sie eine Vision für die Zukunft?
: Meine Vision ist, dass man lernen muss, neben dem rein Geschäftlichen den Menschen nicht nur unsere Kultur zu erhalten, sondern auch das, was uns Menschen zu Kulturmenschen macht. Menschen müssen die Möglichkeit haben, ins Theater, ins Konzert, in eine Ausstellung zu gehen. So kann man sie auch animieren, die Kultur schätzen zu lernen und auch selbst etwas zu machen. Kunst fördert die Kreativität.
Wir in Deutschland haben nicht viele Ressourcen. Unsere wichtigste ist unser Gehirn. Kreativität ist unsere Stärke! Kreativität wird durch Kultur gefördert. Und deswegen hat das Land die Verantwortung, ein breit gefächertes Kulturangebot aufrecht zu erhalten, und die Firmen haben auch die Verantwortung und natürlich ein gewisses Eigeninteresse, das zu fördern.