„Die Peters Edition Ltd. London, die C.F. Peters Corporation New York, der C.F. Peters Musikverlag Frankfurt/Main und die Leipziger Firmen der Edition Peters haben sich zur Edition Peters Group zusammengeschlossen. Eigentümer der neuen Gruppe werden die Hinrichsen Foundation und Martha und Henry Hinrichsen.“ Vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte des Traditionsverlags – Arisierung im Dritten Reich, Aufteilung auf vier Firmen in beiden deutschen Staaten sowie Großbritannien und den USA, dann Abwicklung des Leipziger Hauses nach der Wende – sorgte diese Meldung im August 2010 für Aufsehen und markierte den Beginn einer wichtigen Neuausrichtung des Verlags, dessen verlegerisches Know-how seit dem Ende des 2. Weltkrieges in verschiedenen Unternehmen weltweit verteilt war. Zum 1. September 2011 ging nun die Leihbibliothek nach Leipzig, die Verlagsauslieferung wurde ausgelagert und von Music Distribution Services (MDS), einer Tochterfirma von Schott Music, übernommen, und das Verlagshaus zog zusätzlich noch innerhalb Frankfurts um. Genug Anlässe für die neue musikzeitung, mit Hermann Eckel zu sprechen, seit August 2010 Managing Director der deutschen Niederlassung der Edition Peters Group.
neue musikzeitung: Peters geht wieder nach Leipzig. Warum?
Hermann Eckel: Leipzig war und ist das „geistige Zentrum“ des Peters-Verlages, und es war der ausdrückliche Wunsch der Eigentümer, der Erben Henri Hinrichsens, dass das alte Leipziger Stammhaus wiederbelebt und über kurz oder lang auch formal wieder zum Zentrum der gesamten Gruppe werden würde. Das Interesse der Mitarbeiter hier vor Ort war und ist dagegen, in Frankfurt zu bleiben. Als ich im August 2010 anfing, analysierten wir die Lage, fragten uns, was das Beste für die Firma sei und versuchten, die unterschiedlichen Interessenlagen unter einen Hut zu bringen. Wir gaben die Auslieferung an MDS in Mainz. In Leipzig sind jetzt drei Kollegen vor Ort, die den Leihmaterialbereich betreuen und, wie bisher auch schon, als Agentur des britischen Lehrsystems ABRSM tätig sind. In Frankfurt sind wir von der Kennedy-Allee in angemessenere und modernere Büroräume in der Hedderich-Straße, der sogenannten „Stempelfabrik“, umgezogen.
nmz: Was passiert mit den Frankfurter Mitarbeitern? Wie viel neue Arbeitsplätze wollen Sie in Leipzig schaffen?
Eckel: Wir haben natürlich im Zuge der Verlagerung der Leihbibliothek und auch des Auslieferungswechsels einige Arbeitsplätze abbauen müssen, leider. Die Büros in London und New York haben das schon vor etlichen Jahren durchgemacht. Es musste uns darum gehen, ein möglichst schlankes und effektives Team aufzubauen.
Zugleich haben wir für die neue Bürofläche in Frankfurt einen Fünfjahresvertrag unterschrieben; in dieser Zeit werden wir hier auch nicht wegziehen. Langfristig aber soll Leipzig, wie bereits erwähnt, wieder zum echten „Hauptquartier“ werden, sodass dort zunehmend mehr Mitarbeiter tätig sein werden und auch das Management der deutschen Niederlassung letztlich dort ansässig sein wird; eine Zeitspanne von etwa fünf Jahren hierfür ist sehr wahrscheinlich. Die Verlagerung aber bedeutet nicht die Schließung des Frankfurter Standortes und sagt überhaupt nichts über die zukünftige Größe der Niederlassung und die Zahl der Mitarbeiter in Frankfurt aus! Dies wie auch der genaue Zeitplan der Verlagerung hängt vielmehr von diversen Faktoren ab, in allererster Linie vom wirtschaftlichen Erfolg des Frankfurter Standortes; dies gilt übrigens auch für die Niederlassungen in London und New York und versteht sich im Grunde für jedes Unternehmen von selbst. In jedem Fall aber wollten und wollen wir nicht denselben Fehler machen wie Anfang der Neunziger Jahre, als der Leipziger Standort quasi über Nacht und ohne jegliche Einbeziehung der Leipziger Belegschaft „abgewickelt“ wurde.
nmz: Wie kann man sich ein Organigramm der neuen Peters-Struktur weltweit vorstellen?
Eckel: Nachdem der Peters-Verlag im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in Leipzig zum führenden Musikverlag weltweit geworden war, waren die Geschäfte jahrzehntelang wegen der, durch die historischen Ereignisse erzwungenen Firmenzersplitterung beeinträchtigt, indem die einzelnen Unternehmen weitgehend getrennt voneinander operierten. Zugleich aber hat der Verlag dadurch auch in Großbritannien und den USA originäre Firmentraditionen ausgebildet und erstreckt sich so nun über drei Länder und ebenso viele wichtige Märkte.
Die daraus resultierende internationale Struktur zeigt sich in der Art, wie das Unternehmen heute gemanagt wird: Anders als früher nutzen wir die C.F. Peters Ltd & Co. KG (die vormalige C.F. Peters GmbH & Co. KG) als Holding für die gesamte Gruppe. Als Management-Partner wiederum fungiert die in London ansässige
C.F. Peters Ltd, die die weltweiten Geschäfte steuert. Als britisches Unternehmen hat diese, wie in angelsächsischen Ländern üblich, ein „Board of Directors“. Die Mitglieder des Boards sind Nicholas Riddle als CEO der gesamten Gruppe, die drei Länderchefs Linda Hawken in UK, Roger McClean in den USA und ich in Deutschland, sowie Kate Woods als Finance Director und ein sogenannter „Non-Executive Director“, unser Chairman Martin Williams.
Das ist die oberste Führungsebene. Darunter haben wir die Ebene der internationalen Abteilungsleiter eingezogen, um die einzelnen Verlagsbereiche länderübergreifend miteinander zu verknüpfen. Für Vertrieb, Marketing, Lektorat, Neue Musik und so weiter, gibt es jeweils eine Person, die von London, Frankfurt oder New York aus das jeweilige weltweite Team leitet.
nmz: Warum gerade jetzt eine derart massive Umstrukturierung?
Eckel: Zunächst einmal ist sie natürlich Ausdruck der Zusammenführung der lange Zeit unabhängigen Peters-Firmen. Die gesamte Verlagsumstrukturierung muss aber auch vor dem Hintergrund der sich ankündigenden Digitalisierung des Notenbereichs gesehen werden. Ob das nun Chor-Einzelausgaben angeht oder einzelne Instrumentalstücke: Neben dem selbstverständlich weiter existierenden Printbereich wird es zunehmend um Downloads von Noten gehen und um die dazu verwendeten Apps. Ich kann mir persönlich auch gut vorstellen, dass Orchester irgendwann mal von elektronischen Notenständern spielen, also von iPads oder ähnlichen Computern. Selbst wenn sie das nicht im Konzert tun, werden Musiker solche elektronischen Hilfsmittel in naher Zukunft benutzen, um damit zu studieren und zu proben. Das heißt, der Markt verändert sich momentan rapide, und wir müssen hierauf reagieren. Daher gehen wir auch in ganz neue Geschäftsfelder, in London etwa mit einem eigenen Künstlermanagement, dem „Edition Peters Artist Management“ sowie einer zugehörigen EPAM-Edition.
nmz: Wird man auf der Musikmesse 2012 schon derartige Software für iPads sehen?
Eckel: Versprechen kann ich es an der Stelle noch nicht, aber ich hoffe sehr. Das Thema, mit dem wir uns derzeit am meisten beschäftigen, ist das tatsächliche Zusammenwachsen der verschiedenen Häuser. Wir haben hier bei Peters ein echtes Unikum. Durch die Geschichte hat es sich ergeben, dass es jahrzehntelang getrennte Firmen in Leipzig, Frankfurt, London und New York gab, die nur über gegenseitige Vertriebs- und Rechtevertretungsvereinbarungen miteinander verknüpft waren. Es sind jetzt im Zuge des Auslieferungswechsels jahrzehntelange Mängel alleine schon in den Datenbanken offensichtlich geworden. Beispielsweise gibt es bei manchen Notenausgaben verschiedene ISMN-Codes, weil einmal eine Ausgabe ursprünglich in Frankfurt gemacht wurde und dann aber mit den Rechten nach London wanderte oder von dort weiterbetreut wurde. Es wurde dann zu einer „Peters London-Ausgabe“ und bekam entsprechend eine Londoner ISMN.
nmz: Die Auslieferung bei MDS – ist das die Welt-Auslieferung?
Eckel: Nicht direkt, obwohl MDS durchaus unser größtes Auslieferungslager darstellt. Wir haben weiterhin auch eine Zusammenarbeit mit Faber für Großbritannien und andere Gebiete, sodass Kunden in vielen Ländern sich entscheiden können, ob sie bei MDS oder Faber kaufen. Natürlich gibt es bei MDS eine größere Titelbreite, dort ist sozusagen alles auf Lager, während Faber auch künftig schwerpunktmäßig die Titel führt, die für den britischen Markt oder die anderen ausländischen Märkte interessant sind. Daneben gibt es das große Auslieferungszentrum in New York, von dem aus wir den amerikanischen Markt bedienen. Das Auslieferungsgeschäft in den USA gewinnt zunehmend an Bedeutung für uns; schon jetzt betreuen wir hier eine Reihe gewichtiger europäischer Musikverlage wie ABRSM und OUP, für die wir neben der reinen Logistik auch Vertriebs- und Marketingdienstleistungen übernehmen. Diesen Bereich werden wir sicher beträchtlich ausbauen. Übrigens behalten wir auch in Deutschland weiterhin den Vertrieb anderer Verlage wie Kunzelmann oder musicPartner bei, selbst wenn das reine „Pick & Pack“ von MDS übernommen wurde.
nmz: ABRSM (Associated Board of the Royal Schools of Music) ist eine in Großbritannien führende Musikprüfungskommission, deren Haupttätigkeit darin besteht, Musikprüfungen und Beurteilungen von Schülern und Erwachsenen durchzuführen. Jährlich absolvieren mehr als 600.000 Kandidaten in 92 Ländern die ABRSM-Prüfungen. Wird das Peters-Sortiment an Notenausgaben, Musikbüchern und CDs für ABRSM zukünftig stärker auf dem deutschen Markt präsent sein?
Eckel: Das ist unsere Absicht, natürlich, und wir arbeiten diesbezüglich stärker mit den hiesigen Musikschulverbänden zusammen. Das Interesse an einem Prüfungssystem, das Interesse an allgemeingültigen Standards und Leistungsüberprüfungen ist definitiv viel größer geworden in den letzten Jahren. Professoren der Musikhochschulen fordern seit einigen Jahren recht deutlich, dass Musiktheorie und Gehörbildung in der musikalischen Ausbildung von Anfang an eine stärkere Rolle spielen müssten.
nmz: Welche weiteren Pläne verfolgen Sie noch?
Eckel: Wir wollen unser Programm erweitern. Peters ist recht spät auf den „Urtext-Zug“ aufgesprungen und engagierte sich auch spät im Pädagogik-Bereich. Auch das Segment Chormusik wird wieder intensiviert, zumal die Engländer seit nun fast zehn Jahren viel unternommen haben. London hat einige sehr interessante Komponisten unter Vertrag, wie Jonathan Dove, Jonathan Rathbone, Ben Parry, Judith Bingham, Roxanna Panufnik und andere. Diese schreiben in einem Stil, der zunehmend auch in Deutschland auf großes Interesse stößt: weder sperrige Avantgarde, noch seichte Unterhaltungsmusik. Dazu haben wir etwa bei der chor.com in Dortmund oder auch bei anderen Gelegenheiten schon sehr gutes Feedback bekommen
nmz: Erleben wir in Deutschland eine Renaissance der Chormusik?
Eckel: Absolut! Die Zahl der Initiativen, die jetzt darauf abzielen, das Singen an Grundschulen und im Kindergarten zu fördern – ob nun Primacanta hier in Frankfurt, JeKiss in Münster oder der Felix beziehungsweise die Carusos des Deutschen Chorverbands – das ist schon sehr beeindruckend. Zur Messe präsentiert Peters ein Männerchorbuch, das unter anderem beim Deutschen Chorfest hier in Frankfurt genutzt werden wird für ein offenes Männerchorsingen am Römerberg, wo dann viele 100, möglicherweise 1.000 Männerkehlen daraus singen werden. Das geben wir heraus in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Sängerbund und dem Deutschen Chorverband. Das letzte allgemeine Männerchorbuch war 1957 bei Schott erschienen, seitdem ist in dem Bereich nicht viel passiert.
nmz: Was passiert mit der Neuen Musik bei Peters?
Eckel: Ein Bereich, der sich weltweit in allen Verlagsstandorten sehr positiv entwickelt hat! Zusammen genommen vertreten wir schon jetzt ein extrem breites Spektrum wichtiger und erfolgreicher zeitgenössischer Komponisten aus vielen verschiedenen Ländern: Erkki-Sven Tüür, Anders Hillborg, Rebecca Saunders, Bernd Franke, Jonathan Dove, Mark André, Brian Ferneyhough, Mauricio Kagel, John Cage, George Crumb, Bob Aldridge und viele, viele andere – die komplette Liste der drei Peters-Häuser umfasst Hunderte von Namen, die so ziemlich alle Spielarten Neuer Musik abdecken. Früher wurden die Kataloge in den drei Ländern getrennt voneinander gepflegt. Daran, dass sich unsere Häuser heute stärker abstimmen als früher, kann man ablesen, dass die internationale Zusammenarbeit auch tatsächlich begonnen hat. Das wird in einem deutlichen Ausbau unseres gemeinsamen Kataloges zeitgenössischer Musik resultieren.
nmz: In Donaueschingen sah ich am Peters-Stand manchmal die Noten nicht mehr vor lauter aus Asien stammenden Interessierten…
Eckel: Ich glaube, es gibt zurzeit auch eine Renaissance der zeitgenössischen Musik. Die junge Generation löst sich zunehmend vom bisherigen Dogma der Avantgarde. Ich vergleiche dieses Phänomen mit dem Wiedereinzug des Figurativen in der Malerei vor einigen Jahrzehnten. Und wenn Sie jetzt China und Asien ansprechen, dann sehe ich hier zwei Richtungen. Einerseits ist Asien interessant als Vertriebsgebiet, andererseits kommen von dort auch interessante kompositorische Ansätze.
nmz: John Cage zählt zu den prominenten Peters-Komponisten. Am 5. September 2012 hätte er seinen 100. Geburtstag gehabt. Was planen Sie?
Eckel: Da wird natürlich ganz viel stattfinden. Es gibt eigentlich keine Veranstaltung, kein Festival für zeitgenössische Musik, das sich nicht des Themas Cage annehmen würde. Wir selbst etwa werden auf der Leipziger Buchmesse einige Veranstaltungen zu John Cage auf der Bühne im Klangquartier sowie abends in der Grieg-Gedenkstätte in der Talstraße organisieren, die – wie man es sich vorstellen kann – ein bisschen Happening-Charakter haben können. Und auch für die Frankfurter Musikmesse haben wir eine besondere Idee – lassen Sie sich überraschen!
Das Gespräch führte Andreas Kolb