San Francisco/Düsseldorf - «Lion»-Komponist Volker Bertelmann ist ganz in seinem Element. In San Francisco, von Fans umringt, spricht der in Düsseldorf lebende Klangkünstler mit dem Künstlernamen Hauschka über seine experimentelle Musik. Das sei «wie ein Drahtseilakt ohne Sicherheitsnetz». Eine Stunde lang, ohne Pause, hat er am Klavier improvisiert und dem Instrument fremdartige, intensive Töne entlockt.
Der weltweit tourende Indie-Musiker ist durch seine Solo-Auftritte am «präparierten Klavier» bekannt. Dazu manipuliert er die Saiten mit Gegenständen wie Korken und Bällen, um ganz besondere Klänge zu schaffen. Er klebt auch Saiten zusammen, benutzt Filzkeile oder Holzstäbe, mit denen er dem Klavier Trommelklänge entlockt.
Seine Nordamerika-Tournee, mit Stationen von Toronto über New York bis zu US-Westküste, ist nur eine kurze Auszeit für den von Hollywood umworbenen Musiker. «Ich habe mittlerweile so viele Filmanfragen, dass ich überlegen muss, wie ich das Konzertgeschäft organisieren kann», sagt Bertelmann.
Es war der Soundtrack für den mit Dev Patel und Nicole Kidman besetzten Film «Lion», der den Düsseldorfer und seinen US-Kollegen Dustin O'Halloran in der vorigen Trophäen-Saison ins Rampenlicht rückte. Das Duo war für alle wichtigen Filmpreise nominiert, von den Golden Globes über die Baftas bis zum Oscar, doch die Trophäen heimste am Ende der «La La Land»-Soundtrack ein.
«Es war gut, dass es nur Nominierungen waren und kein Gewinn, sonst wäre das alles noch anstrengender gewesen», sagt der 51-jährige Komponist mit einem Augenzwinkern. Es sei «Wahnsinn» gewesen, dass der erste große Film gleich so viel Erfolg hatte. «Wenn jetzt mehrere Projekte nachkommen, ist es klar, das dies keine Eintagsfliege war.»
Für Bertelmann ging es nach «Lion» Schlag auf Schlag weiter. Derzeit vertont er das Terror-Drama «Hotel Mumbai», mit den Hauptdarstellern Dev Patel und Armie Hammer. Dann folgt die Musik für die Filmbiografie «Young Astrid» über die Jugendjahre der Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. Auch der Soundtrack für die BBC-Serie «Gunpowder» ist schon fertig.
Zusammen mit Dustin O'Halloran vertonte er zuletzt das Historien-Drama «The Current War», mit Benedict Cumberbatch in der Rolle des US-Erfinders Thomas Edison. Es war eine große, vielversprechende Hollywood-Produktion, die nun aber von dem Weinstein-Skandal direkt betroffen ist. Die nach den Missbrauchsvorwürfen gegen den Produzenten Harvey Weinstein unter Druck geratene Weinstein Company (TWC) hat den für November geplanten Kinostart von «The Current War» auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben. Damit fällt das Oscar-Rennen für den Film nun ins Wasser.
Es stehe noch in den Sternen, ob der Film überhaupt von Weinstein herausgegeben wird, erzählt Bertelmann. «Aber natürlich ist es gut, dass diese Dinge ans Tageslicht kommen», sagt der Musiker mit Blick auf die Vorwürfe sexuellen Missbrauchs, die Dutzende Frauen gegen Harvey Weinstein in den letzten Wochen vorgebracht haben. Als Produzent habe Weinstein sehr viel Einfluss auf den kreativen Prozess genommen und durch Einschüchterung Druck gemacht. Die Arbeit am Set sei damit «recht schwierig» gewesen, sagt der Musiker.
Schon im vergangenen Jahr war Bertelmann auf Weinstein getroffen, der sich die Vertriebsrechte für «Lion» gesichert hatte und für den sechsfachen Oscar-Kandidaten groß die Werbetrommel rührte. «Man merkte gleich, dass er ein richtiger Macht-Typ ist», meint der Musiker. Er und Dustin O'Halloran hätten von Weinstein einerseits sehr nette, persönliche E-Mails bekommen, «aber wenn wir ihn einen Tag später trafen, hat er einen nicht mal angeguckt oder Hallo gesagt», erinnert sich der Komponist.
Der Hollywood-Erfolg ist dem Düsseldorfer auf seinen Konzerten nicht anzumerken. Nach dem Auftritt verschwindet er nicht hinter der Bühne, er mischt sich locker unter die Besucher und verkauft selbst seine Platten. «Ich fühle mich total wohl hier. Die Amerikaner sind sehr 'uplifting', die schieben einen irgendwie an, und das ist für einen Deutschen sehr beflügelnd.»
Viele Konzertbesucher kommen aus der künstlerischen Szene, auch Miyaka Cochrane, der im Theater arbeitet. «Es ist faszinierend, dass ein experimenteller Musiker, wie Hauschka, so vielfältig ist und ganze Soundtracks für Filme schreibt», begeistert sich der Kalifornier.
Mit neun Jahren fing Bertelmann mit dem Klavierspielen an, mit 18 komponierte er Musik für die ZDF-Serie «Ein Fall für zwei». Dann ein abgebrochenes Medizinstudium, die Auflösung seiner Hip-Hop-Band «God's Favorite Dog», viele Jahre als Lehrer an einer Musikschule. Erst mit Mitte 30 kehrte er im Studio ans Klavier zurück, nannte sich fortan Hauschka und brachte 2004 das erste Album heraus.
Am Ende seiner Nordamerika-Tournee freut sich der Vater von zwei erwachsenen Töchtern und einem vierjährigen Sohn auf seine Familie - und auf weitere Filmprojekte. «Das macht mir total Spaß, vor allem die Arbeit im Team.» Drei Musiker arbeiten in seinem Düsseldorfer Studio mit. Dass er in seinem Alter noch in Hollywood Fuß gefasst habe, sei wirklich erstaunlich, meint der 51-Jährige. Und es gibt noch einen Pluspunkt: «Natürlich ist es auch so, dass die Arbeit besser bezahlt wird.»