„Kunst und Kultur sind ein Markt“, resümierte im Oktober 2023 der Deutsche Kulturrat in der Studie „Baustelle Geschlechtergerechtigkeit“. Gerade deshalb gilt, dass nur das Geld verteilt werden kann, das aus Fördermitteln, Sponsoring und Ticketing eingenommen wird. In diesem Spagat wird die Luft immer dünner. Einerseits die berechtigte Forderung nach Basishonoraren für Kulturschaffende, um endlich vielfaches Prekariat zu bekämpfen. Und auf der Veranstalterseite die Spielstätten, deren Ausgaben sowie behördlichen Auflagen wachsen und bei denen das Thema Vergütung von Soloselbständigen auch mit dem Gesetz gegen Scheinselbständigkeit kompatibel sein muss. Wir sprachen hierzu auch mit dem ISDV und der Generalzolldirektion.
Man kann nur ausgeben, was man auch einnimmt
BKM Claudia Roth verkündete im Februar zum 1. Juli 2024 eine verpflichtende Mindestvergütung für all jene, die zu mehr als 50 Prozent von der BKM gefördert werden und „professionelle, freie Kreative“ beschäftigen. Gleichzeitig fürchten sich angesichts der angespannten Haushaltslage nicht wenige öffentlich geförderte Einrichtungen vor Kürzungen der Kulturförderung, weil der Rotstift dort oft priorisiert angesetzt wird. Und Spielstätten beklagten zuletzt die Unsicherheit hinsichtlich eines Konfliktes zur Scheinselbständigkeit, wenn ihnen Soloselbständige kulanterweise preislich entgegenkommen, um freie Kultur, die sich oft überwiegend über Ticketverkäufe und nur überschaubare öffentliche Gelder finanziert, überhaupt noch auf eine Bühne zu bringen.
„Als Kulturstaatsministerin ist es mir ein Herzensanliegen, dass künstlerische und kreative Arbeit angesichts ihres hohen gesellschaftlichen Stellenwerts auch angemessen vergütet wird“, so Claudia Roth in ihrem Pressestatement. Hat Kultur diesen Stellenwert tatsächlich? Heißt es nicht oft in den Kommunen, die musikalische Umrahmung einer Veranstaltung könnte ein örtliches Ensemble doch für einen warmen Händedruck übernehmen? Instrumentenkauf/-reparatur, Probezeit, Proberaummieten und vieles mehr – alles vielfach immer noch Fremdwörter für die Politik.
Der Deutsche Musikrat hat im März 2023 einen „Aufschlag für Honorargrenzen bei öffentlicher Förderung“ publiziert und dabei die Bedeutung von „sichtbarer und unsichtbarer Arbeit in der Musik“ betont. Und der DMR hat formuliert: „Das Besondere dieses Aufschlags ist, dass nicht nach musikalischen Genres differenziert wird.“ Aber liegt nicht genau darin die Krux? Der DMR definierte jährlich sich steigernde Tagessätze. Viele Genres sind aber gar nicht oder nur teilweise öffentlich finanziert. Sie können nur nach dem wirtschaftlichen Erfolg einer Aufführung Honorare bezahlen. Egal, was Verbände fordern!
Dünnes Eis, das im Februar 2024 auch die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) mit den Modellrechnungen „Basishonorare für selbständige Kreative“ augenscheinlich ignoriert. Pro Musikschaffendem werden dort für einen zweistündigen Auftritt in der niedrigsten Qualitätsgruppe 20 zu Buche schlagende „reale Arbeitsstunden“ inklusive Proben, Organisation etcetera definiert. Wäre nach „ver.di“ und Entgeltgruppe 9b (TVöD) ein Honorar von 953 Euro mit KSK-Mitgliedschaft. „ver.di“ berechnet Basishonorare „mit und ohne KSK-Mitgliedschaft“ – und übergeht dabei, dass das für einen Veranstaltenden völlig egal ist. Dieser muss die KSA immer bezahlen! Egal, welchen Mitgliedsstatus Kulturschaffende haben.
Profis aus der unteren „Bekanntheitsliga“
953 Euro weitergedacht! Bei einer fünfköpfigen Popband wären das ergo 4.765 Euro für einen üblichen Auftritt. Das muss – gefördert oder nicht! – erst einmal erwirtschaftet werden, um es ausgeben zu können. Sonst wären Veranstaltende schneller pleite als ihnen lieb ist. Und „professionell“ ambitioniert sind auch Newcomer oder Popbands aus der so genannten „2. oder 3. Bekanntheitsliga“ die (noch) keine Hallen füllen. Aber sie spielen auch bei geförderten Auftritten selten bis nie gegen Festgagen! Gagen, die sich primär nur am Marktwert orientieren können und nicht an „ver.di“-Tabellen.
Die aktuellen theoretischen Überlegungen negieren augenscheinlich jene Kulturbereiche die nur sekundär mit Fördermitteln bedacht werden? Und das sind enorm viele! Selbst bei einer mindestens 50-prozentigen Förderquote müssen zusätzliche Honorarausgaben zu den anderen 50 Prozent ebenfalls erst erwirtschaftet werden. Und „erwirtschaftet“ heißt wieder „Markt“. Also Geld, das erst jenseits der Förderung durch zum Beispiel Ticketverkäufe generiert werden muss. Und nicht alles lässt sich auf den Ticketpreis aufschlagen. So interessant findet das Publikum eine Darbietung dann auch nicht immer! Die wirtschaftliche Situation des Publikums konkurriert mit Preissteigerungen von Miete bis Lebensmittel.
Die Masse an Veranstaltenden jenseits der öffentlich finanzierten Häuser, und das ist mit Sicherheit die Mehrzahl an Menschen, die Kultur heute vor Publikum bringen, kann zusätzliches Geld nur dann ausgeben, wenn zusätzliches Geld on top hereinkommt. Die Streichungsszenarien bei der Kultur lassen einen Rückschluss schon jetzt zu: nachhaltig mehr Geld wird nicht oder kaum von der öffentlichen Hand kommen. Bis Redaktionsschluss ließ sich leider nicht mehr klären, welche Auswirkungen die Frohbotschaft von BKM Claudia Roth auf die Förderkriterien der Initiative Musik haben wir, wo unter anderem nationale und internationale Showcase-Auftritte von Popbands davon betroffen sein dürften.
Und Kulturschaffende, die mit der Erwartungshaltung von gegebenenfalls auf Basishonorarkriterien bezahlten Auftritten bei privatwirtschaftlichen oder teil-geförderten Veranstaltenden anklopfen, werden vermehrt den Satz hören: Du kannst Dich ja gerne zu Deinen Honorarsätzen selbst veranstalten. Das ist die Realität und insofern auch ein Gordischer Knoten, wenn die Forderungstheorie die Genre-übergreifende Anwendung hinausposaunt.
Denn auf Seiten der Spielstätten sind die laufenden Kosten für Energie, Personal, externe Dienstleistungen etcetera bekanntermaßen ebenfalls exorbitant gestiegen und verschärfen den Gap zum Point Of Break-Even. Insbesondere jene Spielstätten, die nicht über festangestelltes Personal verfügen und Soloselbständige veranstaltungsbezogen buchen müssen, kämpfen seit Jahren mit dem Problem der Scheinselbständigkeit. Obwohl sich der Prüfschwerpunkt des Zolls wohl in Richtung weisungsgebundene Einbindung in die Veranstaltungsabwicklung verschoben hat, so die Interessengemeinschaft der selbständigen Dienstleister*innen in der Veranstaltungswirtschaft e.V. (ISDV), beklagten zuletzt bei einem Veranstaltermeeting Teilnehmende ein anderes Prüfkriterium.
Unter 42 Euro Stundenlohn bei Soloselbständigen ein Problem?
So solle der Zoll auf der Basis eines Urteils des Bundessozialgerichts (B 12 R 7/15 R) von 2017 bei Honorarsätzen von unter 41,50 Euro/Stunde ein Verdachtsmoment für eine Scheinselbständigkeit sehen. Im BSG-Urteil (B 12 R 7/15 R) wurde einer Pflegekraft attestiert, dass dieser Honorarsatz „deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten“ liege und damit eine Eigenvorsorge zulasse, was als „gewichtiges Indiz für selbstständige Tätigkeit“ zu betrachten sei. Im Umkehrschluss wäre alles, was darunter liege quasi ein pauschales Verdachtskriterium, so Teilnehmende aus der Veranstalterrunde. Der ISDV zieht daraus den Rückschluss, so deren Vorsitzender Marcus Pohl, dass der Verband auch eine Honorarhöhe von mindestens 42 Euro/Stunde empfiehlt.
Die Pressestelle der Generalzolldirektion verweist in einer schriftlichen Antwort darauf, dass jeder Vorgang „einzelfallbezogen“ zu bewerten sei. „Die Höhe des Stundenlohns ist hierbei eines von vielen Kriterien“, so die Sprecherin, die fortfahrend ausführt, dass „die Festlegung einer absoluten Verdiensthöhe beziehungsweise Verdachtsgrenze hierbei aber nicht zielführend“ sei. Auch gebe es „keine generelle Vergleichbarkeit von Pflege- und Kulturbranche“. Aber „das Maß der Abweichung des vereinbarten Honorars eines Selbständigen vom Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten Beschäftigten kann ein gewichtiges Indiz“ bei der Statusfeststellung sein.
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