Hauptbild
Neuer Hochschulrat an der Hochschule für Musik Nürnberg. Foto: Hufner
Internationales Hanns-Eisler-Stipendium der Stadt Leipzig 2022 wird ausgeschrieben. Foto: Hufner
Hauptrubrik
Banner Full-Size

„Mein Liebling!“ – Der traurige Liebesbrief aus dem altem Banjo

Publikationsdatum
Body

Ein Instrumentensammler ersteigert ein altes Banjo und macht einen überraschenden Fund. Unter dem ramponierten Fell steckt ein kleingefalteter Liebesbrief. Stefan Götze rätselt nun über den traurigen Inhalt und die unbekannte Verfasserin.

Er hat ihr ihren letzten Wunsch nicht erfüllt. „Den Brief bitte sofort vernichten.“ Der namenlose Mann, an den das Schreiben gerichtet war, hat den Brief aufgehoben und versteckt. Ein Hobby-Instrumentensammler aus Markneukirchen im Vogtland förderte den Brief nun nach mehr als 70 Jahren zurück ans Tageslicht.

Bei der Restaurierung eines alten Banjos entdeckten Stefan Götze und Instrumentenbauer Albrecht Wunderlich den traurigen Liebesbrief. Das Schriftstück steckte in dem Spalt zwischen dem Holzkörper und dem Metallring, der das Fell spannt, und war von außen nicht zu sehen, berichtet Götze. Der Brief sei zusammengefaltet gewesen wie eine Ziehharmonika.

Es ist ein Brief voller Liebe, aber auch Wehmut, Melancholie und Abschied, den die Frau namens Anni am 17. November 1946 an ihren Geliebten schreibt. Sie erinnert ihn an den Verlust ihres Ehemannes und den Fortgang ihres Sohnes sowie ihr unglückliches Leben überhaupt.

Der einstige Besitzer des Banjos, dessen Name nicht erwähnt wird, hatte sie offenbar verlassen und ihr damit das Herz gebrochen. „Ich war die Zeit, in der du kamst, sehr glücklich und ich weiß auch, da du nun nicht mehr kommst, dass ich daran zugrunde gehe, denn ich bin ein Mensch, an dem das Glück immer vorbei gegangen ist.“ Götze weiß nicht, woher der Brief stammt. Er vermutet jedoch aus Berlin, weil der Stadtbezirk Treptow erwähnt wird.

Das sechssaitige Banjo amerikanischer Bauart aus den 1930er Jahren sowie ein weiteres hat der 55-jährige Zahnarzt durch seine Bekannte Regina Petrahn (65) auf einer Auktion in Plauen für insgesamt 140 Euro ersteigern lassen. Es stammt aus einer privaten Instrumentensammlung in Niedersachsen und war in einem erbarmungswürdigen Zustand: Das Fell eingerissen, das Furnier abgelöst, Griffmulden im Hals neben den Saiten und voller schwarzem Dreck im Korpus. „Die Stunden für die Restaurierung habe ich nicht gezählt“, sagt der pensionierte Instrumentenbauer Wunderlich (78).

„Mein Liebling!“ – Die Anrede ist der Auftakt zu einer dichtbeschriebenen Seite persönlicher Tragik. Mit Bleistift hat Anni an jenem Sonntag niedergeschrieben, was sie bedrückte. Der Mann, der sie in glücklichen Tagen mit Zitherspiel erfreute, hatte sie zwei Wochen zuvor klammheimlich verlassen. Dass er nicht wiederkommen würde, habe sie daran gemerkt, dass die Zither und einige andere Dinge nach und nach aus ihrer Wohnung verschwunden seien. Sie hingegen hatte eine Zukunft mit ihm gewollt. „Ich hätte dich sehr glücklich gemacht.“

Noch einmal hatte Anni den Mann mit der Zither gesehen. Bevor sie den Brief schrieb, hatte sie ihn unter dem Vorwand, Schlauch und Fahrraddecke abzuholen, in seiner Wohnung aufgesucht. Wie hat sie sich dabei gefühlt? Pochte ihr Herz? Waren ihre Beine schwer? „Ich wollte nur noch ein einziges Mal in deine lieben Augen schauen und dann still für immer aus deinem Leben gehen.“

Anni kündigte an, am Totensonntag (24. November 1946) noch einmal ans Grab ihres Mannes gehen zu wollen – und danach ihr Leben zu beenden. Der Gedanke daran, dass sie an Weihnachten, wenn alle glücklich sind, allein und von allen verlassen sei und „ich ... deine liebe Zither nicht höre“, habe ihr den Lebensmut geraubt. „Ich habe noch Tabletten, die reichen, um alles Leid zu vergessen.“ Allein ihr Geliebter wusste von ihrem finalen Plan. „Bitte verzeihe mir, ich kann nicht anders.“

Hat sie sich tatsächlich das Leben genommen? Oder hat es eine unerwartete Wendung gegeben? Wie lebte der Mann mit dem Wissen um den Gemütszustand der Frau? Auch für Stefan Götze bleiben viele Fragen offen. Erste Recherchen, mehr über das Banjo und die Briefschreiberin zu erfahren, versandeten. Fürs Erste trennt sich der Hobby-Musiker vorübergehend von beiden Fundstücken. Götze gibt sie als Leihgaben ans Musikinstrumenten-Museum in Markneukirchen.

Direktorin Heidrun Eichler hat im beengten Museum eine geeignete Vitrine für die Exponate gefunden. „Wir haben sehr wenig Platz“, sagt sie. Dennoch wird der Brief so einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Seit Sonntag können die Ausstellungsbesucher rätseln, ob der Zither-Spieler und einstige Banjo-Besitzer seiner ehemaligen Geliebten wenigstens ihren vorletzten Wunsch erfüllt hat. „Nenne mich in Gedanken noch einmal meine kleine liebe Anni.“