Kalenborn/Darmstadt - Fast kein Handwerker fertigt heutzutage noch Produkte, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert haben. Geigenbauer gehören dazu. Inzwischen müssen sie sich aber gegen Konkurrenz aus China behaupten.
Der Himmel hängt voller Geigen: Überall baumeln sie unter der Decke. Auf dem Boden stehen Celli und ein Kontrabass. An der Wand hängen Spezialwerkzeuge. Holzbretter türmen sich zu einem Vorrat auf. Hinzu kommen Werkbänke und antike Schränke. Der Inhaber der Werkstatt in der einstigen Dorfschule in Kalenborn in der Eifel, Marco Schultz, arbeitet mit einem flachen Hohleisen an einem Cello. Es riecht nach Holz und Leim.
«Unser Produkt hat sich in 300 Jahren nicht wesentlich geändert», sagt Schultz. In der modernen Wirtschaftswelt sei so etwas höchst selten. «Natürlich gibt es heute auch maschinellen Einsatz im Geigenbau», ergänzt er. «Aber ich arbeite lieber im Wesentlichen wie vor 300 Jahren.»
Geigenbauer ist ein Nischenberuf. Auch Bratsche (Viola), Violoncello und Kontrabass entstehen in diesen Werkstätten. Der Präsident des Verbands Deutscher Geigenbauer und Bogenmacher, Daniel Schmidt in Dresden, schätzt die Zahl der Geigenbaumeister in Deutschland auf mindestens 350. Ohne Bogen kein Ton: Hinzu kommen laut Schmidt etwa 50 Bogenmachermeister. Auch er selbst ist einer.
Umsatz und Gewinn der Branche sind unbekannt. «Es gibt dazu keine Statistik», sagt der Verbandspräsident. «Die Branche ist verschwiegen, es wird nicht viel über Geschäftszahlen geredet.» Die Bandbreite der Einkommen sei groß.
Schultz bestätigt das: «Mein Ausbildungsgeigenbauer in Niederbayern arbeitet noch mit Mitte 70, weil er kaum Rente bekommt.» Manche Kollegen in Großstädten dagegen verdienten deutlich mehr, vor allem mit dem Handel wertvoller Instrumente: «Damit wird eher das große Geld gemacht als mit Neubau und Reparaturen.» Zahlreiche Kollegen vermieten auch Instrumente, manchmal gleich Hunderte.
Schultz schätzt: «In Einzelanfertigung von Hand dauert der Bau einer Geige bis zum spielfertigen Instrument wohl um die 150 Stunden. Beim Cello können es bis zu 400 Stunden werden. Bei diesem ist man preislich schnell bei 20 000 Euro oder sogar darüber.» Wie bei den meisten Kollegen mache der Neubau bei ihm aber nur einen geringen Teil seiner Arbeit aus. «Hauptsächlich lebe ich von Reparaturen, Restaurationen und dem Einstellen von Instrumenten», ergänzt Schultz.
Manche Profimusiker investieren auch 100 000 Euro und mehr in ihr Handwerkszeug. Der Wert mancher historischer Streichinstrumente, etwa der italienischen Meister Antonio Stradivari (ca. 1644 oder 1648-1737) und Giuseppe Guarneri II (1698-1744), geht sogar in die Millionen.
Den wesentlichen Anteil von Neubauten machen heute in Deutschland aber serienmäßig gefertigte Instrumente mit Maschineneinsatz aus. Beispielsweise werden hier die Wölbungen innen und außen vorgefräst - und der Lack aufgesprüht und nicht von Hand gestrichen. Diese Instrumente gelangen teils schon für mehrere hundert Euro in den Handel.
Bekannt für die industrielle Produktion von Streichinstrumenten ist vor allem China. Viele Kinder in Deutschland haben so preiswert eine erste Geige bekommen. Verbandspräsident Schmidt sagt jedoch: «Die Verkaufszahlen chinesischer Instrumente sinken wieder.» Es gebe ein Umdenken hin zu europäischer Tradition. Zugleich wachse der Geigenabsatz in China selbst: «Das ist ein gigantischer Markt.»
Bogenmacher Schmidt fügt hinzu: «Insgesamt bin ich nicht pessimistisch.» Auch der Darmstädter Geigenbauer Christian Arnold sagt: «Ich bin optimistisch.» Die beiden deutschen Geigenbauschulen im bayerischen Mittenwald und im sächsischen Klingenthal hätten weitaus mehr Bewerber als Plätze. Hinzu kommt die Fachhochschule im sächsischen Markneukirchen mit dem Studiengang Musikinstrumentenbau.
Natürlich sind laut Arnold Kulturetats zusammengestrichen worden und viel Zubehörhandel von Geigenbauern ins Internet abgewandert. Anderseits brumme Deutschlands Wirtschaft. Und es gebe immer mehr Streicher- und Bläserklassen an Schulen: Hier könnten alle Kinder einer Klasse im Musikunterricht oft kostenlos oder für einen kleinen monatlichen Betrag ein Instrument lernen.
Eifel-Geigenbauer Schultz sagt: «Es ist ein schöner Beruf, aber es gehört Idealismus dazu.» Die Mischung aus Gebrauchs- und Kunsthandwerk fasziniert auch die Geigenbauerin Alica Arnold, die als ausgebildete Sozialassistentin bei der Darmstädter Werkstatt ihres Vaters Christian Arnold eingestiegen ist: «Ich schaffe etwas mit meinen Händen, ich sehe die Fortschritte, das ist kreativ.» Das fänden auch mehr und mehr Frauen: «Ihr Anteil in den Geigenbauschulen ist heute viel größer als früher.»
Wie anderen Branchen sind auch im Instrumentenbau Fälschungen ein Problem. Nicht selten weist der Zettel in einem Streichinstrument auf einen bekannten alten Meister hin, der es aber gar nicht gebaut hat. So lässt sich bei einem Verkauf mehr Kasse machen. Schultz sagt: «Das passiert laufend, dass die Zettel falsch sind. Die kann man seitenweise auf alt gefärbt im Internet kaufen. Wir nennen diese Zettel «Fahrkarten».»
Geigenbauer verdienen auch mit Echtheits- und Wertgutachten für hochwertige Instrumente Geld. Laut Christian Arnold helfen beim Aufdecken von Fälschungen etwa dendrochronolgische Untersuchungen des Holzes bei der Zuordnung von Alter und Herkunft. Verschiedene Spektren des UV-Lichtes ließen Ergänzungen und Reparaturen an Streichinstrumenten sichtbar werden. Auch die Zettelinschriften könnten von Experten mitsamt Fachbüchern inzwischen zeitlich sehr gut zugeordnet werden.
Im 19. Jahrhundert gab es noch eine andere Betrugsmasche nach dem Motto «Aus ein mach zwei»: Schwarze Schafe der Branche zerlegten historische Topinstrumente und schufen mit Teilen anderer Violinen zwei neue Geigen. Die boten sie beide als Originalerzeugnisse eines Meisters feil.