Zu „Deux Concerts Exclusifs“ hatte Yehudi Menuhin im Sommer 1947 seine berühmten Freunde Benjamin Britten, Peter Pears und Maurice Gendron in die Dorfkirche von Saanen eingeladen. Dabei dachte der Geiger damals wohl weniger konzeptionell, sondern eher künstlerisch intuitiv. Doch die beiden Konzerte waren der Nukleus des Menu-hin Festivals im Schweizer Urlaubsort Gstaad. Heute ist das Menuhin Festival eine gut eingeführte Marke, jährlich besuchen rund 18.000 Besucher das Festival. Das World New Music Festival in Stuttgart dagegen war ein einmaliger Event der Neuen Musik, das in drei Sommerwochen über 14.000 Zuschauer anzog. Zwei Festivals, die in Bezug auf Programm, Zielgruppe und Machart nicht unterschiedlicher sein können. Und die eigentlich nicht miteinander vergleichbar sind. Doch gerade im Kontrast liegt hier der Reiz, wenn man sich die Frage stellt: Wie funktioniert im jeweiligen Fall Musik und Marketing? Lesen Sie auf Seite 9 ein Interview mit Christine Fischer vom World New Music Festival und hier eines mit Leonz Blunschi, dem Präsidenten des Menuhin Festivals Gstaad.
neue musikzeitung: Bis kurz vor seinem Tod hat sich Lord Yehudi Me-
nuhin in seinen letzten Lebensjahren noch für das Festival engagiert. Inwieweit hat sich das Festival seither verselbständigt oder emanzipiert?
Leonz Blunschi: Bis ins Jahr 1996 hat Yehudi Menuhin noch selber die „Pflöcke eingeschlagen“. Aber erst mit dem künstlerischen Leiter Christoph Müller haben wir zu einer konsequenten Programmstruktur gefunden, also seit 2002.
: Betrachtet man das Publikum: Sind das noch die gleichen Besucher wie 1996 oder hat sich seither ein ganz neues Publikum entwickelt?
: Dank der neuen Programm-strategie, die neben der Kammermusik und den Sinfoniekonzerten die „Today’s music“ beinhaltet, haben wir ein neues Publikum anziehen können. Dadurch hat sich natürlich auch die Altersstruktur etwas verändert. Vorher war die Mehrheit unserer Konzertbesucher so zwischen 40 und 70 Jahren alt. Jetzt haben wir doch markant in der Altersgruppe zwischen 30 und 50 dazugewonnen. Insgesamt sind seit 2002 etwa 30 Prozent neue Gäste dazugekommen.
: Menuhin ist sozusagen der Mozart Gstaads. Er ist im Gedächtnis der Menschen lebendig. Wie gehen Sie vor, um diese Marke zu transportieren?
: Die Familie Menuhin möchte von uns diesen Ausdruck „Marke“ nicht hören. Wir bezahlen aber eine Patentgebühr, damit wir den Namen überhaupt benutzen dürfen. Für uns ist es ein „brand“ und damit arbeiten wir.
: Blättert man durch das Programm, kann man feststellen, dass Me-nuhins Spuren und Ideen schon sehr liebevoll weitergepflegt werden. Dieses Jahr sind viele Freunde Menuhins da, das heißt Musiker, Schüler von ihm. Auch Menuhins interkulturelle Ideen sind ein Thema.
: Das hat der künstlerische Leiter Christoph Müller von Anfang an probiert einzubringen, weil Menuhin schon „Crossover“ betrieben hat – wenn ich dieses Wort gebrauchen darf – als das überhaupt noch nicht in Mode war. Wir führen das weiter, was er angefangen hat.
: Öffentliche Förderung spielt wahr-
scheinlich keine große Rolle?
: In einem Normaljahr, also nicht im Jubiläumsjahr, haben wir ein Budget von etwa 3,5 Millionen Franken. Davon können wir fast ein Drittel mit Ticketing realisieren. Den großen Rest müssen wir uns „zusammenfragen“. Wenn man zusammenrechnet, was an öffentlichen Subventionen, von der Gemeinde Saanen, den umliegenden Gemeinden und dem Kantons-Beitrag kommt, sind das ungefähr fünf Prozent des Budgets. Also relativ wenig, wenn man das mit städtischen Kulturinstitutionen vergleicht, die 50, 60 Prozent subventioniert bekommen. Dann haben wir verschiedene andere Quellen: einmal die Wirtschaftssponsoren, die ungefähr ein Drittel ausmachen; dann den Gönnerverein, bei dem jedes Mitglied 2.200 Franken zahlt und dafür ein paar Tickets, Abendessen, Parkplatz und so weiter bekommt; und es gibt Donatoren, beginnend mit 50 oder 100 Franken bis 1.000 Franken. Wir haben meistens ein oder zwei Mäzene, die auch drei, vier Prozent übernehmen. Dann haben wir einen Privat-Sponsoren-Club: Die machen fast zehn Prozent aus.
: Was bleibt vom Gesamtbudget noch fürs Marketing übrig?
: Der Hauptposten ist – und das muss auch so bleiben – natürlich die Kunst. Es nützt nichts, ein kleines Angebot zu haben und großes Marketing zu betreiben. Wir haben uns seit einigen Jahren ganz bewusst nebst den Imprimaten, die natürlich einen Großteil des Marketingbudgets wegfressen, auf PR konzentriert. Das ist nach allgemein angewendeten Richtlinien messbar und lässt sich auch in Franken ausdrücken. Wir hatten im Jahr 1999 in den Medien einen Gegenwert von zirka 250.000 Franken. Im Jahr 2005 hatten wir einen Gegenwert von allen Medien von 1,6 Millionen Franken. Wir geben dagegen knapp 30.000 Franken für Inserate aus.
Das wird uns manchmal auch vorgeworfen: „Ihr seid nicht präsent.“ Da sage ich: „Wir sind dafür anders präsent. Nicht in Form von Inseraten.“ Wenn man sich das Marketingbudget anschaut, im Schnitt sind wir da zwischen 550.000 und 580.000 Franken. Das beinhaltet aber zum Beispiel die ganzen Imprimate (Programme, Flyer, die Zeitung, die sieben Wochenprogramme während des Festivals, die Plakate), der Vorverkauf mit den EDV-Kosten ist inbegriffen, auch die PR – all das ist in diesem Betrag inbegriffen. Vom Gesamtbudget sind das vielleicht 16 Prozent. Das braucht es einfach, das ist das absolute Minimum.
: Worin liegt der Unterschied des Kunstmarketing zum Marketing eines großen Sportevents?
: Wir müssen ganz klar das hochwertige Produkt – die Musik – in den Vordergrund stellen. Der große Unterschied zum Beispiel zu Sportanlässen, wie es sie in Gstaad auch gibt, ist, dass wir nicht diese Werbeflächen anbieten können. Wenn bei uns Fernsehen kommt und in der Kirche Saanen die Leute filmt, dann sieht man einfach keine Werbung und das ist auch richtig so.
: Es ist eine sehr persönliche Art von Zusammenarbeit, die zwischen Sponsor und Festival stattfindet, auch im Marketing.
: Ja. Wir machen natürlich auch sehr viel in Sachen Sponsorenbetreuung. Es ist nicht so, dass wir einfach das Geld kassieren und dafür dürfen die Sponsoren ein paar Tickets haben und um den Rest müssen sie sich selber kümmern. Wir helfen ihnen auch vor Ort – zusammen mit dem GST (Gstaad Saanenland Tourismus) –, gewisse Aktivitäten anzubieten.
: Wie ist die Akzeptanz des Festivals hier in der Bevölkerung?
: Die Verankerung in der Bevölkerung ist sehr groß. Wenn wir von der Gemeinde finanzielle Unterstützung gebraucht haben in den 90er-Jahren, auch für den Zelt-Neubau im Jahre 2000 oder auch in diesem Jahr einen Sonderbeitrag für das Jubiläum – das ist eigentlich fast diskussionslos über die Bühne gegangen. Ein zweiter Punkt ist: Wir haben mehr freiwillige Helferinnen und Helfer, als wir berücksichtigen können. Die Geschäftsleute und Hoteliers sagen: „Das ist für uns ein absoluter Top-Anlass, der belebt unsere Sommersaison, eben nicht nur drei, vier Tage, sondern wirklich über sieben Wochen.“