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Astrid Koblanck, Vorstand der Universal Edition AG. Foto: UE
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„Nur die bessere Ausgabe wird auf Dauer bestehen“

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Astrid Koblanck im Gespräch über die Mahler-Pflege bei der Universal Edition
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Es tut sich einiges auf dem Notenmarkt in Sachen Gustav Mahler. Bei Breitkopf & Härtel sind erste Bände einer neuen Symphonien-Ausgabe erschienen, die Universal Edition hat unter anderem die Tondichtung „Titan“, die Frühfassung der ersten Symphonie herausgebracht. Mit Astrid Koblanck, seit 2004 Vorstand der Universal Edition AG sprach Juan Martin Koch über die Konkurrenzlage.

neue musikzeitung: Gustav Mahler ist eine Art „Hausheiliger“ der Universal Edition. Wie kam es dazu?

Astrid Koblanck: Gustav Mahler gehört aus mehreren Gründen zur DNA der Universal Edition (UE) und ist tatsächlich einer unserer wichtigsten Komponisten. Da ist zum einen seine herausragende Stellung als Komponist. Wir sind – mit wenigen Ausnahmen – der Originalverlag fast seines gesamten Werks. Und da ist noch seine Bedeutung für die nachfolgenden Generationen von Komponisten. Schönberg, Berg und Webern hatten in Mahler ein Vorbild, das ihnen vorlebte, was es heißt, als Künstler Haltung zu haben. Aber auch für spätere Komponisten der UE war Mahler immer ein Leuchtturm. Luciano Berio zitiert in seiner „Sinfonia“ Mahlers Zweite, er orchestrierte auch dessen frühe Lieder. Pierre Boulez nannte Mahler als Inspirationsquelle, etwa dahingehend, wie er die große Form bewältigen kann. Emil Hertzka, der 1908 den Verlag übernahm und bis zu seinem Tod 1932 leitete, war übrigens die zentrale Figur in der Beziehung der UE zu Mahler. Wenn man den Briefwechsel liest, wird klar, wie groß das Vertrauen Mahlers in die UE war. Er hatte nach langer Suche – etliche Verlage, darunter übrigens auch Breitkopf, hatten Mahler ja abgelehnt – endlich einen Verleger gefunden, der ihm seine Wünsche in größtmöglicher Professionalität erfüllte. Mahler hatte in der UE einen sicheren Hafen gefunden und er sah in der UE einen Verlag „für alle Zeiten und alle Länder“.

nmz: Welche Rolle spielt Mahler im aktuellen Katalog der UE und wie sieht das verlegerische Konzept zur Pflege seines kompositorischen Erbes aus?

Koblanck: Unser verlegerisches Konzept in Bezug auf Mahler ist leicht erklärt: höchstmögliche Qualität auf der Basis der Gesamtquellenlage. Man muss Mahlers Arbeitsweise kennen, um die Wichtigkeit einer ernsthaften, verlegerischen Arbeit zu verstehen. Nachdem er die Leitung der Wiener Hofoper niedergelegt hatte, revidierte Mahler quasi ohne Unterlass. Als einziger Verleger haben wir in Zusammenarbeit mit der Internationalen Mahler Gesellschaft den hundertprozentigen Zugang zu den vorhandenen Quellen. Mahlers große Sorge galt bis zuletzt der Aktualisierung und Umarbeitung seiner Werke. Das war immer und ist auch heute noch unser Anspruch. In einem Brief von Mahler an die UE, verfasst am 21.2.1911 in New York, schreibt er an Emil Hertzka: „Bitte, lieber Freund, nur sehr sorgfältig darüber zu wachen, daß meine Symphonien nur mit den Retouchen herausgegeben werden. Die in der IV haben sich hier prachtvoll bewährt.“ Diese Zeilen zeigen nicht nur den freundschaftlichen Umgang, sondern auch die Erwartungshaltung an seinen Verlag. In den 1960er-Jahren hatten wir bereits mit einer kritischen Gesamtausgabe begonnen. Es wurden aber seither eine Menge neuer Quellen entdeckt, die von den Mahlerforschern als relevant angesehen wurden. Daher beschlossen wir die Herausgabe einer zweiten, kritischen Gesamtausgabe, die wir „Neue Kritische Gesamtausgabe“ nennen. Diese ist noch nicht abgeschlossen und spiegelt den neuesten Stand der Mahlerforschung wider. Das bedeutet ein Riesen-Investment auf viele Jahre.

nmz: Was bedeutet ein so viel gespiel­ter Komponist für die wirtschaftliche Seite des Verlags, auch im Vergleich zum älteren Repertoire und zu den Werken der Neuen Wiener Schule und zur zeitgenössischen Musik?

Koblanck: Die UE ist kein reiner Mahler-Verlag oder Verlag der Zweiten Wiener Schule. Mahler, Schönberg, Berg, Webern sind natürlich wirtschaftlich bedeutend für die UE, aber ebenso sind es die Werke von Größen wie Weill, Bartók, Janácek, oder später Berio, Boulez, Rihm und Pärt, um nur einige zu nennen. In der zeitgenössischen Musik laufen die Dinge natürlich etwas anders. Aber auch dafür hat die UE in den letzten Jahren Lösungen entwickelt. 2020 planen wir, mit einem neuen Angebot einen frischen Akzent zu setzen. Wir starten mit der ersten Kommunikation im Spätherbst.

nmz: Die Internationale Gustav Mahler Gesellschaft und indirekt auch die UE – durch Verlinkung in einem Newsletter – haben sich vor einigen Monaten von einer damals bei Breitkopf angekündigten, nunmehr in ersten Bänden vorliegenden Mahler Symphonienausgabe distanziert. Was hat es damit auf sich?

Koblanck: Anfragen irritierter Dirigenten, Musikwissenschaftler und Bibliothekare et cetera hinsichtlich der von Breitkopf angekündigten Ausgabe der sinfonischen Werke Mahlers haben die Internationale Gustav Mahler Gesellschaft (IGMG) dazu veranlasst, öffentlich Stellung zu nehmen. Die IGMG distanziert sich dabei von Breitkopf, zumal deren Ausgabe nach eigenen Angaben auf der alten Gustav Mahler Gesamtausgabe aus den 1960er Jahren basiert, welche heute aufgrund der aktuellen Quellenlage und den daraus resultierenden Forschungsergebnissen als völlig überholt gilt. Die Verärgerung der IGMG ist verständlich und wird von uns vollumfänglich geteilt. Es wird hier eine Ausgabe präsentiert, die wissenschaftlich nicht aktuell ist, den Kunden aber als inhaltlich neu verkauft wird.

nmz: Ist trotz der Präsenz im Konzertleben der Notenmarkt zu klein für mehrere Mitbewerber im Bereich der Komponisten, deren Schutzfrist abgelaufen ist oder bald abläuft?

Koblanck: Mahler-Konkurrenzausgaben gibt es schon seit vielen Jahren am Markt. Nach dem Ablauf der Schutzfristen ist das ganz normal. Was können wir tun? Es gibt darauf für uns nur eine Antwort: Der wirksamste Schutz ist die rechtzeitige und vorausschauende Investition in Qualität. Nur die bessere Notenausgabe wird auf Dauer am Markt bestehen, nicht notwendigerweise die billigste, davon bin ich überzeugt.

nmz: Eine der jüngsten Ausgaben im Rahmen der NKG ist der „Titan“, die zweite Fassung der ersten Symphonie. Parallel ist eine weitere Einspielung dieser Fassung erschienen. Inwieweit ist das eine Ausgabe für die Praxis? Gibt es dazu Stimmenmaterial und entsprechendes Interesse von Orchestern?

Koblanck: Ja, natürlich gibt es Stimmenmaterial, und ja, die Ausgabe ist selbstverständlich eine Ausgabe für die Praxis. Die internationale Nachfrage ist enorm. Die Ausgabe des „Titan“ ist aber auch aus musikwissenschaftlicher Sicht äußerst spannend. Sie ist ein Blick in Mahlers Werkstatt! Es war eine glückliche Fügung, dass im Jahr 2014 das NDR Symphonie Orchester unter Thomas Hengelbrock in Hamburg für das neu ins Leben gerufene Musikfest nach einem spektakulären Start suchte. Es folgte die Erstaufführung und Ersteinspielung des „Titan“. Diese Erstaufführung hatte auch großen symbolischen Wert, denn es war ja in Hamburg, wo Mahler seiner Symphonischen Dichtung ihren letzten Schliff gab, bevor er das Werk später nochmals gänzlich umgestaltete. Insofern könnte man auch von einer „Hamburger Fassung“ der 1. Symphonie sprechen. Mit der Aufführung von 2014 startete für uns eine Reihe von „Testaufführungen“, die jede neue kritische Ausgabe zur Qualitätssicherung durchlaufen muss. Diese gemachten Erfahrungen sind äußerst wertvoll und fließen unmittelbar in die praktischen Ausgaben der Werke ein. 

nmz: Ab und zu hört man die Endfassung der Ersten, ergänzt um den später gestrichenen „Blumine“-Satz. Das macht eigentlich keinen Sinn, oder?

Koblanck: Wie man heute noch den Blumine-Satz gemeinsam mit der geläufigen 1. Symphonie anbieten kann, ist für uns ein Rätsel. Ebenso ist die Unart, die 1. Symphonie einfach als „Titan“ zu bezeichnen, wohl nicht mehr wegzubringen. Man verwirrt damit nur die Kunden und wird auch Mahlers Willen nicht gerecht. Warum Mahler den „Blumine“-Satz gestrichen hat, darüber wurde schon viel spekuliert. Es hat auch mit einer kolportierten Liebesaffäre zu tun, aber das ist wie gesagt weitestgehend Spekulation. Jedenfalls entschloss sich Mahler später zu einer tiefgreifenden Umarbeitung des „Titan“, dem nicht nur der „Blumine“-Satz zum Opfer fiel, sondern auch die programmatischen und poetischen Beschreibungen, von den instrumentalen Eingriffen ganz zu schweigen. Das Ergebnis war seine 1. Symphonie. Dieses Resultat nun nachträglich mit dem „Blumine“-Satz zu kombinieren, entbehrt jeglicher Logik. Dies war unter anderem der Grund, warum der „Titan“ in die Neue Kritische Gesamtausgabe aufgenommen wurde. Es erschien uns wichtig, den „Blumine“-Satz aus seinem Schattendasein zu holen und ihn im korrekten musikalischen Kontext zu präsentieren.

nmz: Meine Lieblingsstelle der „Titan“-Fassung ist der Übergang vom Scherzo zum Trio, wo die Wechselnote noch von der Klarinette über dem Horn gespielt wird. Was gefällt Ihnen besonders an der Version als „Tondichtung?

Koblanck: Im „Titan“ bekomme ich etwas anderes erzählt als in der geläufigen 1. Symphonie. Für mich ist gerade dieser Blumine-Satz das Herzstück einer großen „sinfonischen Dichtung“, die in ihrer Gesamtheit viel unmittelbarer zugänglich und sinnlich erlebbar ist. Die musikalischen Lösungen, die Mahler ursprünglich im „Titan“ gefunden hatte, weichen bisweilen nur in Nuancen ab, es gibt aber auch durchaus größere Unterschiede, die sehr deutlich hervorstechen. Es ist schon erstaunlich, wenn man diesen Unterschieden nachgeht, denn es zeigt sich sehr deutlich ein ganz eigener Wesenszug Mahlers: er war musikalisch niemals hundertprozentig zufrieden. Ich denke, das verbindet uns mit Mahler. Wir fühlen uns ihm verpflichtet und auch unser Ziel ist es, dem allerhöchs­ten Qualitätsanspruch gerecht zu werden.

  • Aktuelle Ausgabe:
    Gustav Mahler: Titan – Eine Tondichtung in Symphonieform in zwei Teilen und fünf Sätzen für großes Orchester (Mahler Neue Kritische Gesamtausgabe, Supplement Band 5). Partitur UE33911, € 99,95

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