Eigentlich wollte der Schott-Verlag im letzten Jahr seinen 250-jährigen Geburtstag feiern. Bei einem großen Festakt im Mainzer Staatstheater am 17. Mai hätte das Orchester der Stadt als erstes deutsches Orchester nicht aus gedruckten Noten, sondern aus iPads gespielt. Ein großes Fest für die 170 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Deutschland fiel ebenfalls ins Wasser.
Ein breit aufgestellter, moderner, wirtschaftlich gesunder Verlag mit einem Jahresumsatz von rund 30 Millionen Euro (2019) – so alt wie Ludwig van Beethoven, dessen „Missa solemnis“ und 9. Symphonie bei Schott erschienen – ist durch die Coronapandemie trotz eines drastischen Sparkurses in seiner Existenz bedroht. „Jetzt geht es ums Überleben. Außerdem fehlt Liquidität für Investitionen“, sagt Christiane Albiez, Mitglied der Geschäftsleitung. Der wichtige Umsatz aus dem Bühnen- und Konzertbereich ging um 80 Prozent zurück. Der wichtige Umsatz aus dem Bühnen- und Konzertbereich ging allerdings um 80 Prozent zurück. Rund 8000 Bühnen- und Orchesterwerke hat Schott Music in seinem Programm. Werden sie von Theatern oder Orchestern ausgeliehen, ist eine Leihgebühr fällig, die von der Größe der Orchesterbesetzung und von Anzahl und Preis der verkauften Tickets abhängt. Zusätzlich verdient der Verlag an Tantiemen, wenn die gespielten Werke urheberrechtlich geschützt sind, was bei rund zwei Drittel des Verlagsprogramms der Fall ist. Wenige Aufführungen vor wenig Publikum heißt auch wenige Einnahmen. Bei gestreamten Produktionen fällt fast nichts für den Verlag ab. Trotzdem müssen die beim Verlag veröffentlichenden 120 Komponisten wie Jörg Widmann, Fazil Say oder Christian Jost betreut werden. Die acht Bibliothekare hatten besonders im Frühjahr viel zu tun, weil von überall die Leih-Noten der abgesagten Produktionen zurückgeschickt wurden. Für den Sommer suchte man in Mainz nach kleineren Besetzungen und gab Bearbeitungen in Auftrag, um der Nachfrage der Konzert- und Opernhäuser nachzukommen. Geld verdienen konnte man damit aber kaum. Von der Politik fordert Albiez nun, dass bei den ersten Lockerungen die Opern- und Konzerthäuser mit ihren ausgefeilten Sicherheitskonzepten wieder öffnen können. „Wenn der Frisör mir wieder meinen Pony schneiden darf, will ich auch wieder in die Oper dürfen.“
Wie wenig die über tausend Musikverlage in Deutschland mit ihren rund 2500 Erbwerbstätigen und Gesamterlösen von 583 Millionen Euro (aus: Studie Musikwirtschaft in Deutschland 2020) auf dem Schirm der Bundesregierung waren, beweist der Umstand, dass sie bei dem im August angekündigten Rettungsprogramm „Neustart Kultur“ zunächst gar nicht vorkamen. Nur aufgrund von Nachverhandlungen konnten noch 2,5 Millionen Euro für die Musikverlage, 10 Millionen Euro für Urheber und 4 Millionen Euro für die Digitalisierung aus der Kulturmilliarde gesichert werden – ein Erfolg des im Frühjahr gebildeten Forum Musikwirtschaft, das sich aus den sechs maßgeblichen Verbänden des Wirtschaftsbereichs zusammensetzt. Nur 16 Prozent der durchschnittlichen Verlagseinnahmen werden laut einer aktuellen Studie aus dem Verkauf von Musikalien bestritten. Die Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften, vorrangig der GEMA, die jeweils im Sommer für das Vorjahr erfolgen, betragen rund 56 Prozent der Gesamteinkünfte. „2021 wird es für Autorinnen und Autoren sowie für die Musikverlage dramatisch. Die zeitversetzten Ausschüttungen der GEMA werden um ein Vielfaches einbrechen – denn wo nichts aufgeführt wird, keine Musik in Restaurants, Clubs und Diskotheken abgespielt wird und deutlich weniger TV-Sendungen und Kinofilme entstehen, kann auch keine GEMA-Gebühr eingezogen werden. Das werden wir in diesem und auch im folgenden Jahr deutlich spüren“, sagt Birgit Böcher, Geschäftsführerin des Deutschen Musikverleger-Verbands (DMV). Sie hofft, dass es auch dann noch Hilfen der Bundesregierung gibt, um die Branche zu stützen. „Es werden nicht alle Verlage überleben“, prophezeit Böcher. Deren Umsatzeinbußen lagen 2020 zwischen 40 und 60 Prozent. Ab März sei mit den ersten Insolvenzen zu rechnen. Böcher verweist auf die große Musikverlagstradition in Deutschland, die es zu schützen gelte – mit mittelständischen Unternehmen wie dem 1719 gegründeten Leipziger Verlag „Breitkopf & Härtel“ oder der „Edition Peters“ (1800 in Leipzig). Auch der Bärenreiter-Verlag in Kassel erlebt mit seinen 140 Beschäftigten schwere Zeiten. Der Umsatzrückgang im Jahr 2020 konnte laut Geschäftsführer Clemens Scheuch aber auf 40 Prozent begrenzt werden. „Lang geplante Uraufführungen unserer Komponisten sind ausgefallen, geplante Werk-Ausgaben mussten verschoben werden. Wir haben uns nach Möglichkeit auf Titel konzentriert, die auch in Coronazeiten einen schnellen Rückfluss ermöglichen“, erklärt Scheuch das Krisenmanagement.
Je spezialisierter ein Verlag ist, desto schwieriger gestaltet sich die Situation. Der Furore Verlag (Kassel) vertritt mit seiner Geschäftsführerin Renate Matthei und insgesamt vier Festangestellten circa 170 Komponistinnen aus Amerika, Frankreich, Argentinien, Taiwan, Australien, Kanada, der Schweiz und Deutschland. Der Umsatzrückgang lag 2020 zwischen 60 und 70 Prozent.
Die Nachfrage nach Noten aus dem 2019 erschienenen Orchesterkatalog war sehr hoch, so dass Matthei zu Beginn des letzten Jahres neue Stellen schaffen wollte. Inzwischen sei vieles storniert worden, auch bereits geplante Konzerte 2021 in Amerika, England und Schweden. Nur das Auslandsgeschäft hat bisher das Schlimmste verhindert. Auch die Kurzarbeit und die Soforthilfe des Bundes habe geholfen. Ein neuer Webshop soll den Onlinehandel weiter verbessern. „Wir hoffen, dass sich das Leben 2021 normalisiert“, sagt Matthei. Der Stuttgarter Carusverlag ist mit 30 000 Chorwerken weltweit einer der größten Anbieter von Vokalmusik, was in Coronazeiten, in denen der Gesang wegen der Aerosolbildung als gefährlich eingestuft wird, zu einem entscheidenden strategischen Nachteil wird. Der Verlag hat mit seinen 47 Mitarbeitern das schlechteste Geschäftsjahr seit seiner Gründung im Jahr 1972 erlebt. „Insbesondere seit dem 2. Lockdown kommen kaum noch Bestellungen von Chören“, sagt Johannes Graulich. Der Geschäftsführer macht sich auch langfristig Sorgen um die Chöre und das Laienmusizieren. „Das chorische Singen hat einen hohen kulturellen und gesellschaftlichen Wert.“ Auch bei Carus wurden alle Investitionsgelder in die weitere Digitalisierung gesteckt: den Relaunch des Webshops und den automatisierten Verkauf von digitalen Noten.
Neben all den schlechten Nachrichten aus der Branche gibt es auch einige wenige Corona-Gewinner unter den Musikverlagen. Das hängt mit dem Boom der häuslichen Kammermusik zusammen. Der erst im letzten Jahr von Sebastian Gabriel gegründete Aurio-Verlag im bayerischen Stadtbergen hat mit seinem Notenabonnement für einzelne Instrumente samt Übevideos und ausführlichen Begleittexten eine Marktlücke gefunden. Das Angebot wird von Musiklehrern und Laienmusikern rege nachgefragt. Der Münchner Henle-Verlag blickt mit einem Umsatzplus von 10 Prozent gar auf sein bestes Geschäftsjahr zurück. Das Verlagsprogramm besteht aus Urtextausgaben lizenzfreier Komponisten, davon rund 70 Prozent Literatur für Soloklavier. Besonders über den Onlinehandel in den USA hat der Verlag viele Noten verkauft. „In der Krise investiert der Mensch in Werte, in Verlässliches und Vertrautes“, sagt Geschäftsführer Wolf-Dieter Seiffert. „Da sind unsere hochwertigen Notenausgaben offensichtlich ein Produkt, an dem man sich freuen kann.“ GEMA-Ausschüttungen bezieht der auf das sogenannte Papiergeschäft spezialisierte Verlag so gut wie keine. Deshalb schaut Seiffert auch positiv auf das neue Geschäftsjahr, das für seine Kollegen vielleicht noch schmerzhafter wird als das vergangene.