Für den jungen norwegischen Opernregisseur Stefan Herheim hat der fulminate Erfolg bei den Bayreuther Festspielen im Sommer 2008 die internationale Karriere stark befördert. «Nachdem ich in den vergangenen Jahren als enfant terrible gehandelt wurde, rufen nun auch Opernhäuser an, die das sogenannte Regietheater eigentlich gar nicht wollen», sagte Herheim der Nachrichtenagentur ddp in Berlin.
Am Samstag (4. April) feiert sein «Lohengrin» im Rahmen der Festtage an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin Premiere. In den Hauptrollen werden Klaus Florian Vogt, Kwangchul Youn und Dorothea Röschmann zu erleben sein. DDP-Korrespondentin Angelika Rausch sprach mit dem 39-Jährigen:
ddp: Herr Herheim, gehört eigentlich die Musik Wagners zu Ihren ganz persönlichen Vorlieben?
Herheim: Ja, als Hauptbestandteil seines hochfaszinierenden Musiktheaters. Ich habe mit zwölf Jahren in Oslo zum ersten Mal eine Wagner-Oper auf der Bühne erlebt und war extrem gebannt - trotz fünf Stunden Länge.
ddp: Seine politische Ambivalenz hat Sie nie gestört?
Herheim: Natürlich liegt der Widerspruch auf der Hand sowohl im Werk wie im Leben Richard Wagners. Das ist ja aber gerade das Faszinierende. Sein Künstlertum spiegelt eine Epoche des absoluten Aufbruchs und ist somit ein wahres Stück Kulturgeschichte. Auf zwiespältige Weise warnt seine Kunst vor der Verblendung des menschlichen Geistes. Wagner bahnte der Psychoanalyse ihren Weg und scheint auch die Relativitätstheorie auf ästhetisch-philosophischer Ebene vorgeahnt zu haben. Wagner selbst war bestimmt kein Mensch, an dem ich persönlich Freude gehabt hätte. Aber was er geschaffen hat, ist einfach einmalig.
ddp: Welche Geschichten erzählen Ihnen die Personen im «Lohengrin»?
Herheim: Die von der Unmöglichkeit, Macht und Liebe in Einklang zu bringen. Und von unserer Befindlichkeit im Umgang mit der eigenen, systembedingten Unzulänglichkeit. Die Handlung in «Lohengrin» ist eine Konstruktion, die verborgene Zusammenhänge des menschlichen Daseins zwischen Kunst und Realität, zwischen Wirklichkeit und Traum, zwischen Glaube, Liebe und Hoffnung aufdeckt und kritisch infrage stellt. Es wird vom menschlichen Verrat am unbegreiflichen Wesen des Göttlichen und umgekehrt erzählt. «Lohengrin» ist sowohl ein gesellschaftlicher als ein persönlicher Hilfeschrei eines nach bedingungsloser Liebe schmachtenden Künstlers. Die Handlung spielt im Klima eines Bürgerkriegs. Wagner nutzte dieses als Sinnbild für das damalige Deutschland mit der fehlenden Einheit und der fehlenden Kraft, an etwas gemeinsam zu glauben. Das ist natürlich heute auf andere Ebene höchst aktuell, nicht zuletzt innerhalb des Opernbetriebs selbst.
ddp: Muss Oper für Sie politisch sein, oder darf sie auch einfach nur Unterhaltung bieten?
Herheim: Ich wüsste nicht, wie Oper unpolitisch sein sollte. Aber Unterhaltung ist ja dazu kein Widerspruch. Unterhaltung muss ja nicht oberflächlich sein, etwas das verdummt, narkotisiert oder einschläfert. Unterhaltung kann tiefgehend stimulieren, wachrütteln, aufklären und somit eben Halt geben.
ddp: Ist es in Ihrer Generation nicht schwierig, Stücke noch mal völlig umzukrempeln, wo doch die Generation der Regietheater-Regisseure vor Ihnen - zum Beispiel Peter Konwitschny, Hans Neuenfels - das schon reichlich gemacht hat?
Herheim: Für mich geht es zunächst einmal darum, ob und wie ich emotional auf die Werke selbst reagiere. Ich habe sogar binnen zwei Jahren drei völlig unterschiedliche «Cosi fan tutte»-Inszenierungen gemacht in drei verschiedenen Sprachen in drei unterschiedlichen Ländern. Und dabei entdeckt, dass ich ein Leben lang nur «Cosi fan tutte» inszenieren könnte! Es kann sowohl belastend als auch beflügelnd sein, sich einem Stück anzunähern, das eine sehr disparate oder ausgeprägte Rezeptionsgeschichte hat. «Lohengrin» gehört sicher zu diesen «Problemstücken». Die Musik ist ein Hit beim Publikum und füllt jedes Theater, unabhängig von der Frage, was sich hinter dieser Musik versteckt und wozu sie verwendet wurde.
ddp: War es für Sie eigentlich schwer, den fulminanten Erfolg von Bayreuth zu verkraften? Sowohl Neu- als auch Alt-Wagnerianer waren ja begeistert.
Herheim: Nun, es gab durchaus auch kritische Stimmen. Für die meisten Zuschauer war dieser «Parsifal» theatralisch sehr packend, aber niemand ist fraglos aus der Inszenierung rausgegangen. Egal, wie man «Parsifal» als Regisseur angeht, man muss eine Zange parat haben, um mit diesem glühenden Eisen umzugehen. Diese Problematik habe ich in der Arbeit thematisiert.
ddp: Was hat dieser Erfolg für Ihre Karriere bedeutet?
Herheim: Nachdem ich in den vergangenen Jahren als Enfant terrible gehandelt wurde, rufen nun auch Opernhäuser an, die das sogenannte Regietheater eigentlich gar nicht wollen. Da geht es oft nur um meinen Namen. Ich versuche immer klar zu machen, unter welchen Voraussetzungen eine Inszenierung meines Erachtens zu entstehen hat, ob es passt oder nicht.
ddp: Gehen Sie eigentlich selbst in die Oper?
Herheim: Immer wieder, ja!
ddp: Was gibt es für Pläne?
Herheim: Im Herbst ist «Der Rosenkavalier» in Stuttgart geplant. Ich bin bis 2015 verplant, es geht unter anderem nach Kopenhagen, Oslo, Salzburg, Amsterdam, Zürich und London. Dazwischen arbeite ich auch wieder in Berlin - dann allerdings an der Komischen Oper.