Die Schlagzeilen klingen sensationell. Die GEMA hat das höchste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Mehr als eine Milliarde Euro kann sie an ihre Beteiligten ausschütten. Eine Steigerung zum Vorjahr um gut 13 Prozent. Ähnlich laut tönt der Bundesverband Musikindustrie – kurz: BVMI – mit seinen Marktdaten für 2022: „Umsätze der Musikindustrie [also Umsätze aus Verkäufen von CDs, Vinyl-LPs und Downloads sowie den Erlösen aus dem Musikstreaminggeschäft] in Deutschland überspringen erstmals wieder seit 2002 die 2-Milliarden-Euro-Marke.“ Grund zum Jubeln? Ja und Nein.
Zum „Ja“: Nach den mageren Jahren, vor allem in Folge der weltweiten Corona-Pandemie, die gerade im Veranstaltungsbereich zu Einnahmeausfällen geführt hat, ist dieser Bereich bei der GEMA wieder stark wachsend, wenngleich es im Jahr 2022 über 300.000 Veranstaltungen weniger gab als 2019. Umgekehrt zeigt sich die Wirkung bei den Erträgen aus dem Verkauf von (Auch-)Speichergeräten wie Tablets, die sich um 30 Prozent verringerte. Die Einnahmen aus dem Verkauf von CDs oder Schallplatten ist, zusammengerechnet, weiter rückläufig, kompensiert werden die Verluste durch den wachsenden Markt im Bereich des Musikstreamings.
Erstaunlich ist auch die Steigerung der Mitgliederzahlen um fast 5.000 zum Vorjahr. Ein bemerkenswerter Trend, der seit 2019 an Fahrt zugenommen hat (2019: 76.489 – 2022: 89.611). Dabei machen die Komponist*innen und Textdichter*innen den größten Anteil der Steigerung aus – über die Jahre eher leicht fallend, die Anzahl der Mitglieder im Bereich der Verlage, letzteres möglicherweise ein Prozess der Marktkonsolidierung. Gleichzeitig wuchs die Zahl der „ordentlichen“ Mitglieder im Vergleich zum Vorjahr um gerade mal zehn Personen (davon 9 im Bereich Komposition), und das, obwohl man die Voraussetzungen für eine ordentliche Mitgliedschaft abgesenkt hatte. Allerdings ist zum Erwerb der ordentlichen Mitgliedschaft unter anderem eine fünfjährige außerordentliche Mitgliedschaft Voraussetzung. Diese wäre sogar allen außerordentlichen Mitgliedern möglich, würde man die Verteilsumme von 1.009.420.000 Euro (abzüglich Inkassomandate Ausland) auf alle Mitglieder gleichmäßig verteilen: 9.171 Euro bekäme da jede*r (auch Rechtsnachfolger oder Verlag) im Durchschnitt vom Kuchen ab. Im Umkehrschluss heißt es: Bei der GEMA profitieren immer noch sehr wenige sehr viel und sehr viele weiterhin wenig bis sehr wenig. Der Mitgliederzuwachs zeigt wohl auch Auswirkung der gesteigerten Verbreitung von Nutzungen in medialen Netzen wie TikTok oder YouTube, insbesondere in den Jahren der Pandemie, an. Problem: Die Verteilungssumme der GEMA hat sich nicht im gleichen Maß gesteigert wie die Anzahl ihrer Mitglieder. Im Durchschnitt werden die Tortenstücke für die Mitglieder daher kleiner.
Vorbei scheinen damit nicht nur die Jahre ausdauernden GEMA-Bashings. Vielleicht zeichnen sich hier sogar Effekte ab, die Ergebnis der Umsetzung der EU-Richtlinie zum Urheberrecht im europäischen Binnenmarkt wären. Nicht das Ende des Internets ist, wie von Aktivisten prognostiziert, eingetreten, sondern das Gegenteil: Die Regulierung und Sicherung in den Netzen fördert nicht nur Kreativität, sondern auch deren wirtschaftliche Verwertung.
Zum „Nein“: Das Problem bei diesen Rekordergebnissen liegt vor allem im Hoffnungsträgermarkt des Musikstreamings. Warum eigentlich? Der Bericht des Branchenverbandes BVMI macht den Wandel durch Medien- und Verbreitungswegewechsel ganz klar: „Anders als vor 20 Jahren stammt (…) heute mit 80,3 Prozent der weit überwiegende Teil der Einnahmen aus Online-Verkäufen gegenüber 19,7 Prozent aus dem physischen Geschäft. Mit weitem Abstand stärkstes Marktsegment ist dabei das Audio-Streaming, das um deutliche 14,0 Prozent zulegte und inzwischen einen Anteil von 73,3 Prozent am gesamten Branchenumsatz hat.“
Die Perspektive der Urheber*innen ist eine andere, denn die Erlöse aus dem Streaming kompensieren eben nicht die Verluste aus den Erlösen im CD-Geschäft. Vielmehr geht die Schere zwischen denen, die sehr vom Streaminggeschäft profitieren und denen, die nur die Krümel abbekommen auseinander. Zugleich tobt ein Kampf um die Pole-Position in Sachen Musikstreaming zwischen den großen Anbietern, allen voran „Spotify“ mit einem Marktanteil von etwa 30 Prozent und drei Verfolgern „Amazon Music“, „Tencent Music“ und „Apple Music“ (mit zirka 13 Prozent Musikanteilen). Wenn man zudem sieht, dass Spotify seit seinem Start bislang trotz steigenden Umsätzen im Markt bisher nur rote Zahlen schreiben konnte, muss man konstatieren, dass der Marktkampf um Platz 1 in diesem Segment auch und vor allem auf dem Rücken der Kreativen geführt wird, die Plattenfirmen und Labels hingegen nach der Durststrecke der 10er Jahre vom aktuellen Boom profitieren. Wie wenig Kreative im Fokus der Streamingdienste stehen, zeigt auch das Verhalten des neu gestarteten Klassikstreamingdienstes unter der Haube von Apple Music, die sich darüber ausschweigen, nach welcher Methode sie die Nutzung abrechnen (nach der für E-Musik schlechteren Variante per Stück oder nach der besseren Methode der Dauer).
Perspektivisch wird für die Kreativen die Konkurrenz aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) zunehmen. Je besser diese auch kreative Prozesse simulieren kann, bei gleichzeitiger Freiheit von Nutzungs- und Urheberrechten, wird die Luft für die Kreativen ganz sicher dünner werden. Die Initiative Urheberrecht warnt in ihrer Stellungnahme vom 19. April 2023: „Der Output von KI-Systemen hängt von dem Input ab, mit dem sie trainiert werden; dazu gehören Texte, Bilder, Videos und andere Materialien von Urheber:innen, ausübenden Künstler:innen und weiteren Rechteinhabern: Unser digitales Gesamtrepertoire dient dem Training von KI, oft ohne Genehmigung und unvergütet und nicht immer für legitime Zwecke. Die ungefragte Nutzung des Trainingsmaterials, seine intransparente Verarbeitung und die absehbare Substitution der Quellen durch den Output generativer KI werfen grundsätzliche Fragen nach Verantwortung und Haftung wie auch Vergütung auf, die zu klären sind, bevor der Schaden irreversibel ist.“
Es ist leider zu befürchten, dass sich hier etwa der 10 Jahre andauernde Streit zwischen Content-Provider-Plattformen (wie YouTube) und Verwertungsgesellschaften auf einem neuen Schauplatz wiederholt, allerdings um die urheberrechtlichen und ethischen Faktoren bei Plagiat, Fälschung, Missbrauch und Haftung erweitert. Die Zeit drängt unerbittlich, sonst stellen die Technologie-Entwickler Fakten her, die schwer umkehr- und einhegbar sein werden. Es wäre sicher kein Fehler, die Prozesse gleich global zu verhandeln.