Hamburg - Konzerte können wieder ohne Masken und Abstand besucht werden. Doch obwohl die coronabedingten Regeln weggefallen sind, ist die Kultur- und Veranstaltungsbranche noch immer am Limit. Denn entweder werden keine Tickets verkauft oder für gut verkaufte Konzerte fehlt Personal.
Nach zwei traurigen Corona-Jahren mit Lockdown, geschlossenen Clubs und abgesagten Konzerten hatten viele Veranstalter und Bands auf das Jahr 2022 gehofft. Und tatsächlich gab es auch wieder viele Festivals, Konzerte und Tourneen. Doch gleichzeitig kam es dennoch immer wieder zu Absagen. Die Gründe dafür sind vielfältig: schlechter Vorverkauf, zu hohe Produktionskosten und fehlendes Personal.
Die Branche hat nach der teils zweijährigen coronabedingten Zwangspause längst noch nicht zu alter Stärke zurückgefunden, ist die übereinstimmende Meinung von Veranstaltern, Managern und Verbänden. «In der Pandemie haben alle gedacht, dass es total abgehen würde, wenn man die Tore wieder aufschließen darf. Das ist aber nur in Teilen eingetreten», sagte beispielsweise Frehn Hawel von der Karsten Jahnke Konzertdirektion in Hamburg.
So seien die Veranstaltungen mit internationalen Mega-Stars zwar häufig ausverkauft, ergänzt der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft. «Das gilt jedoch nicht für den Rest und damit die absolute Mehrzahl der aktuellen Konzertangebote», sagte Verbandspräsident Jens Michow.
Denn viele Musikfans sind beim Kauf der Tickets zurückhaltender geworden. «Es ist im Moment eine schwierige Gemengelage. Corona ist noch nicht wirklich vorbei. Die Spätfolgen treffen auf die Teuerungen und den Krieg. Und das löst eine Unsicherheit auf zu vielen Seiten aus», so Frehn Hawel.
«Das ist ein Riesenpaket, das alles fördert - außer Unbeschwertheit.» Der Vorverkauf läuft deshalb bei vielen Musikerinnen, Musikern und Bands deutlich schlechter an als die Branche das üblicherweise gewöhnt ist. «Vieles versandet bei einer 20-Prozent-Marke, die Leute kaufen teilweise kurzfristiger. Aber du weißt auch nicht, ob sie es tun. Das macht die Planungen einer Europatour für viele Acts extrem schwierig», sagte Hawel dazu.
Bei halbvollen Hallen werden die Veranstaltungen häufig abgesagt. Für Bands, die sich ihr Publikum über Live-Auftritte erst noch erspielen müssen, ist das ein Schlag ins Kontor. Denn sie sind auf die Einnahmen durch die Touren angewiesen. Veranstaltersprecher Hawel: «Streamingdienste gelten vielmehr als Visitenkarte, stellen aber für den Großteil der Acts keine nennenswerte Einnahmequelle dar.»
Für sie lohnte es sich jedoch zuletzt immer weniger, auf Tour zu gehen - vor allem, wenn sie erstmal abgesagte Konzerte aus 2020 und 2021 nachholen. Dann kann es passieren, dass sie sogar trotz gut verkauftem Haus mit einem dicken Minus rausgehen. Verbandspräsident Michow: «Die Preise dieser Karten wurden auf der Kostensituation des Jahres 2019 kalkuliert. Wir wissen alle, wie dramatisch seitdem alle Kosten und vor allem die Dienstleistungskosten gestiegen sind. Und das gilt ja nicht nur für das Personal, sondern für alle Veranstaltungskosten.»
Und dann ist da noch der Personalmangel, der die Branche zusätzlich immens bremst. So würden sogar ausverkaufte Konzerte abgesagt, weil mittlerweile schlicht Personal fehle, sagte die Hamburger Musikmanagerin Salome Agyekum dazu. Viele vor, auf und hinter der Bühne arbeitende Männer und Frauen hatten sich aufgrund der coronabedingten Unwägbarkeiten neue Jobs gesucht. «Die meisten Leute kommen nicht mehr zurück», sagte Agyekum. Sie hatte deshalb vor wenigen Tagen in Hamburg das kostenlose Streaming-Benefiz-Konzert «All Hands on Deck» mitorganisiert, um die Lücken aufzuzeigen.
Stars wie Clueso, Zoe Wees, Alvaro Soler, Jeanette Biedermann, Beatrice Egli, Lina und viele mehr nutzten ihre Auftritte, um auf den enormen Nachwuchsmangel in der Branche aufmerksam zu machen. Musikbegeisterte mit Lust auf diesen Job seien deshalb dringend gesucht.
Weil all diese vor allem aufgrund der Corona-Pandemie entstandenen Probleme auch in den kommenden Monaten aktuell bleiben, hofft die Branche nicht nur auf bessere Vorverkäufe und mehr Personal. Auch die Staatshilfen seien weiterhin unabdingbar, so Verbandspräsident Michow. «Viele Kulturveranstalter sind leider nach wie vor auf staatliche Hilfen angewiesen.»
Die Branche habe bis 2019 nie Förderungen in Anspruch genommen, nun aber werde sie sich ohne etwa das 2021 für Live-Konzerte geschaffene Förderprogramm Neustart Kultur nicht so schnell wieder erholen. Für 2023 erwartete Michow nochmals ein sehr schwieriges Jahr für die Kulturveranstaltungswirtschaft. «Wenn nicht sogar das schwierigste».