Dienstag, 3. März 2020: Die jüngste nmz mit der Beilage zu 40 Jahren Musikmesse war gerade erschienen, da musste die Messe auch schon abgesagt werden. Das Coronavirus hatte von heute auf morgen die Welt verändert. Musikleben und Musikwirtschaft sind besonders stark betroffen, und so kommt die nmz nicht umhin, in dieser Ausgabe die ersten Folgen der Corona-Krise fürs Musikleben in einem Schwerpunkt zu thematisieren. Dazu befragen wir auch Verlage und Instrumentenhersteller. Bis zum Redaktionsschluss erreichten uns Antworten von Detlef Kessler (AMA Verlag), Barbara Scheuch-Vötterle (Bärenreiter Verlag), Nick Pfefferkorn (Breitkopf & Härtel) sowie Johannes Graulich (Carus Verlag). Von den Seiten der Instrumentenbauer erreichte uns vor Redaktionsschlus nur die Stellungnahme von Armin Hanika von der Konzertgitarren-Manufaktur Hanika (Seite 17).
neue musikzeitung: Inwieweit ist Ihr Haus von der Absage der Musikmesse wegen der Corona-Krise betroffen?
Detlef Kessler: Wir haben bereits seit Wochen mit großer Sorge die Entwicklung auf unserem Musikmarkt beobachtet und stellen eine immer größere Hysterie fest, besonders ausgelöst durch die Boulevard-Berichterstattung bundesweit. Darum haben wir rechtzeitig unsere langjährigen Geschäftspartner kontaktiert, um die Belieferung mit unserem breiten Repertoire und den Werbeträgern sicherzustellen.
Barbara Scheuch-Vötterle: Nach unserem derzeitigen Stand ist die Musikmesse 2020 nicht abgesagt, sondern wird verschoben. Je nachdem, wann der Ersatztermin stattfindet, ist allerdings fraglich, ob die Musikmesse 2020 dann die gewünschte Resonanz bei Besuchern und Ausstellern findet. Unabhängig davon spürt unser Unternehmen derzeit vor allem Auswirkungen im Hinblick auf stetig zunehmende Absagen von Messen, Konzerten, Aufführungen sowie sonstigen Veranstaltungen im In- und Ausland. Diese beeinträchtigen einerseits die vertriebliche Arbeit, führen aber vor allem im Bühnen- und Konzertbereich zu konkreten Umsatzrückgängen. Hinzu kommen Einschränkungen für Dienstreisen und Besuche im Haus, die unser Unternehmen aus Rücksicht auf die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgesetzt hat.
Nick Pfefferkorn: Der Verlag Breitkopf & Härtel wäre in diesem Jahr ohnehin erstmals nicht mit einem eigenen Stand auf der Messe vertreten gewesen, da ich diese – in der jetzigen Form – als Relikt vergangener Zeiten betrachte. Wir hätten uns im B2B-Bereich mit unseren Kunden getroffen, das fällt nun allerdings auch weg.
Heute, zum Zeitpunkt der Beantwortung Ihrer Frage (Montag, der 16. März), kann ich sagen: Ja, wir sind unmittelbar betroffen, wie andere Kollegen/-innen auch. Bühnen und Orchester weltweit stornieren ihre Aufführungen, Händler weltweit setzen ihre Bestellungen aus, NOVA-Dienste werden storniert beziehungsweise können finanziell zum Teil von den Kunden nicht mehr bedient werden. Das sind selbstverständlich nur die unmittelbaren, sofort spürbaren Auswirkungen. Eine zweite Welle wird uns treffen, wenn Ende des Jahres 2020 beziehungsweise Anfang 2021 die Vertreterabrechnungen aus dem Ausland eintreffen, die dann natürlich dieselben Effekte noch einmal widerspiegeln. Eine dritte Welle werden die Verwertungsgesellschaften sein, deren Ausschüttungen sich entsprechend wesentlich verringern werden. Der Schaden (oder um es beim Namen zu nennen: der Verlust) ist jetzt noch nicht einmal im Ansatz abzusehen und zu beziffern. Unnötig zu erwähnen, dass unsere finanziellen Verpflichtungen selbstverständlich weiterhin bedient werden müssen.
Johannes Graulich: Wir hätten gerne persönlich mit unseren Handelspartnern gesprochen, gerade mit den stationären, die die Corona-Krise sicher schon jetzt stark spüren werden. Die Musikmesse war bisher auch ein guter Moment für Networking, essenziell für eine Branche wie unsere. Auf der anderen Seite hat die Bedeutung der Musikmesse für uns als Verlag in den letzten Jahren schon abgenommen.
Nicht ändern, intensivieren
nmz: Wie vermarkten Sie aktuell Ihre Messeneuheiten?
Kessler: Die Messeneuheiten vermarkten wir auf unseren bekannten Vertriebswegen und bringen auch schwerpunktmäßig Informationen an die vielen Musikliebhaber. Davon profitiert besonders der Handel. Wichtig ist uns aber, dass das Marketing sich nach unseren Noten-Veröffentlichungen richtet und sicherstellt, dass wir eine breite Resonanz haben. Das verfolgen wir auch in diesen Wochen und halten Kontakt zu allen unseren Musikfreunden und Handelspartnern im Land.
Scheuch-Vötterle: Aktuell ist keine Anpassung von Marketing und Vertriebswegen speziell aufgrund des Coronavirus angedacht. Die Bärenreiter-Unternehmensgruppe passt bereits seit Jahren das Marketingkonzept an aktuelle Gegebenheiten an und ist hier durch Nutzung verschiedenster Kanäle breit aufgestellt. Ein vorübergehender Verzicht auf öffentliche Veranstaltungen wie Messen und Kongresse ist daher durch bereits vorhandene andere Marketingkanäle kurzzeitig zu kompensieren. Bei einer länger anhaltenden Phase müsste allerdings über einen Strukturwandel im Marketing nachgedacht werden, bei dem dann die stärkere Nutzung medialer Möglichkeiten (Webinare, etc.) eine größere Rolle spielen wird. Derzeit ist aber der persönliche Kontakt zu Händlern, Kunden und Künstlern im Rahmen von Veranstaltungen weiterhin ein wesentlicher Baustein unserer Vertriebsarbeit, den wir nach Überstehen der aktuellen Phase wieder nutzen möchten.
Pfefferkorn: Wir ändern nichts, wir intensiveren jedoch sicherlich. Wir haben in den letzten Jahren ohnehin das Online-Marketing (Stichwort: Social Media) verstärkt genutzt und dort auch das unmittelbare (zumindest ausschnittsweise) Feedback unserer Kunden erfahren. Wir rechnen auch damit, dass alle Titel planmäßig erscheinen werden. Die Frage müsste nicht lauten, wie wir diese Neuheiten vermarkten, sondern a) wen diese in der aktuellen Situation interessieren und b) ob und wie sie zum Kunden gelangen werden.
Graulich: Schwerpunkt ist neben dem Handelsmarketing schon lange auch das Online-Marketing und die direkte Ansprache von Chorleiter*innen. Online-Promotion und Online-Verkauf werden für uns immer wichtiger. Gerade international sind Online-Händler im Aufwärtstrend.
nmz: Müssen Sie aktuell Umsatzeinbrüche befürchten?
Kessler: Es ist noch viel zu früh, um hier Prognosen zu wagen, aber wir werden mit unserem Team von Berlin aus alles unternehmen, um weiterhin auf dem Markt stattfinden zu können und immer wieder die Erwartungshaltung der aktiven Musiker erfüllen zu können.
Scheuch-Vötterle: Umsatzeinbußen verzeichnen wir bereits konkret im Bereich Bühne und Orchester und rechnen hier auch weiterhin mit Absagen von Konzerten und Aufführungen. Der ganz überwiegende Teil dieser Veranstaltungen wird ersatzlos entfallen und nicht nachgeholt, das heißt es handelt sich um reale Verluste. Die Pläne einiger Häuser, Konzerte und Aufführungen ohne Publikum zu spielen und zu streamen, sind zwar ein guter Ansatz, fangen aber bei weitem das entstandene Defizit nicht auf.
Pfefferkorn: Siehe zu Frage1.
Graulich: Ich fürchte in allen Bereichen. Also Print, CD/Audio. Streaming nimmt zwar zu, aber im Klassikbereich sind die Klickzahlen nicht ausreichend, um bei den Vergütungsstrukturen halbwegs Geld einzunehmen, geschweige denn hochwertige Produktionen zu finanzieren. Lizenzeinnahmen gehen natürlich auch zurück.
nmz: Welche wirtschaftlichen Auswirkungen lassen sich für Ihr Unternehmen prognostizieren?
Kessler: Wir spekulieren nicht, das haben schon viel zu viel die Medien versucht. AMA steht zu seinen Musikkunden und versucht alles, um auch weiterhin mit der Leidenschaft von uns Musikern die Erwartungen zu erfüllen. Das zeigt sich auch mit der Veröffentlichung unserer drei erfolgreichen Neuerscheinungen (Vocal-Secrets Gesangskonzepte mit Onlinekurs, Classique Basics, Odd meters: Ungerade usw.).Wir blicken zuversichtlich in die Zukunft, weil wir uns seit Jahrzehnten als mittelständisches Unternehmen trotz eines harten Wettbewerbs gut behaupten konnten.
Scheuch-Vötterle: Die wirtschaftlichen Auswirkungen hängen wesentlich von der Länge der kritischen Phase ab, die nach derzeitigem Stand noch nicht abgesehen werden kann
Pfefferkorn: Im Bereich Mietmaterial Bühne und Orchester sind es zirka 50 Prozent Umsatzeinbruch, der zu erwarten ist. Dies lässt sich aufgrund der Verträge recht gut beziffern. Die Frage wird sein, ob zum Beispiel kleine und Freie Bühnen und Orchester diesen 50-Prozent-Anteil für das stornierte Leihmaterial kurzfristig überhaupt bedienen können. Aufführungsgebühren (sog. Tantiemen) fallen bei einer stornieren Aufführung natürlich zu 100 Prozent weg. Hier rechnen wir mit einem Totalausfall.
Graulich: Das ist für eine Abschätzung noch zu früh. Der Februar war nicht so gut wie gewohnt. Weiterer Umsatzrückgang wird sicher kommen. Mittlerweile haben wir bei Carus Kurzarbeit eingeführt.
nmz: Welche Forderungen zur Krisenbewältigung haben Sie an die Politik?
Kessler: Wir sind irritiert und auch enttäuscht, dass die sonst so selbstsicher auftretenden Politiker aus Bund, Ländern und Gemeinden sich nicht sehen und hören lassen, sondern vielmehr die verunsicherte Kulturszene alleine lassen und keine Wegweiser und keine Mutmacher sind, um vielleicht mit Zuschüssen für den Mittelstand zu helfen, damit ein renommiertes Kulturland wie Deutschland nicht allein gelassen wird und die gesamte Kulturszene in Gefahr gerät, kaputt zu gehen.
Scheuch-Vötterle: Bei dieser Frage ist zu berücksichtigen, aus welcher Perspektive und mit welcher Weitsicht man sie beantwortet. Kurzfristig führt die derzeitige Praxis, Veranstaltungen abzusagen, zwar zu unmittelbaren Umsatzeinbußen, dennoch sind wir der Meinung, dass diese Maßnahmen notwendig sind, damit Gesellschaft und Wirtschaft diese Phase bestmöglich bewältigen. Wünschenswert wäre aus unserer Sicht allerdings eine bundeseinheitliche Regelung, die Veranstaltern und Künstlern Sicherheit im Umgang mit der Situation bietet, die für alle Beteiligten neu ist.
Pfefferkorn: Ich denke, dass mit der Lockerung der Zugänglichmachung von Kurzarbeit schon mal ein wesentlicher Schritt getan ist. Ich kann mir vorstellen, dass für viele Kolleg/-innen im Verlags- und Handelsbereich auch kurzfristige Liquiditätshilfen essentiell sein werden.
Angemerkt sei noch, dass wir auch die tausenden freischaffenden Künstlerinnen und Künstler im Blick haben, deren unmittelbare Existenz (!) von den hunderten Konzertabsagen bedroht ist. Ein Sänger oder Instrumentalist, der um die Passionszeit mehr als ein Drittel seines Jahreseinkommens erwirtschaften und damit seine Familie ernähren muss, steht nun plötzlich vor einem Totalausfall. Auch diese Folgen sind noch nicht mal entfernt abzuschätzen. Frau Staatsministerin Grütters hat ja hier auch schon unmittelbare Hilfe angeboten. Ich bin am Ende des Tages gespannt, wie das konkret aussehen wird. Keinesfalls möchte ich hier aber unken, sondern ich begrüße ihren Vorstoß außerordentlich!
Graulich: Der Kulturbereich benötigt weiterhin auf allen Ebenen eine breite Unterstützung, so dass wir in Deutschland Qualität und Quantität an musikalischen Angeboten behalten können. Ganz konkret muss es aktuell darum gehen, dass die Ausfälle von Konzerten und Aufführungen für Künstler und Veranstalter nicht existenzgefährdend sind. Auch die Verlage werden Ausfälle haben, denn sie hängen unmittelbar an den Veranstaltungen.
nmz: Beeinträchtigen die Maßnahmen zur Vermeidung einer starken Verbreitung des COVID-19 Virus die Arbeit Ihres Unternehmens? Verlagern Sie die Arbeit ins Homeoffice?
Kessler: AMA ist ein Unternehmen, das mit einem eingeschworenen Team nicht nur ein Zuhause für die Kultur ist, sondern auch in einer Krisenzeit, die durch die politischen Erklärungen noch verstärkt wird, zusammenhält und die Erfahrung von Jahrzehnten einbringt. Wir führen die Kunden sicher durch ein Minenfeld von Fehlinformationen und vergessen nicht, welche Freude es macht, selbst zu musizieren und mit einem reichhaltigen Notenangebot, wie es AMA seit vielen Jahren anbietet und bei dem Klang eines Klaviers oder einer Geige glücklich zu sein.
Scheuch-Vötterle: Neben den bereits angesprochenen Beeinträchtigungen der vertrieblichen Arbeit durch die Absage von Messen und Veranstaltungen sowie den Umsatzeinbußen vor allem im Bereich Bühne und Orchester kommen Einschränkungen durch Präventivmaßnahmen, die unser Unternehmen aus Rücksicht auf die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschlossen hat. Neben einem zeitlich befristeten Verbot von Dienstreisen wurde auch ein Besuchsverbot von externen Personen im Verlag umgesetzt. Stattdessen greifen die Kolleginnen und Kollegen für Gespräche verstärkt auf Telefon und Skype zurück. Sollte die weitere Lage es erfordern, sind verschiedene Maßnahmen geplant, unter denen sich auch die teilweise Verlagerung von Arbeiten in das Mobile Office wie auch die Aufforderung zum Abbau von Zeitguthaben oder Urlaub befinden.
Pfefferkorn: Das ist eine gute Frage. Im Moment sitze ich im Zug auf dem Weg von Leipzig nach Wiesbaden und beantworte Ihre Fragen. Ja, der Verlag Breitkopf & Härtel wird natürlich reagieren. Weniger jedoch aus Gründen der Panik, sondern um die Sicherheit unserer Mitarbeiter/-innen zu gewährleisten.
Graulich: Wir sind dran. Wir haben ein stufenweises Vorgehen festgelegt. Das Wichtigste ist die Vermeidung von Kontakten. Wir haben das Haus daher etwas auf den Kopf gestellt und die Arbeitsplätze mit viel Abstand auf unsere drei Stockwerke verteilt. Auch für Homeoffice haben wir Pläne und die Machbarkeit überprüft. Aber wir sind ein Haus, in dem der direkte und kurze Weg des Austauschs unsere erfolgreiche Arbeit wesentlich mitbestimmt, von daher hoffen wir, dass wir mit den beschriebenen Maßnahmen klar kommen.
nmz: Sonstige Anmerkungen?
Scheuch-Vötterle: Trotz aller verständlichen Sorgen im Hinblick auf die Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus halten wir es für sehr wichtig, dass Maßnahmen besonnen und sinnvoll, dann aber konsequent umgesetzt werden. Eine entsprechende mediale Aufbereitung, die diese Aspekte berücksichtigt, ist hierfür unverzichtbar. Panikmeldungen machen die Situation nicht besser, wir brauchen eine klare und sachliche Berichterstattung, die Sicherheit gibt.
Pfefferkorn: Ich denke, dass besonnenes und vorrausschauendes Handeln von jedem Einzelnen und in jedem Bereich gefragt ist. Nach „Corona“ sollte „Solidarität“ das weltweit am meisten gedachte, gesprochene und in die Tat umgesetzte Wort sein. Egal, in welcher Sprache!
Graulich: Keiner weiß, was die nächsten Tage und Wochen bringen. Wir hoffen sehr, dass trotz aller aktuellen Sorgen und Bedenken die Freude und Lust am gemeinsamen Singen und Musizieren die Oberhand behält. Singen sorgt für gute Laune. Und die wiederum stärkt das Immunsystem.
Interviews: Andreas Kolb