Leipzig - Aus dem Holzkasten ragt rechts und links jeweils eine Antenne heraus. Carolina Eyck dreht an einem Knopf und hebt die Arme. Sekunden später schwingt ein sphärischer Ton durch den Raum, der ein wenig nach Cello klingt. Mit der rechten Hand scheint die Leipzigerin einen unsichtbaren, klangvollen Faden zu halten. Die linke Hand steuert berührungslos die Lautstärke am Theremin.
Ein besonderes Instrument, das Töne mit Hilfe von Handbewegungen in der Luft erzeugt. Weltweit gibt es nur wenige Musiker, die das Theremin professionell spielen. Für die Konzerteinspielung «Die acht Jahreszeiten» erhält Eyck am 18. Oktober einen Echo Klassik.
Die Musikerin formt mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. Wieder schwingen sich die Töne auf. Aus luftigen Gesten wird «Alle Vögel sind schon da». «Mit dem Theremin kann ich alles, was einstimmig ist, spielen - vom Kinderlied bis zur Symphonie, von Klassik bis Pop», schildert die 27-Jährige. Vor 20 Jahren entdeckte sie das kuriose Instrument im Haus ihrer Eltern. Der Vater Jan Bilk gehört bis heute zu den gefragtesten sorbischen Komponisten. Er kehrte seiner Lausitzer Heimat für das Musikstudium Ende der 1970er Jahre den Rücken, die Kinder wuchsen nördlich von Berlin auf.
Das Sorbische und die Musik gehören zum Leben von Carolina Eyck. Zuhause sprach die Familie die Sprache ihrer Lausitzer Vorfahren. Im Alter von fünf Jahren setzte sich das Mädchen ans Klavier, ein Jahr später kam Geige dazu. Da der Vater gern mit elektronischer Musik experimentierte, legte er sich das Theremin zu. «Das ist quasi der erste Synthesizer», sagt die Musikerin. Der Physiker und Cellist Leon Theremin konstruierte 1919 den Kasten, dessen Antennen elektromagnetische Felder umgeben.
Das sind die unsichtbaren Saiten oder Tasten der Thereministen. «Meine Anhaltspunkte sind meine Hände und mein Gehör», so Eyck. Die ersten Tipps zum Theremin-Spiel erhielt sie mit acht Jahren von Lidia Kawina, der Großnichte des Theremin-Erfinders. Regelmäßig trafen sich die beiden und perfektionierten ihr Spiel. Die neuentwickelten Handhaltungen, Noten und Bilder schrieb Eyck später parallel zum Abitur auf. Derzeit überarbeitet sie die Neuauflage des Buchs «Die Kunst des Thereminspiels».
Wieder lässt die Musikerin schaurig-schöne Töne erklingen, ein bisschen erinnern sie an einen Hitchcock-Film. Der Krimi-Regisseur setzte das Instrument in seinen Gruselklassikern ein. Auch experimentelle und populäre Musiker wie Led Zeppelin, der französische Elektronik-Musiker Jean Michel Jarre oder die Beach Boys arbeiteten mit dem Theremin. «Der Echo ist ein weiterer Schritt, dem Theremin seinen Platz in der Welt der klassischen Musik zu geben», meint Eyck.
An dieser Vision arbeitet die Leipziger Musikerin, die gerade ihre CD «Theremin Sonatas» herausgebracht hat, kontinuierlich mit den wenigen anderen Theremin-Spielern weltweit. Zu ihnen gehört auch Thierry Frenkel im französischen Colmar. «In Deutschland spielt nach dem Tod von Barbara Buchholz nur noch Carolina Eyck Theremin. Dazu kommen in den Niederlanden, in England und in Frankreich jeweils ein Virtuose», sagt er. Für das relative junge Instrument gebe es nur ein sehr kleines Noten-Repertoire und darum nur wenige Anfragen großer Orchester. Auch deshalb pflegen die Thereministen den Kontakt zu jungen Komponisten. «Aber die zeitgenössische Musik braucht, um sich in den Ohren zu setzen», so der Franzose.
Den Echo Klassik-Preis bekommt Eyck am 18. Oktober im Konzerthaus in Berlin für die neue Komposition des Finnen Kalevi Aho. Fünf Jahre lang arbeiteten sie an der preisgekrönten Aufnahme. Sie entstand im Januar 2013 gemeinsam mit der Hornistin Annu Salminen sowie dem Lapland Chamber Orchestra. «In dieses Stück habe ich bislang die meiste Zeit zum Üben hineingesteckt», sagt Eyck.
Diese musikalischen Innovationen belohnt die Deutsche Phono-Akademie - das Kulturinstitut des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI). Seit 1994 ehrt sie jährlich herausragende Leistungen nationaler und internationaler Künstler. «Die diesjährigen Preisträger spiegeln die große Vielfalt der klassischen Musik eindrucksvoll wider», sagt Geschäftsführer Florian Drücke. Wichtig sei darüber hinaus der Aspekt der Nachwuchsförderung. Neben Eyck und ihren Kollegen nehmen in diesem Jahr unter anderen auch Pianist Lang Lang und Riccardo Chailly mit dem Gewandhausorchester Leipzig die Trophäe entgegen.