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Thüringer Orchester setzen auf Papier statt PC

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Weimar/ Erfurt - Der Auftritt hat weltweit für Schlagzeilen gesorgt: Im November hatten die Musiker der "Brussel Philharmonics" anstelle von Papier-Notenblättern mobile Tablet-PCs benutzt. Dies stieß auch im Freistaat auf Interesse. Zumindest in den großen Häusern herrscht die Meinung vor, dass eines Tages die Tablet-PCs auch die Bühnen und Orchestergräben erobern werden.

Allerdings kommen die Geräte bisher nirgends in Thüringen zum Einsatz - aus Kostengründen und teils auch Tradition. "Ich sehe ich wenig Chancen, dass diese Technik in unserem Haus in der nächsten Zeit eingeführt wird", sagt der Orchesterdirektor des Deutschen Nationaltheaters (DNT) in Weimar, Nils Kretschmer. Für das Orchester müssten rund 100 Geräte angeschafft werden, hinzu kämen die Ausleihkosten für Noten. Zudem müsse ein Techniker abgestellt werden, der sich fast ausschließlich um die Gerätebetreuung zu kümmern hätte.

Profis fürchten Technik-Ausfälle

"Außerdem ist überhaupt noch nicht klar, wir hoch die Störanfälligkeit ist - und was passiert, wenn bei einem Gerät der Akku leer ist oder es abstürzt", sagt Kretschmer. Doch an Neugier fehlt es nicht: "Ich würde das schon gern einmal ausprobieren und die Reaktionen der Musiker hören", sagt er. "Ich glaube, dass das die Zukunft ist". Für ein solches Experiment mehrere Zehntausend Euro zu riskieren, komme allerdings derzeit nicht infrage.

Ganz ähnlich wird die Lage auch in Erfurt eingeschätzt. "Wir haben das mit großem Interesse intensiv verfolgt, momentan ist es aber noch kein Thema in unserem Haus", sagt die Sprecherin des Theaters Erfurt, Alexandra Kehr. Angesichts der vielen offenen Fragen, was die technische Umsetzung angehe, sei der "Leidensdruck" momentan aber schlichtweg nicht hoch genug, um eine solche Investition zu riskieren.

Auch die Orchester in Eisenach, Sondershausen, Gotha und Gera sehen in den kommenden Jahren kein Spielraum für eine Abkehr vom Papier. Selbst an der Hochschule für Musik in Weimar hat die Tablet-Technik bisher keinen Einzug gehalten. "In den nächsten zehn Jahren wird da sicher einiges passieren, wir warten aber erst einmal ab, bis das weiter um sich greift", sagt der Sprecher der Musikhochschule, Jan Kreyßig.

Für die Musik-Profis ist neben den Kosten vor allem die Größe der Geräte ein Problem. "Schon das Format DIN A 3 ist etwa für Dirigenten, die bis zu 52 verschiedene Stimmen eines Orchesters gleichzeitig vor sich haben, fast zu klein", sagte Kretschmer vom DNT in Weimar.

Papier hat im Profi-Bereich derzeit noch die Nase vorn

Unterdessen bereiten sich einige Verlage bereits auf das digitale Noten-Zeitalter vor. Unter anderem bietet der Verlag "Schott Music" aus Mainz bereits erste Apps und elektronische Partituren für Tablet-PCs an. Noch hätten die Geräte jedoch wenig Chancen, sich auf dem Markt durchzusetzen, sagt das Mitglied der Geschäftsleitung im Kasseler Bärenreiter-Verlag, Clemens Scheuch. Im kommenden Jahr würden von seinem Haus die ersten digitalen Editionen zusammen mit einer eigenen Tablet-App herausgegeben.

Die flächendeckende Einführung in Profi-Orchestern sei jedoch allenfalls der zweite Schritt, sagt Scheuch. "Im Profibereich gibt es doch Qualitätsansprüche, die im Moment mit Papier einfacher zu realisieren sind." Zielgruppe seien deshalb zunächst vor allem Musikschüler und -schulen. Hier sei von einem großen interaktiven Markt auszugehen. "Die Technik wird sich weiterentwickeln. Der 'Tod' des Papiers ist aber in den nächsten zehn Jahren definitiv nicht zu erwarten."

Für einige Häuser ist das Festhalten an Papier sogar eine Grundsatzfrage. "Noten auf dem Papier - sie klingen besser", meint der Generalmusikdirektor Landestheater Eisenach, Carlos Domínguez-Nieto. Der Grund sei schwer festzumachen. "Warum klingt ein Orchester besser, wenn alle festlich angezogen sind und nicht mit Turnschuhen? Was schmeckt besser: eine Erdbeere oder Kaugummi mit Erdbeer-Geschmack?"