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Träumen vom Amazon des Notendownloads

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Wie Musikverlage das Thema „App“ angehen
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Das Papiergeschäft geht zurück, der Verkauf Digitaler Noten läuft mies. Die jüngste Hoffnung der Musikverlage: Apps.

Die Herausforderungen der Digitalisierung bringen auch Musikverlage ins Schwitzen. Die Umsätze im Papiergeschäft gehen gemächlich, aber stetig zurück, gleichzeitig bleiben die Einnahmen im Digitalen mikroskopisch gering. „Der Schott Verlag wird sich sicher nicht vergrößern in den nächsten Jahren. Weder personell noch umsatzmäßig“, sagt auch Christiane Albiez, Unternehmenssprecherin beim Traditionsunternehmen in Mainz. Das klingt nicht so rosig für die Zukunft der rund 200 Mitarbeiter im Haus.

Schuld daran ist einerseits die Gratismentalität im Internet. Websites wie IMSLP stellen massenweise Noten zum Download bereit, bei denen die Schutzfristen abgelaufen sind. Ein genialer Service für den Nutzer, ein Verlust für die Verlage. Gleichzeitig gibt es den alten Kampf gegen illegale Kopien, der im Digitalen noch komplexer geworden ist. Nicht nur, weil die Vervielfältigung einfacher und schneller funktioniert, sondern auch, weil man es mit einem globalen Problem zu tun hat, was die Strafverfolgung verkompliziert. Und nicht zuletzt ist die Gefahr groß, sich im Wirrwarr neuer Möglichkeiten und Kanäle zu verheddern: Online-Shop, Website, Social Media, Digitale Noten, Apps.

„Hier haben viele Musikverlage die Entwicklung verschlafen“, konstatiert Christiane Albiez schon 2015 in einem DPA-Interview. Lange wurden hauptsächlich die Probleme der Digitalisierung beklagt, anstatt die neuen Potenziale zu nutzen. Schott Music erwacht als einer der ersten Verlage aus der Schockstarre und ruft 2010 mit notafina den ersten Onlinemarktplatz für digitale Noten ins Leben. Die Erwartungen sind riesig: „Wir hatten so großartige Träume wie das Amazon des Notendownloads zu werden“, erinnert sich Christiane Albiez. Doch daraus wird nichts. Der Mehrwert zu Gratisangeboten wie IMSLP wird dem Nutzer nicht klar, bis heute spült die Plattform kaum nennenswert Geld in die Unternehmenskasse.

Gleichzeitig bringt Apple das iPad auf den Markt. Der App-Markt boomt und auch die Musikverlage träumen davon, diesmal endlich auch ein Stück vom Kuchen zu bekommen. 2012 präsentieren Schott Music und der Bärenreiter Verlag aus Leipzig erste Notenapps. Während Bärenreiters Study-Score-App eigentlich nicht viel mehr zu bieten hat als ein PDF-Reader, verliert Schott sich mit der PluScore Sing-Along App im Meer der Möglichkeiten. Ähnlich wie bei Notensatzprogrammen kann man sich Stimmen vorspielen lassen, an- oder abwählen sowie Geschwindigkeiten und Tonarten variieren. Ein Problem ist allerdings die miserable Qualität der imitierten Instrumente, das Klavier klingt nach Toypiano, die Geigen nach singenden Sägen. Spaß machte das schon, nur waren die Bedürfnisse der Kunden andere. Denn um ernsthaft zu üben, leistete eine konventionelle Play-Along-CD mit echten Aufnahmen weitaus bessere Dienste. Wenn man bedenkt, wie zeitaufwendig und teuer es gewesen sein muss, diese technische Spielerei in der App zu programmieren, wundert es einen nicht, dass Schott das Projekt angesichts ausbleibender Einnahmen mittlerweile beendet hat. Der Verlag startet noch einen zweiten Versuch mit der App-PluScore Eulenburg, in der die in Schulen beliebten Studienpartituren digital erworben werden können. Doch auch dieser Versuch floppt, ähnlich wie bei Bärenreiter ist der Mehrwert zu PDFs hier zu gering.

Ein wirklich überzeugendes Ergebnis liefert als erstes die Chor-App für Laiensänger vom Carus-Verlag. Im Prinzip funktioniert sie ähnlich wie Plu-Score Sing-Along von Schott. Nur mit dem entscheidenden Vorteil, dass man professionelle Aufnahmen dazu geliefert bekommt. Die App wirkt zudem um einiges aufgeräumter und spart allen überflüssigen Schnickschnack aus: Ein schlichter Balken zeigt an, wo man sich gerade befindet, es gibt drei Abspiel-Geschwindigkeiten und auf Wunsch verstärkt ein elektronisches Klavier (das diesmal auch klingt wie ein Klavier!) die eigene Stimme.

Auch beim G. Henle Verlag in München hat man erkannt: Eine App muss zwar die Möglichkeiten des Digitalen nutzen, darf andererseits aber auch nicht die Qualität und Übersichtlichkeit des Notenbilds vernachlässigen. Die App Henle Library beinhaltet praktische Tools wie das Springen von einem Wiederholungszeichen zum anderen oder von der Solostimme eines Streichquartetts in die entsprechende Stelle der Partitur. Das Layout wiederum liefert die feine Ästhetik, das übersichtliche Notenbild, die man auch in der Druckausgabe schätzt. Henle Library ist dabei sowohl zum Üben als auch zum Konzertieren gedacht – und anscheinend auch geeignet: Der Pianist Igor Levit etwa spielt einen Großteil seiner Auftritte damit vom iPad.

Klar ist aber auch: Eine gute App ist nicht nur eine Frage guter Ideen, sondern auch der Kapazitäten, die man in das Produkt stecken kann und will. Bei Henle wurde die Pflege und Weiterentwicklung der App frühzeitig im Finanzplan bedacht. Das hat man bei Schott Music verpasst und die Investitionen in diesem Bereich sogar stark zurückgefahren, nachdem die PluScore-Apps floppten. Christiane Albiez sieht der Zukunft ihres Unternehmens dennoch gelassen entgegen: „Man muss einfach sehen, dass Unternehmen in diesen Zeiten auch gesundschrumpfen können. Das wissen wir hier alle, dass wir vermutlich nicht in dieser Breite in die Zukunft gehen können, wie wir jetzt aufgestellt sind. Aber wir sind keineswegs existenziell in Gefahr.“

Einem Unternehmen wie Schott Music, das in seinen unzähligen Aktivitäten bislang immer auf Wachstum gesetzt hat, könnte eine solche Schrumpfkur guttun. Denn die Qualität eines Unternehmens bewertet der Kunde nicht am Umfang des Angebots, sondern daran, ob es in den Dingen, die es macht, wirklich überzeugt. Im Bereich der zeitgenössischen Musik hat Schott diese Expertise bereits bewiesen, im Umgang mit digitalen Produkten wäre aber noch Luft nach oben.

Ein vertiefender Text des Autors zum Thema findet sich auf www.niusic.de

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