Zunächst war es vor allem die Expansion des CD-Markts, dann mehr und mehr die Angst vor dem Kollaps: Das Geschäft mit der klassischen Musik schweißt diejenigen, die davon leben müssen und wollen, in schwierigen Zeiten etwas mehr zusammen, und man beginnt ein wenig einzusehen, dass alle doch irgendwie in einem Boot sitzen. Messen wie die MIDEM in Cannes haben an Opulenz verloren, und es scheint, dass der rapide Rückgang des Glamour wieder mehr Inhalte zum Vorschein bringen könnte.
In Wien fand nunmehr im dritten Jahr die vom deutschen Independent-Zusammenschluss initiierte Fachmesse Classical:NEXT statt, von den verbliebenen traditionellen Majors Universal, Sony und Warner (noch) nach wie vor ignoriert – doch was soll’s, Naxos ist ohnehin längst der fetteste Fisch im Klassikaufnahmen-teich, und die sind unübersehbar präsent und bauen nicht nur ihre digitale und ihre Vertriebs-Dominanz kontinuierlich aus.
Die dreitägige Branchendrehscheibe in den herrschaftlichen Räumen der MAK am Wiener Stadtpark ist inzwischen eine Art jährliches Familientreffen geworden, im kommenden Jahr soll erstmals ein Innovationspreis ausgelobt werden. Ich meine, in der Musik geht es im Grunde mehr um Hingabe, Pflege und einzigartige Qualität, um die Kontinuität der Kreativität als um Strategien der Expansion und das Aufspringen auf aktuelle Züge. Dessen eingedenk, ist der Austausch über effizientes, zeitgemäßes Marketing, über professionelle Präsentation und Breitenwirkung insbesondere hinsichtlich jüngerer potenzieller Hörerschichten natürlich von Bedeutung, und hier konzentrieren sich vor allem die Angebote der Messemacher.
Natürlich ist die Classical:NEXT im Kern Austauschforum und Informationsbörse für Profis, also Label- und Programmmacher, Musiker und Agenten, Repräsentanten der in der IAMIC zusammengeschlossenen nationalen Musikinformationszentren, Journalisten und so weiter. Doch was die wenigsten ahnen: Diese Messe ist auch attraktiv für Musikfreunde, die in direkten Kontakt mit Künstlern und Fachleuten kommen wollen, die sich aus erster Hand informieren wollen über aktuelle Strömungen, über den musikalischen Reichtum international unterrepräsentierter Länder, die hier auskunftswillig ihre Informationsstände betreiben: Kroatien, Slowenien, die Slowakei und die baltischen Staaten, Belgien, Kanada, Korea, Griechenland und Zypern, Dänemark, die Schweiz, Luxemburg und weitere. Wo erhielte man so unmittelbaren Einblick in das Musikschaffen dieser Kulturen, ohne weite Reisen auf sich nehmen zu müssen?
Österreich ist natürlich zentral präsent, und die wirkliche Sensation ist die rot-weiß-rote Cafeteria. Sei es Meisterregisseur Christopher Nupen, Belgiens Undercover-Dirigentenlegende Daniel Gazon, der feinsinnige dänische Gitarrist und Produzent Lars Hannibal, IAMIC-Präsidentin Susanna Eastburn oder der omnipräsente schottische Musikautor, Toccata-Labelmacher und -Verleger Martin Anderson – sie alle genießen hier die köstlichste Melange „in meinem ganzen Leben“, so Nupen, und er kann auf ein langes Leben zurückblicken. Die rührigen Organisatoren von Piranha Arts in Berlin können stolz sein auf das, was sie bereits auf die Beine gestellt haben, mit üppigem Rahmenprogramm, das beispielsweise extravagante Showcase-Konzerte in pittoresken Locations beinhaltet, wo man kaum bekannte Ausnahmekünstler wie den japanischen Pianisten Hiroaki Takenouchi mit Programmen abseits des Mainstream kennenlernen kann. Es hat sich für alle gelohnt, die in ihrer Unabhängigkeit Anregung, Auseinandersetzung, Partner und Gleichgesinnte suchen, und diejenigen, die bislang mit Abwesenheit geglänzt haben, dürften früher oder später notgedrungen dazustoßen.
Die Classical:NEXT-Direktorin Jennifer Dautermann im Gespräch bei www.nmzedia.de. Stichwort: Classical next