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Unterschwellig unbehaglich

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Trial & Error auf der Popkomm 2000
Publikationsdatum
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nmz 2000/10 | Seite 6
49. Jahrgang | Oktober

Musikwirtschaft

Unterschwellig unbehaglich

Trial & Error auf der Popkomm 2000

Ach ja, diese Musikmesse in Köln. Die ist ja auch schon wieder lange her. Und wenn man nicht aufpasst, bleibt nicht viel mehr übrig als die monströsen Zahlen, die die Nachbereitung offenbart: 17.417 Fachbesucher aus 50 Ländern (erneut angeschwollen), 924 Aussteller aus 32 Ländern (53,8 Prozent aus dem Ausland, so viele wie nie) und vor allem: darunter 216 Firmen aus dem New Media-Bereich, 56 Prozent mehr als im Vorjahr, als das übergreifende Thema explizit noch „Digitale Revolution“ hieß. Da waren dann alle ganz fürchterlich nervös geworden, und wie zur Selbstberuhigung hing nun der Ruf „Chancen des digitalen Alltags“ über der Popkomm 2000.

Aber jenseits all dieser offizielen Töne, die mit verschiedenen Zahlen letztlich Jahr für Jahr immer das Gleiche sagen, bleibt doch etwas mehr hängen, wenn man diese Zeit dort in Köln mit fokussierten Sinnen verbracht hat. Und was da hängen bleibt, das ist wieder einmal dieses zwiespältige, unbehagliche Grundgefühl. Es ist diese verspannte Atmosphäre, die unterschwellig an jedem der unzähligen kleinen Treffpunkte herrscht. Ob an den Bars der Firmenstände, der „DVD“-Arena, den Messe-Imbissen, in den Panels oder bei den Werbepräsentationen – hinter jedem angeregt tönenden Gespräch, jedem Lächeln, jeder engagierten Diskussion, jedem bunten Licht und coolem Beat lauert dieser Zwiespalt. Der entsteht zwischen Profitwünschen, Überlebenskämpfen, Kontaktpflicht und dem omnipräsenten Diktat des Pop-sein-Wollens, dieser Verdammung zum Optimismus, zur lockeren Ausstrahlung, zur Lässigkeit, auch wenn man sich bedroht fühlen mag. Von der Konkurrenz, von besserer Musik, von den diffusen neuen Distributionskanälen des Internet. Gar nicht so einfach, diese Verspannung abends bei einem der Konzerte abzubauen. Erst recht nicht, wenn sich der Stress mit dem unruhig suchenden Blick nach den wichtigen Leuten in der VIP-Lounge des jeweiligen Events fortsetzt. Wohl denen, die sich da vorne/da unten vor der Bühne rechtschaffend und unbekümmert einen abschwitzen. Die unbekümmerten Konsumenten, die einfach nur eine gute Pop-Zeit haben können.

Die sind das Problem. Jene Kanäle des Internet sind deshalb noch nicht unter Kontrolle, weil schlicht und einfach das Verhalten der Konsumenten, der User nicht unter Kontrolle ist. In den Überschriften der Diskussionen und Vorträge herrschen die Fragezeichen, von „Deutscher HipHop – Wie lange hält der Boom noch an?“ über „Wer zu spät kommt, den bestraft der Markt?“ (zum Thema „Neue Business-Modelle“) bis „Digitalisierung – Das Ende der Promotion?“. Die unzähligen bunten lauten Gründungen von Firmen, die sich im Internet tummeln, wirken da wie Trial&Error-Versuche, den entscheidenden Knackpunkt zu finden.

Den gibt es höchstens als Feindbild. Was die Bonzen des Gewerbes wirklich an dem MP3-Tauschtool Napster gewurmt hat, sind in Wahrheit nicht finanzielle Verluste aufgrund von digitalen Kopien ihrer Musikstücke. Über diese Verluste ist sich sowieso niemand wirklich im Klaren. Es ist ja sogar von Untersuchungen die Rede, die beweisen wollen, dass die Eigendynamik so einer Börse den Musikträger-Kauf durchaus initiiert. Geärgert wird sich vor allem darüber, zum Beispiel von Universal-Chef Tim Renner, das die Napster-Chefs sich damit eine goldene Nase verdient haben (bis zu jenem Gerichtsurteil), aber in der medialen Öffentlichkeit als Pop-immante „Robin Hoods“ gehandelt werden. Bedenkliche Tendenzen und Fakten wie die fortschreitende Konzern-Monopolisierung (siehe die Gründung des Seagram-Universal-Kraftpakets vor einem Jahr) werden damit natürlich erfolgreich aus der Diskussion gedrückt.

Ein langjähriger Aussteller diverser Musikmessen (als Leiter eines kleinen, „konventionellen“ Plattenlabels) meint in den vergangenen Monaten beobachtet zu haben, dass – von der letztjährigen Popkomm über die Midem in Cannes im Januar über die SXSW Conferences in Austin im März bis zur Popkomm 2000 – die Anzahl der „dotcom“-Firmenpräsentationen um ein Vielfaches gestiegen sei. Aber, und das sei das Entscheidende, nur in wenigen Fällen würde er den gleichen großlettrigen Markennamen bei der nächsten Messe wiederbegegnen…
Und so muten die eleganten bis protzigen Stände der neuen Internet-Startups – ob Talent-Portale, Suchmaschinen, Livestreamservices, Distributionen – auf der Popkomm auch an: wie Werbepaläste für Ideen, deren Umsetzung noch diffus bleibt. Hauptsache, ein Name und das Design sind schon mal da. Doch fragt man mal an, was denn da nun wirklich so Besonders dran sei, dann ist die Site häufig nur ein Dummy, sind die Links noch nicht eingerichtet, kann man dies und das jetzt noch nicht machen, oder der Terminal ist gerade abgestürzt.
Es wird also viel erzählt und versprochen auf so einer Messe. Diese Branche hantiert zur Zeit wie vielleicht noch nie mit Gerüchten und Annahmen. Was davon wahr ist, worauf man sich da verlassen kann, was also einen tatsächlichen Gehalt hat, das verhält sich zum Schwindel wohl auch nicht anders als bei den vielen netten Minikontakten zwischendurch: „War schön, Dich zu treffen. Wir bleiben in Kontakt. Hier mein Kärtchen. Da machen wir was zusammen, ich ruf dich an…“ Und tschüss.

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