Der Pakt ist besiegelt, die Karawane zieht durchs Land. Gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und der MAWA Film- und Medien GmbH entwickelte die Deutsche Phono-Akademie e.V. ein völlig neues Konzept zur Vermittlung von Popkultur für alle Schultypen.
Welchen Stellenwert hat die SchoolTour für die Deutsche Phono-Akademie?
Oliver Schulten: Das Projekt hat einen extrem hohen Stellenwert, weil es mit den ursprünglichen Aufgaben und Zielen der Deutschen Phono-Akademie eng verbunden ist. Hierzu gehört nicht nur die Unterstützung des künstlerischen Nachwuchses, sondern eine Förderung der Musikkultur generell. Die Schule und der gegenwärtige Zustand des Musikunterrichts dort kann uns daher nicht gleichgültig sein.
: Pop und Politik kennt man aus Debatten und Kontroversen, meistens in jüngster Zeit verbunden mit Themen wie Urheberrecht und Rundfunkquote für deutsche Künstler. Jetzt gehen Pop und Politik erstmals gemeinsame Wege, wie ernst muss man das nehmen?
: Das leitet sich aus den von uns gemeinsam formulierten Ansprüchen und der bisher schon gemeinsam erlebten Praxis deutlich ab. Ich denke, dass die Politiker inzwischen begiffen haben, dass sie sehr viel besser wieder an Jugendliche herankommen und dort mehr Glaubwürdigkeit aufbauen können, wenn sie sich ganz konkret in Projekten engagieren, die diese Klientel auch wirklich erreicht. Über ein solches Engagement mit uns in den Schulen kann die Politik beweisen, dass sie die Jugendlichen ernst nimmt und auch ihre Interessen vertritt, ein gutes Mittel gegen Wahlmüdigkeit.
: Was steht auf dem Stundenplan der Veranstalter?
: Das ist die direkteste Vermittlung von Popkultur mit vielen interessanten inhaltlichen Zusammenhängen, die man sich nur vorstellen kann, denn hier kommen die Themen aus der Praxis in die Schule. Künstler können natürlich viel besser vermitteln wie es ist, jeden Tag mit und von Musik zu leben. Hierbei bietet eine Institution wie die Deutsche Phono-Akademie mit ihren direkten Kontakten zu Musikwirtschaft und Künstlern optimale Voraussetzungen für ein solches Vorhaben.
: Wie kommt denn diese Idee bei Künstlern an?
: Sehr gut, es hat ja auch bereits schon vorher viele Versuche in dieser Richtung gegeben. Künstler, insbesondere auch junge Künstler, haben ein grosses Interesse an dem direkten Kontakt zu Schülern, an dem persönlichen Gespräch, an Dialogen mit jungen Leuten.
: Die Schule wird offenbar als neuer, interessanter Ort wieder entdeckt - und das im Zeichen von PISA. Welchen Ort kann man denn dort entdecken?
: In der Praxis muss sich natürlich noch zeigen, wie sehr man am Aufbau eines moderneren Schulwesens überhaupt mitwirken kann und welche langfristigen Aspekte hierbei für alle Beteiligten entstehen. Wir haben unsere ersten Erfahrungen mit sehr großem Erfolg gemacht. In den Projektwochen, die wir initiiert und betreut haben, wurde die Schule tatsächlich zu einem ganz anderen Ort. Für diesen eigentlich extrem kurzen Zeitraum wurde die Schule zum kreativen Raum, wo einzelne Talente nach vorne kamen, die gar nicht so selten zu den eher schwierigeren oder zurückgezogeneren Schülern gehören. Für alle Schüler entsteht offenbar eine offenere und spannendere Atmosphäre, in der sie sich freiwillig engagieren und interessanterweise oft auch nicht mehr auf die Uhr schauen. So erhält man hier konkrete Anregungen für den normalen Schulalltag, der eigentlich von einer solchen Atmosphäre mehr geprägt sein sollte.
: Die PISA-Studie und weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass der deutsche Schulalltag mehr als kritikwürdig ist und die dafür Verantwortlichen sich kaum mit Fragen wie Kreativität und musischem Lernen befassen mögen. Kommt diese Initiative nun zu spät oder lässt sich dieser Lernbetrieb noch reparieren?
: Zu spät kommt es eigentlich immer, natürlich hätte man solche Aktivitäten schon viel früher starten können. Wenn man sieht, dass einzelne Schulen über Jahre vergeblich nach einem Musikpädagogen suchen, nennenswerte Musikangebote im Grund- und Hauptschulbereich fast schon ausgestorben sind, dann sollte es aber nie zu spät sein, dann müssen wir jetzt endlich das Ruder mit allen Beteiligten herumreißen. Auch die Musikwirtschaft erlebt derzeit eine schwere Krise, muss sich ebenfalls umorientieren und sich für die Zukunft neu aufstellen. Wir müssen uns weiter öffnen, in der Krise entgegensteuern, jetzt besonderns aktiv werden, gerade auch auf neuen Feldern, zurückziehen und bemitleiden dürfen wir uns auf keinen Fall. Wir wenden uns verstärkt an die Öffentlichkeit, sind der Politik enger verbunden als noch vor wenigen Jahren und die Jugend bleibt generell eine wichtige Zielgruppe, weshalb wir mit dieser Kulturförderung an Schulen auf lange Sicht auch für unsere legitimen wirtschaftlichen Zielen nutzen, was hier allerdings in keiner Weise irgendwie im Vordergrund steht.
: Was heißt das konkret?
: Musikalische Bildung ist für jeden Menschen notwendig, es macht die Menschen souveräner und hilft ihnen auch bei der Entwicklung ihres persönlichen Musikgeschmacks. Nimmt man dagegen eine Bildung ohne Musik und dann den Alltag, der auf beklagenswerte Weise von einem relativ eindimensional sendenden Radio geprägt ist, dann wird eine Entwicklung weg von jeglichem Niveau und höherem Anspruch begünstigt, die der gesamten Gesellschaft eigentlich Sorgen machen müsste. Es kann nicht die alleinige Aufgabe der Musikindustrie sein, der Gesellschaft und hierbei insbesondere Jugendlichen und Kindern, die Vielfalt von Musik sowohl historisch als auch in der Gegenwart zu zeigen, das überfordert unsere Mittel und Möglichkeiten und wäre in etwa so, als würde die Kultusministerkonferenz beschließen, dass der Deutschunterricht zukünftig von den deutschen Buchverlagen realisiert werden sollte. Wir dürfen die Hauptverantwortlichen für unser Bildungsdesaster nicht aus der Verantwortung entlassen, es muss auch ein Recht auf musikalische Bildung geben.
: Selbst wenn musikalische Bildung energischer an den allgemein bildenden Schulen betrieben werden würde, wäre der Weg zu besseren Inhalten damit doch aber noch lange nicht sicher gestellt.
: Insofern darf unser gemeinsames Projekt mit der Bundeszentrale für politische Bildung auch nicht unterschätzt werden. Dieses Beispiel ist absolut positiv! Nach direkten Verhandlungen im Kanzleramt mit Vertretern der Deutschen Phono-Akademie wurde dieses Projekt auf der Ebene mit dem Leiter der bpb, Thomas Krüger, zur beschlossenen Sache. Wir haben dann sehr lange in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe an den Inhalten gearbeitet und ein anspruchsvolles Paket geschnürt. Das Signal heisst eben auch: die Politik hat verstanden, jetzt arbeitet man gemeinsam mit Fachleuten aus dem Musikbereich an Alternativen für den Unterricht, an sinnvollen Ergänzungen, an einem dauerhaft installierten Netzwerk, welches die Phono-Akademie modellhaft mit Schulen bereits vorher entwickelt hat. Ein neuer Anfang ist also gemacht.
: Welche Veränderungen könnte SchoolTour an den jeweiligen Schulen bewirken?
: Musik ist einerseits liebste Freizeitbeschäftigung der Jugendlichen, andererseits oft das unbeliebteste Schulfach. An vielen Schulen sagen heute die Jungs: Musik ist doof, ist uncool, ist was für Mädchen. Wo wir waren, sagt das hinterher keiner mehr, an einzelnen Schulen konnte quasi vom Nullpunkt angefangen in nur einem Jahr das Interesse so angehoben werden, dass dort inzwischen mehr als 70 (!) Schüler am Instrument sind. Was die Zusammenarbeit mit einer Bundesinstitution hierbei bedeutet, ist klar, wir können hier ein interessantes Modell für die Zivilgesellschaft und privates Engagement der Bürgerinnen und Bürger öffentlich erproben. Dort, wo wir Netzwerke an Schulen unterstützten, sind neben kleineren Kulturverbänden und Künstlern eben auch Eltern dabei, die ebenfalls etwas ändern wollen und eigene Möglichkeiten hierfür entdecken. Für die PISA-Diskussion bedeutet das eine interessante Anregung: Mit privatem Engagement und einer grösseren Einbeziehung relevanter Praktiker kann man schneller aus dem Dilemma heraus.