Franz Liszt zeigte auf ihm seine Zauberkunststücke, Frédéric Chopin ließ sich eines nach Mallorca ins schaurig-schöne Kartäuser-Kloster von Valldemossa senden. Die Rede ist von Klavieren der französischen Marke Pleyel, ein Name, der in der Musikwelt des 19. Jahrhunderts für Instrumente von höchster Präzision und unvergleichlichem Klang stand. Doch nun ist das traditionsreiche, 1807 gegründete Unternehmen am Ende. Mit Ablauf des Jahres 2013 stellte der Betrieb in Saint-Denis im Norden von Paris die Produktion ein. Zum Schluss verließen nur noch rund 20 luxuriös veredelte Flügel pro Jahr die Werkstatt.
Auch die deutsche Klavierindus-trie geriet vor einigen Jahren in eine veritable Krise. 2009 sank der Absatz in Folge der weltweiten Finanzkrise um 30 Prozent, die Flaute zwang manchen Hersteller in die Knie, andere in ein Insolvenzverfahren. Die Leipziger Pianofortefabrik Zimmermann musste aufgeben, auch die Namen Ibach und Feurich verschwanden. Die Firma Schimmel startete 2010, nach einem Insolvenzplanverfahren, einen Neuanfang und schreibt seitdem schwarze Zahlen. Optimistisch blickt auch der Bundesverband Klavier (BVK) in die Zukunft. Eine „stabile Situation auf dem Niveau der unmittelbaren Vorjahre“ konstatiert Burkard Stein, Geschäftsführer des Herstellers Grotrian-Steinweg und zugleich stellvertretender Vorsitzender des BVK, „unter den Bedingungen des derzeitigen Wirtschafts- und Währungsgefüges ist nicht mit einem Abwärtstrend zu rechnen.“ Blickt man jedoch auf die letzten Jahrzehnte, so zeigt sich, dass die Klavierproduktion in Deutschland gewaltig geschrumpft ist. Anfang der siebziger Jahre verließen noch rund 30.000 Instrumente pro Jahr die Werkstätten, und Anfang des 20. Jahrhunderts fertigten Hunderte von Klaviermanufakturen die heute sagenhaft anmutende Zahl von rund 200.000 Instrumenten.
Rund zwei Drittel aller weltweit verkauften Klaviere – das sind rund 450.000 – stammen aus China, und die Großen der Branche heißen nicht etwa Bösendorfer, Schimmel oder gar Steinway, sondern Pearl River oder Hailun. Die deutschen Klavierbauer handeln daher nach dem Motto „klein, aber fein“. „Die asiatischen Billiginstrumente tangieren die deutsche Klavierindustrie nur dort, wo sie selbst solche Instrumente vermarktet“, meint Ulrich Sauter, Geschäftsführer der Firma Sauter und Vorsitzender Bundes Deutscher Klavierbauer (BDK) und geht noch einen Schritt weiter: „Grundsätzlich kann man sagen, dass die Verbreitung von Billigklavieren oder Digitalpianos auf lange Sicht den Markt für hochwertige Klaviere vorbereitet.“ Die gute handwerkliche Qualität der deutschen Instrumente ist allerdings auch ein Fluch. Der Markt ist mittlerweile beinah gesättigt mit guten, gebrauchten Instrumenten. Denn ein Klavier oder Flügel der Spitzenklasse bleibt jahrzehntelang spielbar und wird in Familien von Generation zu Generation vererbt.
Musik kommt vor Design
Doch auch die Strategie „Spitze statt Masse“ ist keine Erfolgsgarantie. Während der italienische Hersteller Fazio-li für seine Edelflügel eine Marktlücke gefunden hat, ist Pleyel mit einer ähnlichen Strategie gescheitert. Auch dort setzte man seit 2007 auf die Herstellung von Flügeln, die zuweilen als „Ferrari“ unter den Pianos bezeichnet wurden. Gekauft wurden sie von Millionären, die damit zum Beispiel ihre Luxusyacht garnierten. „Die von Pleyel zuletzt angebotenen Flügel, die von verschiedenen Designern gestaltet wurden, waren zwar sehr schön, aber zu extrem und deshalb nicht richtig marktgerecht“, urteilt Ulrich Sauter, „man darf nicht vergessen, dass die Käufer in erster Linie Musiker sind.“
Hersteller und Zulieferer in Deutschland beschäftigen rund 2.000 Mitarbeiter. Rund 10.000 Klaviere und 2.500 Flügel werden derzeit pro Jahr in Deutschland produziert, ein „erheblicher“ Teil davon, so Stein, auch inklusive sämtlicher Zulieferteile wie Mechanik, Hammerköpfe oder Saiten. Die Firma Sauter etwa verkaufte im vergangenen Jahr rund 550 Klaviere und gut 70 Flügel. Die fünfzig Mitarbeiter erwirtschafteten einen Umsatz von etwa 5 Millionen Euro. In Deutschland setzt die Branche rund 4.300 Instrumente ab, der überwiegende Teil, etwa 65 Prozent, geht ins Ausland. „Stabile Absätze“ verzeichnet man laut BVK in der Schweiz, Österreich, Luxemburg, Niederlande und Großbritannien, einen Rückgang hingegen in Frankreich, Italien und Spanien. „Wachstumspotenziale“ locken in Russland, in Südamerika und in asiatischen Ländern, dort vor allem in China, das seit etlichen Jahren von einer Woge der Klavierbegeisterung geflutet wird. Damit wächst dort auch, falls man das nötige Kleingeld hat, die Nachfrage nach Instrumenten von handwerklicher Qualität. „Soweit es die Spitzensegmente in Preisen und Qualität betrifft, profitieren die deutschen Klavierhersteller davon überproportional“, so Burk-hard Stein zu den Absatzchancen in Fernost. Auf dem Feld der Billigklaviere hingegen hat China längst eine führende Position inne. Der „gelbe Riese“ ist also nicht nur ein riesiger Absatzmarkt, sondern zugleich auch die Konkurrenz, die den Markt für Neueinsteiger im Klavierspiel beherrscht. Der typische Anfänger mietet ein Klavier oder kauft ein gebrauchtes oder eines aus chinesischer Herstellung, das für wenige tausend Euro zu haben ist. Dafür nimmt er einen Klang in Kauf, dem Sonorität und Brillianz fehlen. Für ein hochwertiges deutsches Klavier hingegen, überwiegend in Handarbeit hergestellt, mit einem vollen und runden Ton, sind nicht selten Preise wie für einen Kleinwagen zu zahlen. Hier deutsche Wertarbeit, dort chinesische Billigware – ganz so einfach liegen die Dinge allerdings nicht. Denn auch mancher deutsche Hersteller lässt in China produzieren – unter Wahrung deutscher Qualitätsansprüche, wie man betont.
Deutsche Klavierbaukultur
15 Hersteller sind im BVK Mitglied, darunter mit Fazioli ein italienischer, mit Bösendorfer ein österreichischer und mit Petrof ein tschechischer Hersteller. Im Familienbesitz sind nur noch die wenigsten unter ihnen. Doch alle eint das Bewusstsein für handwerkliche Qualität und der Stolz darauf, Erben einer langen Tradition zu sein. „Deutschland ist – abgesehen von Bösendorfer in Wien und dem kleinen italienischen Hersteller Fazioli - das einzige Land der Welt, in dem es noch eine Klavierbaukultur gibt“, unterstrich Christian Blüthner-Hässler, Vorsitzender des BVK jüngst in einem Artikel der Nachrichtenagentur dpa. Dass chinesische Hersteller Instrumente unter deutschen Phantasienamen verkaufen, ist dem BVK deshalb verständlicherweise ein Ärgernis und hat ihn dazu veranlasst, die Labels „Made in Germany“ und „Made in Europe“ zu vergeben. Ob nun Bösendorfer, Steinway, Fazioli oder Pearl River – oft genug schlägt in diesen Instrumenten ein Herz aus Deutschland. Das ist die aus Hunderten von Einzelteilen bestehende Mechanik. Und die stammt häufig aus dem Hause Renner. Wie der im Schwäbischen beheimatete Zulieferer haben sich weitere mittelständische Firmen auf die Produktion von Einzelkomponenten für die Klavierindustrie spezialisiert. Einer liefert Hammerköpfe, der andere Basssaiten, der dritte Stimmwirbel, Klaviaturstifte oder Stellschrauben. Diese ausdifferenzierte Zuliefererbranche, die ebenfalls weltweit exportiert, verleiht der deutschen Klavierbaukultur zusätzliche Bodenhaftung.
Trotz der Konkurrenz des Digitalpianos: das traditionelle Klavier führt mit Abstand die Hitliste der beliebtesten Instrumente an, die in Musikschulen unterrichtet werden. Wie eine Grafik des Verbands deutscher Musikschulen zeigt, liegt die Zahl der Klavierschüler an den öffentlichen Musikschulen seit Mitte der neunziger Jahre ziemlich stabil bei über 130.000. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Gitarre und Violine, das Keyboard liegt weit abgeschlagen auf den hinteren Rängen.
Mit dem Ende der Firma Pleyel verschwinde auch eine ganze Schule des Klavierspiels, klagt man derweil in Frankreich. In den zahlreichen Nachrufen wird zudem an den legendären Klang der Klaviere erinnert, die auch als die „wienerischsten“ – Firmengründer Ignaz Pleyel war gebürtiger Österreicher – der französischen Klaviere gelten. Mit den Marken verschwinden auch stets bestimmte Klangtypen. Beethoven donnerte gerne auf einem Broadwood-Flügel, wusste aber auch denjenigen der Wiener Firma Conrad Graf zu schätzen. Seit geraumer Zeit jedoch hat sich vor allem im Konzertleben eine Standardisierung durchgesetzt, die mit dem Namen Steinway verbunden ist. Kaum ein Saal oder ein Studio, in dem nicht ein Flügel des amerikanischen Herstellers (der in New York und Hamburg produziert) steht. Mehr als 90 Prozent aller Solopianisten entscheiden sich für einen Steinway, lässt das Unternehmen wissen. Was wiederum die Veranstalter unter Zugzwang setzt.
Und so finden die Künstler fast überall ein Instrument vor, das sie kennen und nicht erst mit längeren Einspielphasen erkunden müssen. Nur wenige Pianisten widersetzen sich dem Diktat des Einheitstimbres, wie etwa András Schiff, der, je nach dem Charakter des Stückes, in die Klangwelten eines Bechstein, eines Bösendorfer oder eines historischen Hammerklavieres eintaucht. Auch für Chopin war jedes Klavier eine eigene Ausdruckswelt: „Wenn ich in schlechter Verfassung bin, spiele ich auf einem Érard, wo ich einfach einen fertigen Ton vorfinde. Aber wenn ich voller Elan bin und die Kraft habe, einen Ton wirklich für mich zu finden, dann brauche ich einen Pleyel.“ Gut, dass er den Tod seiner Lieblingsmarke nicht mehr erleben musste.