Zum zweiten Mal veranstaltete Ende März der Bundesverband der Musikindustrie (BVMI) im Vorfeld der Verleihung des ECHO eine sogenannte Kulturkonferenz in Berlin. Dabei wurden ebenso die neuesten Zahlen präsentiert wie „Visionen“ ausgebreitet. Das als Kulturkonferenz zu verkaufen, ist ein bisschen fadenscheinig, auch wenn es einige Diskussionspanels zum Zustand der Musikindustrie gab.
Nach dem über Jahre hinweg dramatischen Niedergang der CD-Verkäufe, gewinnt der Vertriebskanal über das Netz langsam wirklich an Bedeutung. Freilich nicht genügend, wie auf einem Panel zu Streamingdiensten im Netz erläutert wurde. Denn vor die Vision hat die Ökonomie das Marketing gesetzt. Das bestand in den letzten Jahren in der fortgesetzten Verfolgung von „Musikpiraterie“ (durch CD-Brenner, durch wenig legale Tauschbörsen etc.). Abmahnfeste trafen nicht nur professionelle Schwarzhändler, sondern in bunter Weise auch kleine und kleinste Diebe vom Schulhof. Dem ausufernden Abmahnwesen hat die letzte Regierung durch die Deckelung der Abmahngebühren einen Riegel vorgeschoben – sehr zum Bedauern des Verbandes, der dies als Bagatellisierung geißelt.
Dabei läuft man selbst Gefahr, das eigene Produkt zu bagatellisieren. Die mittlerweile zahlreichen Streamingangebote locken mit Dumping-Preisen an die Kasse. Für knapp zehn Euro bekommt man im Monat bei dem einen oder anderen Anbieter den Zugriff auf ein millionengroßes Musikarchiv. Das ist der Schritt Nummer eins. Der Köder ist gelegt – man verramscht die Musik und da will man wieder von weg. Die eigene Zukunft sieht man in der schrittweisen Erhöhung der Preise. Und da steht man sich dann irgendwie gegenseitig im Weg. Der Musikkonsument wählt den billigsten Anbieter, nicht den teuersten. Also müssten die Anbieter konzertiert vorgehen. Das würde aber gegen das Kartellrecht verstoßen.
Eine andere Angst deutete der Vorstandsvorsitzende des BVMI Dieter Gorny an: „Nach wie vor machen die physischen Musikprodukte drei Viertel des Marktes aus. Was passiert, wenn diese physische Säule plötzlich zu wackeln beginnt, sehen wir aktuell in Japan, wo der Markt im letzten Jahr um 16 Prozent eingebrochen ist.“ Und da reden die Köpfe der Musikindustrie weiter von der Entwicklung der digitalen Ökonomie und menscheln vor sich hin, wie Philip Ginthör mit der kleidsamen Positionsbezeichnung: CEO Sony Music GSA, der pastoral verkündet: „Der Kern jeglicher Kreativökonomie – ob digital oder analog – ist und bleibt: der Künstler, der Kreative, der Mensch!“ Der Jargon der Eigentlichkeit ist von der Pädagogik in die Musikindustrie übergetreten. Der Kern, möchte man dem Wirtschafts-boss entgegnen, ist aber vielmehr nach wie vor das Geschäft, der rollende Rubel, die Optimierung des Menschen auf den Markt. Der wirklich kreative Samariter sitzt dagegen im Bildungsapparat, der Familie oder dem gemeinnützigen Verein. Wie die Musikindustrie damit umgeht, zeigt beispielhaft die Umwidmung des Projekts „Play Fair“ (einem Aufklärungsprojekt unter der wissenschaftlichen Führung der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover) zu einem Gütesiegel für legale Musikangebote im Netz.