Gewöhnlich gilt bei Verträgen zwischen Partnern, dass sie gerecht sein sollen und fair. Der eine gibt etwas und der andere bekommt etwas. In der Musik ist das auch so, zum Beispiel beim Abschluss eines Verlagsvertrages zwischen Komponist und Verleger. Der Komponist komponiert ein Stück Musik und der Verlag verlegt das Werk, er druckt es vielleicht sogar, er kümmert sich um seinen Komponisten, erledigt eben die typische Verlagsarbeit. „Die Aufgabe der Musikverlage ist in erster Linie, Noten herzustellen und zu vertreiben“, so sieht es das Verlagsgesetz vor. Darüber hinaus kümmert ein Verlag sich ebenso um die Verbreitung des Werkes, beispielsweise durch Vermittlung an Rundfunkanstalten. Auf diese Weise generieren sich dann für den Komponisten und für den Verlag weitere Einnahmen, die über die GEMA ausgeschüttet werden. Allerdings gibt es Musikwerke, für die eine so geartete verlegerische Tätigkeit (Notenherstellung und Vertrieb) keine so bedeutende Rolle spielen. Das ist naturgemäß bei Werbefilmen der Fall, das gilt sicherlich aber auch für einen großen Teil der Fernseh- und Filmmusiken, im Zweifel auch für die so genannte U-Musik (hier vor allem Pop und Schlager).
Gewöhnlich sind Verlag und Auftraggeber getrennte Unternehmen. Die Praxis sieht seit vielen Jahren jedoch häufig anders aus. Es kommt immer öfter vor, dass die Auftraggeber selbst Verleger werden. Kürzlich so geschehen bei der Werbeagentur Jung von Matt (jüngst aufgefallen durch die Abwicklung der umstrittenen Werbeoffensive „Du bist Deutschland“) durch die Gründung ihres Verlags „White Horse“. Es bestehen laut eines „Offenen Briefes“ des Composers Clubs (CC) allerdings Zweifel daran, ob dieser Verlag tatsächlich einem sinnvollen Verlagsziel folgt. Der CC schreibt: „Wir wollen Ihnen gerne glauben, dass Sie im Gegensatz zu solchen Scheinverlegern ‚richtige‘ Verleger sein möchten. Allerdings weisen wir darauf hin, dass für die Verwertung von Werbemusik ein Verlag in aller Regel keinen Sinn macht: Die Verbreitung des Musikwerkes, die ja eigentlich zentrale Aufgabe des Verlages wäre, erfolgt hier ohnehin durch die vorher geplanten Sendetermine.“ Der Composers Club spricht nicht direkt aus, was er hier befürchtet, dass nämlich in Zukunft Komponisten, die mit dieser Werbeagentur zusammenarbeiten wollen, „White Horse“ als ihren Verlag akzeptieren müssten. Das aber wäre eine Zwangsinverlagnahme. Denn: „Sollte sich der Komponist jedoch trotz all dieser Vorzüge gegen den Abschluss eines Verlagsvertrages entscheiden, so steht es ihm selbstverständlich frei, sein Werk unverlegt, das heißt als so genanntes Manuskript, oder im Eigenverlag anzumelden, denn er hat (gemäß Deutschem Urhebergesetz) das Recht, frei über die Verwertung seines Werkes zu bestimmen.“ „White Horse“ hat sich mittlerweile gegenüber dem Composers Club so geäußert, dass ein solches Vorgehen wohl nicht in deren Absicht liege.
Was genau ist eine Zwangsinverlagnahme? Der Composers Club fasst den Komplex so zusammen: „Von einer Zwangsinverlagnahme spricht man dann, wenn der Auftraggeber die Erteilung eines Kompositionsauftrags davon abhängig macht, dass ihm der Komponist die vertragsgegenständlichen Verlagsrechte überträgt. Eine verlegerische Tätigkeit, wie zum Beispiel die Verbreitung des Werkes, findet hier meist nicht statt. Zwangsinverlagnahme bedeutet darüber hinaus das Partizipieren eines Auftraggebers an den GEMA-Tantiemen für das Auftragswerk meistens ohne angemessene (häufig sogar ohne jede) Gegenleistung für den Komponisten. Zwangsinverlagnahme gibt es vermutlich schon so lange, wie es Verlage gibt, aller-dings hat diese Praxis in den letzten Jahren durch die zunehmende Tätigkeit von Sender- und Filmproduzentenverlagen stark zugenommen.“ Die Vorteile für diese Auftragsverleger sind nahe liegend: „Der Zwangsinverlagnehmer refundiert einen Teil seiner Produktionskosten durch einen Anteil an den GEMA-Einnahmen des Komponisten und verfügt darüber hinaus über die Rechte, das Werk nach Belieben vervielfältigen zu dürfen. Die Nachteile für den Komponisten im Bereich der TV-Auftragsmusik: Er muss meist auf ein Drittel seiner GEMA-Tantieme (Aufführungsrecht und mechanisches Recht) verzichten, um den Auftrag überhaupt zu bekommen. Es macht daher wenig Sinn sich, wie früher üblich, exklusiv an einen unabhängigen Verlag zu binden, der ihn finanziell, künstlerisch und in seinem Bekanntheitsgrad fördern könnte. Und aufgrund der häufig unzureichenden Fachkompetenz der Zwangsverleger muss der Komponist in vielen Fällen sämtliche Anmeldungen sowie die Kontrolle seiner GEMA-Abrechnungen selbst übernehmen.“
Das Problem ist lange bekannt, dagegen vorzugehen, scheint aber schwer. Komponisten, die sich weigern, derartige Verlagsverträge abzuschließen, werden gerne auf schwarze Listen gesetzt und von weiteren Aufträgen ausgeschlossen. Dem Composers Club liegen schriftliche Verträge von Sendern und Filmproduktionsfirmen vor, die die unerlaubte Kopplung von Kompositions- und Produktionsauftrag mit der Verpflichtung zur Übertragung der vertragsgegenständlichen Werke zum Inhalt haben.
Der Composers Club schreibt ferner, es sei bemerkenswert, „dass die Praxis der Zwangsinverlagnahme von den großen Sendeunternehmen, auch den öffentlich-rechtlichen Sendern, stillschweigend geduldet und teilweise auch selbst betrieben wird. Eine Umfrage unter den CC-Mitgliedern im Bereich Fernsehmusik habe ergeben, dass als Voraussetzung für das Erhalten eines Kompositionsauftrages regelmäßig die Verlagsrechte an den Auftraggeber oder einen von ihm benannten Verlag übertragen werden müssen. Angesichts der Realität von Konkurrenz und Preisdruck müssen sich selbst bekannte und erfolgreiche Komponisten dem wirtschaftlichen Kräfteverhältnis beugen.“
Nach Ansicht des Rechtsexperten Wilhelm Nordemann ist eine Zwangsinverlagnahme ein eindeutiger Rechtsbruch. Er führte zum Thema „Zwangsinverlagnahme im Bereich der TV-Werbung“ im November 2003 aus:
„Soweit der Komponist sich zur Zwangsinverlagnahme verpflichtet, ohne hierfür eine Gegenleistung zu erhalten, ist eine solche Klausel auch sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB. In solchen Fällen liegt ein offensichtliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor. Auch eine verwerfliche Gesinnung des Auftraggebers kann hier ohne weiteres angenommen werden. Dies ist auch deshalb der Fall, weil der begünstigte Vertragsteil die wirtschaftlich schwächere Position des anderen teils bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt und sich gleichzeitig der Einsicht verschließt, dass der andere Teil sich nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einlässt.“
Momentan arbeiten zwei Komponistenverbände, der Composers Club und der Deutsche Komponistenverband in vielerlei Hinsicht auf eine Veränderung der Situation hin, indem sie zum Beispiel das Gespräch mit dem Deutschen-Musikverleger-Verband suchen. Anfangs schienen diese Gespräche allerdings noch nicht sehr Erfolg versprechend. Auch heute spricht der Musikverlegerverband immer noch von „so genannter“ Zwangsinverlagnahme, als käme solcherlei Verhalten nicht vor. Der Geschäftsführer des Musikverlegerverbandes, Heinz Stroh, meint jedoch auf Nachfrage, dass mittlerweile „die Gespräche in einer sehr konstruktiven Atmosphäre“ verliefen. „Ziel ist es, zu einem gemeinsamen Lösungsansatz zu gelangen.“ Das spricht für sich.
Ebenso aktiv geht man gegenüber der GEMA in Stellung, die ja neben den Textdichtern vor allem Komponisten und Verleger zu Mitgliedern hat. Der Composers Club weist darauf hin, dass im letzten Herbst eine Diskussionsrunde unter Beteiligung von Auftragskomponisten und Verlegern ins Leben gerufen wurde. „Natürlich setzen die Komponisten große Hoffnung in dieses neue Forum: Dass eine solche Runde nicht als Instrument dienen soll, Zeit zu gewinnen und die allgemeine Empörung kurzfristig zu beruhigen. Dass die Gemeinschaft der Verleger tatsächlich gewillt ist, Maßnahmen gegen schwarze Schafe in ihren Reihen mitzutragen. Und dass es zu gemeinsamen, mehrheitsfähigen Anträgen zur diesjährigen GEMA-Mitgliederversammlung kommt, um Scheinverlegern zukünftig ihr Geschäft zu erschweren.“ Ein Komponist schlägt folgendes Prozedere vor: „Es wäre schön, wenn die GEMA dagegen vorginge und dann bei erwiesenen Zwangsinverlagnahmen den Verleger vom Verteilungssystem ausschließen würde.“ Die Situation bleibt von Komponistenseite gegenwärtig problematisch. Unter den gegebenen Marktbedingungen für Auftragskomponisten wird es schwer sein, diese Zwangsinverlagnahme-Verlagsverträge nicht zu unterzeichnen. Dagegen später juristisch vorzugehen scheint ebenfalls schwierig, weil man damit inkaufnehmen muss, auf jene „schwarzen Listen“ zu kommen und künftig nicht mehr angefragt zu sein. Der Deutsche Musikrat schweigt sich übrigens zum Thema komplett aus und war zu keiner Stellungnahme bereit. Als Dachverband der Musikverbände könnte ein klares Wort von seiner Seite durchaus hilfreich sein.