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Pianistin Anke Helfrich erhält Hessischen Jazzpreis. Foto: Hufner
Im alten Wohnhaus des Komponisten: Neues Beethoven-Museum in Wien. Foto: Hufner
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Zaubertöne im Gewusel: ein Klavier für alle am Bahnhof

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Wuppertal - Ein Bahnhof ist eigentlich kein Ort, wo es besinnlich zugeht. Aber in Wuppertal sorgt in der Eingangshalle ein Klavier für Stimmung. Jeder, der möchte, darf darauf spielen. Viele Reisende halten inne. Mancher Klavierspieler bekommt Applaus fürs Spontankonzert.

Eine romantische Melodie schwingt durch den Hauptbahnhof in Wuppertal, ein paar Passanten bleiben stehen. Die Blicke wandern umher, bis die Menschen das Klavier entdecken. Ein junger Mann sitzt davor und spielt. Den Rucksack auf dem Rücken hat er nicht abgenommen. Der 22 Jahre alte Student blickt auf die Tasten und eine zarte Musik ertönt, die so gar nicht zu der brausenden Geschäftigkeit eines Bahnhofs passt. Das Zufallspublikum an diesem hektischen Ort hält inne und klatscht.

Der Student Tran Nhat Khang Le ist bei weitem nicht der einzige, der das ungewöhnliche Podium nutzt, ehe er zum Zug muss. Das Klavier in der Bahnhofshalle ist rund um die Uhr zugänglich und wird von früh bis spät bespielt. Die Menschen, vom klimpernden Schüler bis zum Könner, haben Spaß daran. Das Publikum lässt sich gerne mit einem Spontankonzert verzaubern.

«Die Akzeptanz des Klaviers mit der Aufschrift «Spiel mit mir» übersteigt alle Erwartungen», sagt Markus von Blomberg. Der Wuppertaler hatte vor drei Jahren in Chamonix in den französischen Alpen am Bahnhof ein Klavier stehen sehen - und sich von der Idee begeistern lassen. Zwei Jahre hat es dauert, bis nach der Klärung von Fluchtwegen und Brandschutzfragen eine Aktionsfläche für das Klavier in der Bahnhofshalle erlaubt war.

Das schwergewichtige Instrument spendete ein Klavierhaus aus Wuppertal. Inhaber Hartmut Faust findet die Resonanz wunderbar. Es sei schön, dass es so viele Menschen entschleunige, begeistere und verbinde. «Die reden miteinander», hat er beobachtet.

Auch die Deutsche Bahn ist erfreut, wie das Instrument ankommt. «Das steigert die Atmosphäre», sagt ein Sprecher in Düsseldorf. Und es helfe vielleicht, die Wartezeit zu verkürzen. Am 24. Dezember war der Bahnhofsmanager von Wuppertal selbst Zeuge einer Darbietung: Ein Chor gab ein überraschendes Weihnachtskonzert.

Auch Markus von Blomberg, der das Klavier in den Bahnhof gebracht hat, wurde auf dem Weg zum Zug an einem frühen Morgen Zeuge eines Zufallskonzerts. Aus einem Putztrupp in der Halle ging ein Mann im orangen Overall zum Klavier - und spielte «Alle meine Entchen», berichtet er.

Das Instrument ist bekannt geworden. Viele gehen gezielt zum Standort im rückwärtigen Teil der Bahnhofshalle zwischen Fahrkartenautomat, Aufgang zum Busbahnhof und einem Lebensmittelladen. Mal steht eine vergessene Bierdose darauf oder eine Getränkepackung aus Plastik. Der Hocker ist mit einer dicken Metallkette festgebunden. Und es sind offensichtlich nicht nur Bildungsbürger, die das Instrument anlockt. Manch einem, der schön spielen kann, steht ein hartes Leben ins Gesicht geschrieben. Mal ertönt der Flohwalzer, dann «Für Elise» oder Jazz.

«Ich komme fast jeden Tag», sagt eine Schülerin. Die 15-Jährige hat ein Lied mit Hilfe von Youtube gelernt. Sie spielt «River Flows in You» des Pianisten Yiruma. Auf dem Nachhauseweg von der Schule haben zwei zehnjährige Mädchen Halt am Klavier gemacht. Sie warten darauf, dass sie dran kommen. Aber erstmal drückt der 16 Monate alte Robin von seinem Kinderwagen aus vorsichtig die weißen und schwarzen Tasten und freut sich an den Tönen.

«Ich werde immer ab und zu da sein», meint der Wuppertaler Le. Der Student des Bauingenieurwesens spielt öfter im Hauptbahnhof. Er werde sogar von Fremden erkannt, erzählt er. Der 22-Jährige, der in Kindertagen Klavierspielen lernte, hat den Traum, Musiker und Sänger zu werden. In den sozialen Medien ist sein Video aus dem Bahnhof ein Renner. Das Klavier bleibt jedenfalls bis auf weiteres in der Halle. «Es steht so lange, wie es gewünscht ist», sagt Hartmut Faust vom Klavierhaus.

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