Popmusik und Nachhaltigkeit waren für mich schon früh miteinander verbunden. Nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima 2011 spielten „Wir sind Helden“ und „Seeed“ vor dem Brandenburger Tor. Auch viele andere Bands, deren Musik meine Jugend prägten, tauchten regelmäßig auf Veranstaltungen der Klimaschutzbewegung auf, und so kamen auch wir zu den Demos. Je älter ich wurde und die Ernsthaftigkeit des Klimawandels zu begreifen begann, desto mehr wurde es für mich zur Notwendigkeit, dies auch in meine Arbeit als Musikerin und Veranstalterin zu integrieren. 2019 gründeten wir die nachhaltige Konzertreihe „Concerts For Future“, die darauf hinarbeitet, emissionsfreie Veranstaltungen durchzuführen, sowie NGOs und Nachwuchskünstler*innen eine Bühne zu geben.
Unterhaltsame Wege, Dinge anders zu tun
Dieser Artikel handelt von Organisationen, Menschen und Ideen, die mir bis jetzt in meiner Auseinandersetzung mit dem Thema begegnet sind: In meiner Erfahrung ist das nachhaltige Veranstalten, gerade in der Nachwuchsförderung, oft das leichtere und günstigere. Man beruft sich auf regionale Acts und Produkte, recycelt schon vorhandene Materialien und tut das, was wir sowieso schon früh in der Selbstständigkeit lernen: Nach neuen unterhaltsamen Wegen suchen, Dinge anders zu tun.
Green Booking
Die erste Person, die ich gerne vorstellen möchte, ist Mauricio Lizarazo Prada von Pachamama Culture. Seine Erkenntnisse bei nachhaltigem Veranstalten und Touring speisen sich aus langjähriger Erfahrung zum Beispiel beim Booking des „Fusion“-Festivals und Tourmanagement für Bands wie „Ohrbooten“ oder der international tourenden Gruppe „Lola Marsh“. Lizarazo Prada hat in den letzten Jahren an einem nachhaltigen Rider gearbeitet. Unter dem Namen „Music C•A•R•E•S“ findet man die Pilotversion der Plattform die durch das zukunftsfähige Veranstalten führen soll. Ziel ist die Ressourcenschonung im Live-Musikveranstaltungsbereich. Hier können Veranstalter*innen ihr Event mit einer genauen Aufschlüsselung der Emissionsposten auf den CO2 Verbrauch prüfen.
Die Hauptkategorien dabei sind Mobilität, Location, Merchandise und Catering. Weiter findet man zur praktischen Umsetzung der emissionsarmen Veranstaltung eine laufend gepflegte Übersicht an Partner*innen, die sich aktiv für nachhaltige Praktiken engagieren, ordentlich in Kategorien aufbereitet.
Eine weitere Initiative ist das „Green Touring Network“. Das beschäftigt sich mit der Beratung und Wissensvermittlung zum Thema umweltfreundliches Touren und nachhaltige Vermarktung, funktioniert aber gleichzeitig auch als Netzwerk für alle möglichen Akteur*innen aus der Musikbranche, die ihre Arbeit umweltbewusster gestalten wollen und dazu auf der Website kostenlos einen „Green Touring Guide“ herunterladen können.
Venues
Ein weiterer wichtiger Aspekt beim nachhaltigen Veranstalten ist es, die Venues möglichst emissionsfrei zu gestalten. Wird vor Ort Ökostrom bezogen? Werden Getränke und Speisen von lokalen Anbietern eingekauft? Wird eine Zero Plastic Policy angestrebt? Weitere wichtige Punkte sind, ob mit den örtlichen Entsorgungsunternehmen eine möglichst effiziente Mülltrennung abgestimmt wurde. Außerdem erleichtern eingebaute Wasserfilter logistischen Aufwand und vermeiden Verpackungen, weil das Leitungswasser trinkbar wird. Auch bei der Werbung kann man darauf achten, Flyer mehrfach zu benutzen und nur nach wirklichem Bedarf zu drucken.
On Tour
Für Künstler*innen auf Tour gibt es ebenfalls viele Kniffe, um den Touralltag nachhaltiger zu gestalten. Sei es, mit dem Tourbus kreisförmige Routen zu planen, um Emissionen einzusparen oder für Strecken mit weniger Gepäck, den Zug zu nehmen. Mauricio empfiehlt außerdem, schon in der vorherigen Kommunikation mit den Veranstalter*innen in Form eines Technical Riders um veganes und plastikfreies Catering zu bitten und genaue Absprachen zur möglichen Benutzung der Backline vor Ort zu treffen, um logistischen Aufwand zu vereinfachen.
Finanzierung
Im Ranking dessen, was man als Privatperson tun kann, um sein Leben nachhaltiger zu gestalten, steht an erster Stelle, wie man sein Geld anlegt. Wenn man ein Bankkonto eröffnet, bietet es sich an, nach einer nachhaltigen Bank Ausschau zu halten. Oft investieren Banken mit nachhaltigem Anspruch übrigens auch in sozial nachhaltige Projekte wie Bildung und Kultur. Wer selber veranstaltet, kann sich außerdem nach öffentlichen Förderungen umsehen, zum Beispiel beim „Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit“. Das ist eine „spartenübergreifende Anlaufstelle für das Thema Betriebsökologie im Bereich Kultur und Medien“, die beispielhafte Pilotprojekte im Kulturbereich begleitet und von der Beauftragten für Kultur und Medien gefördert wird. Auch das Goethe Institut fördert europaweit nachhaltige Musikprojekte mit dem Programm „Grün Unterwegs“.
Tonträger- und Merchproduktion
Tonträger sind in Zeiten des Streamings wohl eigentlich nur noch Liebhaber*innenstücke und werden eher in kleineren Auflagen produziert. Umso wichtiger und schöner ist es, dort auf Qualität und Nachhaltigkeit zu achten. Es bietet sich auch hier an, möglichst lokal produzieren zu lassen und zu erfragen, ob die Produktionsmaterialien recycelbar sind.
Das gleiche gilt für Merchandising. Wegen stetig sinkender Einnahmen durch Streamingplattformen sind immer mehr Künstler*innen darauf angewiesen, auch Artikel wie Poster oder Kleidung zum Verkauf anzubieten. Ich habe mich mit der Berliner Künstlerin Novaa unterhalten, die durch ihren ganzheitlichen Ansatz glänzt, angefangen bei den Themen ihrer Texte, über das Producing der Musik, bis hin zur Produktion ihres eigenen Merch durch Upcycling, also Second Hand Kleidung umzugestalten und zu Novaamerch zu machen: „Ich habe zwei Dinge vereinbart, die für mich schon immer wichtig waren. Einmal Nachhaltigkeit, was für mich auch Minimalismus und Achtsamkeit bedeutet, und dazu Kreativität. Viele sehen Nachhaltigkeit und Umweltschutz immer als etwas Schwieriges, Aufwendiges, was wenig mit Freude verbunden ist. Selbstgemachter Second Hand Merch macht mir (und hoffentlich auch anderen) Freude und ist dabei noch ein nachhaltiges beziehungsweise nachhaltigeres Merchandise-Konzept. Ich versuche hierbei immer darauf zu achten, wo die Second Hand-Klamotten herkommen, sprich wenn ich in ein Second Hand-Kaufhaus gehe, versuche ich immer darauf zu achten, was für Werte dieses Kaufhaus vertritt und wie es diese nach außen und innen trägt.“
Novaa macht zu Merch was ihr in die Finger kommt. Dabei wird jedes Stück zum Unikat. Kleider, Shirts, Röcke, Collars, Handtaschen, Hosen, Zweiteiler und Krawatten gibt es auf ihrer Website zu kaufen.
„Ein Vorteil neben der Nachhaltigkeit ist“, so Novaa, „dass es Einzelstücke sind, sprich jede Person hat ein Stück, das besonders und als besonders in Erinnerung bleibt. Ein schöner Nebeneffekt, den ich mir davon auch erhoffe, ist, dass dieses Besondere (im positiven) dann für ein gewisses ,slowing down, achtsam mit der Welt, anderen und sich selbst sein,‘ steht und dass jedes Mal, wenn man ein Kleidungsstück des Second Hand-Merch trägt, wieder ins Bewusstsein gerufen wird und mit Freude besetzt wird. Ein Nachteil, wohl der größte, ist, dass dies in großen Mengen schwer umsetzbar und somit auch kostspieliger ist. Ehrlicherweise muss ich aber hierzu sagen, dass ich das wiederum als Vorteil sehe, weil es bei Nachhaltigkeit auch viel um Verzicht und Minimalismus geht. Nachhaltigkeit in einem System auszuüben, das Nachhaltigkeit nicht vorsieht, ist sehr schwer bis teilweise unmöglich. Daher wünsche ich mir ein Umdenken im Großen. Vielleicht ist es leichter, neue Systeme zu schaffen und wachsen zu lassen, die Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellen und Verzicht und Minimalismus mit ihren Vorteilen und schönen Seiten zeigen.“
- Marlena Käthe Kreßin, 1997 geboren, ist Musikerin. 2021 erschien ihre Debüt-EP „AGED“ digital und auf Tape, mit der sie seitdem im akustischen und elektronischen Bandsetup durch Deutschland und die Schweiz tourt. Sie komponiert und schreibt außerdem fürs Theater, veranstaltet Konzertreihen und organisiert kulturpolitische Events zum Thema Nachhaltigkeit und Gleichstellung von FLINTA* Personen in der Musikbranche.
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