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24.6.: theater und literatur aktuell +++ theater und literatur

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Schlingensief wütet vor Möllemanns Firmenzentrale +++131 Autoren aus 30 Ländern beim «Berliner Sommerfest der Literaturen»


Schlingensief wütet vor Möllemanns Firmenzentrale
Düsseldorf (ddp). Der Meister fährt im Kleinlaster vor. «Jetzt Payback Punkte einfahren!» steht klein an der Seite des Mietwagens. Doch statt der Plastikkartenvariante des guten alten Rabattheftchens hat Theatermacher und Politprovokateur Christoph Schlingensief am Montag ein halbes Dutzend Komparsen im mit Davidstern geschmückten Schulbus und eine klare Botschaft nach Düsseldorf mitgebracht.
Jürgen W. Möllemann, Chef der nordrhein-westfälischen Liberalen, Vize der Bundes-FDP und Polit-Zauberlehrling habe mit dem Werben um rechte Wähler wissentlich die Büchse der Pandora geöffnet. Und nun ist er wieder draußen und feiert fröhliche Urständ unter deutschen Dächern: Der böse Geist des Antisemitismus - glaubt Schlingensief und führt den FDP-Wahlkampf vor Möllemanns privater Firmenzentrale im Düsseldorfer Stadtteil Derendorf auf eigene Rechnung weiter.
Doch von Möllemann ist nicht einmal ein Härchen seines Schnurbarts zu sehen. Stattdessen gibt es heruntergelassen Rollläden und ein 15-köpfiges Polizeiaufgebot. Das hält sich zunächst zurück, als Schlingensief mit finstrer Miene weißes Waschpulver über einem eigens mitgebrachten schwarzen Klavier verteilt. Derweil harrt ein Teil seiner behinderten «Freak Stars 3000»-Truppe zu den Tönen der Nationalhymnen aus aller Welt brav im auch in Israel gebräuchlichen Schulbus aus.
Erst als Schlingensief eine am Galgen hängende Puppe mit dem Konterfei des israelischen Premiers Ariel Sharon aufstellen will, kommt es zu einem ersten leichten Gerangel mit den Beamten. Auch auf das Grundstück wird Schlingensief nicht vorgelassen. Die in einem blauen Plastiksack mitgebrachten Daunen landen trotzdem im Möllemannschen Vorgarten - oder im Jutebeutel einer Passantin, die sich schnell ein Andenken an die ungewöhnliche Performance einsteckt. Bei den ebenfalls geworfenen Patronenhülsen und Fischkadavern ist die Nachfrage hingegen eher mau. Das zur Performance gehörende lebende Huhn landet später wieder unversehrt im Transportkorb.
Die Bücher im nachgemachten Umschlag des neuesten Walser-Romans überlässt der Derwisch Schlingensief noch den Umstehenden, bevor ihm doch noch gelingt, was er zuvor per Presse angekündigt hatte. Mit einer Plastikflasche voll Benzin hantierend, zündet er jetzt Puppe, Israelfahne und Wahlkampfplakate der FDP an. Das Projekt 18 geht in Flammen auf, während Schlingensief lauthals Möllemann verflucht. «Möllemann wirft uns 30 Jahre zurück», brüllt der sichtlich in Rage Gekommene und: «Das ist Hexenmeisterei. Du FDP-Idiot !». Die Nationalhymnen aus dem Schulbus mit den Freak Stars sind gerade beim «Star spangled Banner» angekommen.
Im gelben Vehikel gibt Schlingensief wenig später auch seine Personalien zu Protokoll. Das Verbrennen der israelischen Fahne falle in Deutschland unter die Kategorie Verunglimpfung anderer Staaten, erläutert der Einsatzleiter der Polizei, Ralf Kazmierczak. Nun müsse der Staatsanwalt prüfen, ob der Akt noch durch die Freiheit der Kunst geschützt ist.
Anwohnerin Elisabeth von Krogh fasst ihre Kritik an Schlingensief recht pointiert zusammen. «Das bringt überhaupt nichts», sagt sie und überhaupt sei die feurige Aktion «absolut bescheuert» gewesen. «Unterste Schublade» kommentiert auch Klaus Müller, der auf dem Weg zum Mittagessen zufällig Zeuge des Happenings wurde: «Da ist die Grenze deutlich überschritten.» Das findet auch ein anderer Passant. Fischkadaver, umherfliegende Federn und das potenzielle Hühneropfer («Dem traue ich alles zu») hinterlassen einen unschönen Eindruck. Denn nach Schlingensiefs Abgang bleibt vor allem eine Frage offen: «Wer macht den Dreck jetzt weg??
Patrick Mikisch

131 Autoren aus 30 Ländern beim «Berliner Sommerfest der Literaturen»
Berlin (ddp). 131 Autoren aus 30 Ländern lesen und agieren ab Freitag beim dritten «Berliner Sommerfest der Literaturen». Thematischer Schwerpunkt des zehntägigen Festivals ist «Frankreich». Als Teil des Literaturfestes beginnt am Samstag das zweitägige Bücherfest auf dem Bebelplatz, wie der Festival-Mitveranstalter Detlef Bluhm am Montag in Berlin sagte.
Am Sonntag startet dann das «Poesiefestival», das sich auf die zeitgenössische Dichtung wie Rap, Dub, Spoken Word und Performance konzentriert. Dort werden unter anderem deutsch-französische Kooperationsprojekte vorgestellt. Erstmals in diesem Jahr verleiht eine internationale Jury den «ZEBRA Poetryfilm Award». Zur Auswahl stehen 350 Streifen diese relativ neuen Genres.
Am 6. Juli gibt es bei «Weltklang - Nacht der Poesie» am Potsdamer Platz ein Konzert aus Stimmen und Worten von zehn internationalen Dichtern. Bei «Literatur Allerorten» werden zudem während des gesamten Festivals Berliner und internationale Autoren auf 36 Veranstaltungen lesen.
Die Veranstalter erwarten unter anderen Arnaud Cathrine, Assia Djebar, Jean-Christophe Rufin, Peter Carey, Arnold Stadler sowie Michael Lentz.
(www.sommerfest-der-literaturen.de)