München - Eigentlich sollten auch in München die Bagger anrücken und die Ruine des kriegszerstörten Nationaltheaters abräumen. Doch die Bürger wehrten sich. Am Sonntag wird der 50. Jahrestag der Wiedereröffnung des traditionsreichen Opernhauses im klassizistischen Stil gefeiert.
Wäre es so gekommen, wie es sich einst August Everding erträumte, sähe es heute am Münchner Max-Joseph-Platz wohl ganz anders aus. Der spätere Bayerische Staatsintendant gehörte als junger Mann zu den Gegnern eines traditionellen Wiederaufbaus des kriegszerstörten Nationaltheaters. Hätten sich die Gegner durchgesetzt, stünde heute auch in München einer jener nüchternen Theaterbauten, wie sie in Köln oder Frankfurt am Main errichtet wurden.
Doch es kam anders - zum Glück, wie Everding später bekannte, als er selbst die Geschicke der Oper leitete und von der Atmosphäre des neuen, alten Hauses schwärmte. 50 Jahre sind vergangen, seit das Nationaltheater mit viel Pomp im alten Gewand wieder eröffnet wurde. Nicht weniger festlich soll es am Sonntag (17.11.) zugehen, wenn daran mit einem Festakt erinnert wird.
In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1943 war das traditionsreiche Opernhaus bei einem Luftangriff der Alliierten in Schutt und Asche gesunken. Alte Fotos zeigen eine traurige, ausgebrannte Hülle. Die ganze Stadt sah damals so aus, und nach Kriegsende musste erst einmal Wohnraum geschaffen und die größte Not gelindert werden.
Vor allem nicht aus München stammende Vertreter der Kunstszene, zu denen auch der Bottroper Everding gehörte, forderten einen Wiederaufbau im modernen, «demokratischen» Stil. Doch wie sich die eher konservativen Münchner erfolgreich gegen Tabula-rasa-Konzepte beim Wiederaufbau ihrer Stadt wehrten, gelang es ihnen auch, die zögernden Politiker für eine Rekonstruktion der Oper im alten, klassizistischen Stil eines griechischen Tempels zu bewegen. Man wollte wieder einen «Musentempel», keine Opern-Schuhschachtel.
Eine entscheidende Rolle bei der «Rettung» des Nationaltheaters spielte der Verein der Freunde des Nationaltheaters. Seit 1952 betrieb die Organisation, was man heute Fundraising nennt. Man warb um Spenden, organisierte Tombolas und Benefizveranstaltungen am laufenden Band und konnte schließlich rund ein Zehntel der für den Wiederaufbau nötigen Summe von 67,7 Millionen Mark beisteuern. Am 21. November 1963 hob sich nach fast 20 Jahren wieder der rot-goldene Vorhang im Nationaltheater.
In einer geschlossenen Vorstellung stand Richard Strauss' Oper «Die Frau ohne Schatten» auf dem Programm. Mit dem gleichen Stück wird am 21. November auch die Jubiläumssaison 2013/2014 der Bayerischen Staatsoper eröffnet. Mit Spannung wartet die Musikwelt auf Kirill Petrenko, der erstmals in seiner neuen Funktion als Generalmusikdirektor (GMD) das Bayerische Staatsorchester leitet.
Rasch eroberte sich die Bayerische Staatsoper, die interimsmäßig im viel zu kleinen Prinzregententheater untergekommen war, ihren angestammten Platz in der Kulturszene zurück. Opernfans zehren bis heute von unvergesslichen Aufführungen unter Dirigenten wie Georg Solti, Karl Böhm, Wolfgang Sawallisch, Carlos Kleiber oder Zubin Mehta. Sängerstars wie Dietrich Fischer-Dieskau, Fritz Wunderlich und Hildegard Behrens gaben sich die samtbezogene Klinke in die Hand. Heute sind es Künstler wie Jonas Kaufmann und Nina Stemme, die dem Haus zum Ruhm gereichen. Sie gestalten auch das musikalische Begleitprogramm des Festaktes. Die 4000 kostenlos vergebenen Eintrittskarten sind seit langem vergriffen.
Die Hülle des Nationaltheaters mag Kontinuität signalisieren. Doch im Inneren ist das Haus einem steten künstlerischen Wandel unterworfen. Mit seiner poppigen Barock-Renaissance und «Oper für alle» gelang es Intendant Sir Peter Jonas, die Staatsoper von ihrem etwas behäbigen Image zu befreien. Mit einer Gratwanderung zwischen gesellschaftskritischem Regietheater und opulenter Musiktheater-Show versucht sein Nachfolger Nikolaus Bachler den intellektuellen wie kulinarischen Ansprüchen des Münchner Opernpublikums gerecht zu werden. Zunächst in einer etwas holprigen Partnerschaft mit dem US-Dirigenten Kent Nagano, der seinerseits als GMD das Staatsopernorchester und sein Publikum verstärkt mit neuer Musik konfrontierte.
Jetzt steht Petrenko ante portas. Dem 42-jährigen Russen eilt der Ruf eines Wundermannes voraus, nicht erst, seit er im vergangenen Sommer bei den Bayreuther Festspielen die «Ring»-Fans in Ekstase versetzte. Wegen seines von einem inneren Glühen erfüllten Dirigierstils und seiner detailversessenen Partiturarbeit wird er schon mit dem genialischen Carlos Kleiber verglichen. Auch Petrenkos Öffentlichkeitsscheu ähnelt der geheimnisumwitterten Zurückgezogenheit des Jahrhundertdirigenten. Hartnäckig verweigerte sich der neue GMD bislang allen Interviewanfragen. Nur schriftlich ließ er verlauten, dass er das Gefühl habe, «hier in München eine umfassende künstlerische Heimat zu finden».
Georg Etscheit