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Abstand von der Hysterie der Oper - Jaroussky mit Liedern auf Tournee

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Frankfurt/Main - Kein Barock, keine Oper - auf seiner aktuellen Tournee überrascht der französische Countertenor Philippe Jaroussky sein Publikum mit Liedern des Fin de Siècle. Was sich der sympathische Weltklasse-Sänger davon verspricht und warum Klassik-Stars generell in einer ausgesprochen komfortablen Lage sind, verrät der 37-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

 

Frage: Philippe, sie zählen zu den bekanntesten Countertenören weltweit - aber von Ihrem Privatleben weiß die Öffentlichkeit vergleichsweise wenig. Sprechen Sie nicht gerne darüber?

Antwort: Ich spreche nicht so oft darüber, weil doch eigentlich meine Kunst im Mittelpunkt steht...

Frage: Aber Sie sind ein Star...

Antwort: Star? Naja, ich führe ein ganz normales Leben, bin seit acht Jahren mit meinem Partner zusammen. Alles in völlig geregelten Bahnen...

Frage: Weil Sie sich von vornherein öffentlich zu ihm bekannt haben?

Antwort: Klar. Als ich meine Karriere begann, musste ich mich entscheiden: Ich habe also von Anfang an gesagt, dass ich einen Partner habe. Dann gibt es keine Aufregung mehr. Ich bin doch kein Pop-Sänger, der das über 20 Jahre verstecken muss, weil er sonst den Markt mit den ganzen Teenager-Mädels verliert.

Frage: Auch bekannt ist, dass Sie gerne und viel reisen. Von wie vielen Menschen werden Sie auf Ihren Reisen eigentlich erkannt?

Antwort: Manchmal ja, manchmal nein. Wenn ich in Paris über die Straße laufe, werde ich natürlich immer erkannt. Aber die Leute reagieren völlig anders als bei einem Pop-Star. Denn sie sind ja an Händel, Vivaldi, Bach interessiert - nicht primär an mir. Daher sind die Menschen viel respektvoller. Klassik-Stars sind da in einer sehr komfortablen Lage.

Frage: Das heißt, Sie genießen ihr Leben in Paris?

Antwort: Ja, ich kann mein Leben in Paris absolut genießen. Ich kann ausgehen, wohin immer ich will. Ich muss mich nicht beschützen lassen von Bodyguards. Ich fühle mich damit sehr glücklich. Zudem habe ich das große Glück, Aufnahmen zu machen, die ich will, zu singen, was ich will, dorthin zu gehen, wo ich will, eine Auszeit zu nehmen, wann immer ich will. Und habe dabei ich nicht den geringsten Ärger - das ist cool.

Frage: Dann lassen Sie uns doch über Ihre Musik sprechen: Bislang haben Sie Vivaldi, Händel, Purcell, Pergolesi und Porpora ihre Alben gewidmet. Jetzt sind Sie plötzlich mit Musik des französischen Fin de Siècle auf Tournee. Ist das der Abschied vom Barock?

Antwort: Nein, keine Abkehr! Obwohl dieses Projekt für viele Menschen eine Überraschung war. Man wird als Countertenor immer gleich auf Barockmusik festgelegt. Aber es gibt tatsächlich nur ganz wenig Musik, die für Countertenor geschrieben wurde. Händel hat für die Kastratenstimme komponiert, nicht für Countertenor. Das ist ein riesen Unterschied!

Frage: Ein neues Repertoire öffnet immer auch neue Horizonte. Wie war das bei Ihnen?

Antwort: Ich mag natürlich Opernarien. Aber für meine Stimme sind viele Partien einfach zu übertrieben, zu theatralisch: Alles ist zu groß, zu viel Leiden, zu viel Geschrei, du musst mit großer Geste sterben - in der französischen Poesie sind die Gefühle hingegen viel pastellartiger, feiner, süßer. Genau deswegen suchen sich viele Sänger möglicherweise auch Chansons oder Lieder aus, wenn sie einen Break und Abstand von dieser hysterischen Welt der Oper brauchen.

Frage: Sie singen jetzt Fauré, Debussy oder Hahn. Die haben allerdings nicht für Ihre Stimmlage komponiert. Wie funktioniert das?

Antwort: Die meisten Stücke sind für Sänger geschrieben. Punkt! Die Komponisten hatten nicht Sopran, Mezzo oder Bariton im Blick. Ich bin Sänger, also kann ich dieses Repertoire auch singen. Ich will nicht nur drei Komponisten in meinem Leben singen.

Frage: Sondern?

Antwort: Bestimmt werde ich in den nächsten Jahren noch ein ganz anderes Repertoire erobern. Ein Recital mit einem Klavier vor einem Publikum zu geben, eröffnet dir plötzlich ganz andere Möglichkeiten, über dich selbst nachzudenken. Man erkennt viel stärker, wer man eigentlich ist. Das ist eine fantastische Schule.

Frage: ...die sich wie äußert?

Antwort: Wir Opernsänger stecken ja in alles immer gleich Drama hinein, selbst dort, wo es überhaupt keines gibt. Wir wollen ausdrucksstark sein, wissen aber nicht genau wie. Man hört da Sänger, die singen, als hätten sie gerade ihre gesamte Familie verloren. Angesichts dieser Gedichte wird man sehr zurückhaltend mit allen stimmlichen Effekten und den Möglichkeiten, die bei der Oper manchmal funktionieren - denn hier funktionieren sie plötzlich nicht mehr.

Frage: Werden wir Sie demnächst etwa auch mit den großen Liederzyklen von Schumann oder Schubert hören?

Antwort: Ich habe das tatsächlich schon einmal ausprobiert. Aber bei französischen Liedern fühle ich mich im Moment noch einfach wohler. Man soll nie nie sagen, aber den Flavour und die Raffinesse dieser Texte zu treffen, ist einfach noch zu früh für mich. Ich werde in Deutsch wohl erst einmal mit Bach anfangen...

Frage: Und wann kommt Schubert?

Antwort: In zehn Jahren gebe ich ein Schumann-Schubert-Recital. Versprochen.

ZUR PERSON: Philippe Jaroussky wurde am 13. Februar 1978 in Maisons Laffitte, einer Pariser Vorstadt, geboren. Zum Gesang kam er erst im Alter von 18 Jahren, als er am Konservatorium seine Gesangslehrerin kennenlernte, die ihn bis heute unterrichtet. Sein Debüt gab er 1999 auf dem Festival von Royaumont. Seine Diskographie umfasst trotz des späten Karrierebeginns schon rund 30 CDs. Experten bescheinigen ihm einen seltenen und sehr hohen Countertenor, der dabei natürlich und sanft klingt.