New York - Rund 65 Jahre nach ihrer Uraufführung soll eine neue Version der «West Side Story» um die Welt gehen. Premiere ist nun in München, danach sind weitere deutsche Städte geplant. Zuletzt sind in den USA zwei Neufassungen gescheitert - braucht es da noch einen Versuch?
Von außen ist es ein schmuckloses Bürogebäude mitten in Manhattans Häuserschluchten, aber innen entstehen im dritten Stock Theaterträume. Dort liegen die «Pearl Studios» mit ihren Probenräumen für einige der größten Shows am New Yorker Broadway. Es ist ein Sommertag im Juni, als in manchen Zimmern bereits Proben laufen, während es andernorts bei Vorsingen und Vortanzen noch darum geht, eine der begehrten Rollen zu ergattern.
Ein Ziel der vielen Talente auf diesen Fluren ist an diesem Tag die Neuproduktion von «West Side Story». Sie kommt aber nicht an den Broadway, sondern geht nach dem Willen der Produzenten auf eine mehrjährige Welttournee - mit Start in München am 16. Dezember. Danach soll die Produktion Station in Essen, Zürich, Wien, Baden-Baden, Leipzig, Bremen, Düsseldorf und Frankfurt machen, bevor im Sommer unter anderem Istanbul, Tokio und Bangkok angedacht sind.
Kurz nachdem Schauspieler Marek Zurowski in einem der größeren Räume schmachtend von «Maria» sang, der verbotenen Liebe von Hauptfigur Tony, erklärt Regisseur Lonny Price das Konzept dieser Neuaufführung: Es geht zurück zu den Wurzeln.
Mehr als 65 Jahre hat der 1957 in New York uraufgeführte Stoff bereits auf dem Buckel. Angelehnt an Shakespeares Klassiker «Romeo und Julia» geht es um zwei rivalisierende Straßengangs an der damals noch von Arbeitern und Einwanderern geprägten Upper West Side und darum, wie der Amerikaner Tony, ein früherer «Jet», sich in die Puertoricanerin Maria aus dem Dunstkreis der «Sharks» verliebt.
Seit Jahrzehnten ist das Stück ein Welterfolg, Komponist Leonard Bernstein, Songtexter Stephen Sondheim, Choreograph Jerome Robbins und Autor Arthur Laurents veränderten damals für immer die Kunstform Musical. Sie brachten Elemente zusammen, die so vorher noch nie zueinandergefunden hatten, darunter anspruchsvolle Tanzszenen, unverwüstliche Songs wie «Somewhere» und «America» und ein Score, der auf revolutionäre Art Jazz, Oper und lateinamerikanische Tanzmusik verschmolz.
Weltweit hat es seitdem Dutzende große Produktionen und unzählige Schulaufführungen gegeben. Über drei Jahre lief das Stück am Londoner West End, ein Film 1961 machte Natalie Wood zum Star, 1980 folgte ein erstes Broadway-Revival, 2009 ein zweites, für das mehr als eine Million Tickets verkauft wurden. Doch zwei große jüngere Projekte standen unter keinem guten Stern. Eine 2021 nach langer Corona-Verzögerung in die Kinos gekommene Neuverfilmung von Regie-Titan Steven Spielberg blieb mit einem weltweiten Einspiel von rund 76 Millionen Dollar hinter den Erwartungen zurück.
Auch eine modernisierte 2020er-Broadway-Neuinszenierung des belgischen Regisseurs Ivo Van Hove mit Videoleinwänden und reduzierter Bühne floppte. Sie schrieb vor allem Schlagzeilen mit Verletzungen während der anspruchsvollen Tanzszenen und Belästigungsvorwürfen gegen einen der Hauptdarsteller. Die Produktion musste nach nur 24 regulären Vorführungen in die Corona-Pause und wurde 2021 nicht wieder aufgenommen.
Die Produktion, um die es beim Casting in Manhattan geht, hofft mit einem Traditionsansatz auf Erfolg und behält beispielsweise die ursprüngliche Choreographie bei. «Dieser Stoff wird aus gutem Grund geliebt», sagt Regisseur Price. «Die Musik ist in ihrer Zeit und an ihrem Ort verwurzelt, beispielsweise mit dem Mambo. Ich glaube, man muss sie dort belassen.»
Das sieht auch der Sohn des berühmten Komponisten so. «Ich bin sehr glücklich darüber, dass diese neue Produktion sehr treu dem Original-Konzept folgt», sagte Alexander Bernstein nach dem Probentag der Deutschen Presse-Agentur dpa. «Es ist einfach eine zeitlose Story, mit der Liebesgeschichte und der Tragödie. Es ist schockierend, wie relevant das gesellschaftlich und politisch noch ist.»
Price unterstreicht ebenfalls diesen Punkt und sagt: «Das Stück handelt davon, wie lächerlich Vorurteile sind.» Er sieht auch internationale Bezüge. «Wir betonen die Fremdenfeindlichkeit und die Gewalt gegen Andersartige. Dieser Kontext spielt nicht nur in den USA eine Rolle.»
3500 Bewerbungen soll es laut den Produzenten für die Inszenierung gegeben haben. Start in München ist im Deutschen Theater, wo schon 1961 das Stück zum ersten Mal auf einer deutschen Bühne gespielt wurde, vier Jahre nach der Uraufführung in New York.