Erl - Als neuer Intendant der Tiroler Festspiele Erl will der Frankfurter Opernchef Bernd Loebe einen behutsamen Neuanfang wagen. Das bekannte Opern- und Musikfestival nahe Kufstein am Inn soll mit jüngeren Dirigenten und Regisseuren sowie ambitionierteren Operninszenierungen aufwarten.
Am Ende ging alles ganz schnell. Gustav Kuhn, Gründer und Intendant der Tiroler Festspiele in Erl, war wegen des Vorwurfs sexueller Übergriffe so stark unter Druck geraten, dass er Ende Oktober mit sofortiger Wirkung seine Ämter niederlegte. Nun stehen die Festspiele, die mit ambitionierten Wagner-Produktionen wie einem 24-Stunden-«Ring» bekannt geworden waren, vor einem Neubeginn. Richten soll es ein renommierter Profi: Um das ramponierte Image wieder aufzupolieren, hat Festspielpräsident Hans-Peter Haselsteiner den langjährigen Intendanten der Frankfurter Oper Bernd Loebe nach Tirol gelockt.
Loebe tritt sein neues Amt zwar erst im September 2019 an. Doch auch bei den in Kürze beginnenden Winterfestspielen und in der Sommersaison 2019 - formell zuständig ist noch der bisherige künstlerische Leiter Andreas Leisner - dürfte er schon beratend tätig gewesen sein. So wird die Wintersaison mit einer Wiederaufnahme von Puccinis «La Bohème» unter dem einstigen Frankfurter Generalmusikdirektor Paolo Carignani eröffnet. Für die Neuproduktion von Bellinis «La Sonnambula» wurde der Belcanto-Experte Friedrich Haider engagiert. Und das Neujahrskonzert steht unter Leitung von Oksana Lyniv, der neuen Chefdirigentin der Grazer Oper. Sie ist eine Schülerin von Superstar Kirill Petrenko, dem designierten Chef der Berliner Philharmoniker.
Auch für die Zeit danach gibt es schon konkrete Pläne: «Mehr Theater wagen» - unter diesem Motto will Loebe das ländliche Opern- und Musikfestival nahe Kufstein am Inn modernisieren, ohne das an Kuhns realistisch-konservative Inszenierungen gewöhnte Publikum zu vergraulen. «Mir war allerdings zunächst nicht bewusst, wie begrenzt die bühnentechnischen Möglichkeiten auch im neuen Festspielhaus sind», sagt Loebe, unter dessen Ägide Frankfurt mehrfach zum «Opernhaus des Jahres» gekürt wurde. «Aber solch ein Mangel kann durchaus die Fantasie anspornen.»
Am Wagner-Schwerpunkt auf Österreichs «grünem Hügel» soll nicht gerüttelt werden. Schon 2020 soll es im alten Passionsspielhaus den «Lohengrin» geben. Und auch ein neuer «Ring des Nibelungen» ist in Planung, mit Brigitte Fassbaender als Regisseurin. Loebe kennt Fassbaender, die nach ihrer legendären Karriere als Mezzosopranistin unter anderem das Tiroler Landestheater in Innsbruck leitete, von mehreren Inszenierungen in Frankfurt. «Sie ist die große alte Dame des Musiktheaters, auch wenn sie mich für diese Bezeichnung wohl ohrfeigen würde.»
Weitere Schwerpunkte neben Wagner sollen Werke von Komponisten sein, die zum Bayreuther Meister in Beziehung stehen, etwa Engelbert Humperdincks «Königskinder». Als drittes kommt eine Belcanto-Schiene mit Komponisten wie Gaetano Donizetti, Vincenzo Bellini und Gioachino Rossini dazu. «Hier gibt es ein reiches Repertoire, das vor allem für jüngere Sängerinnen und Sänger am Beginn ihrer Karriere geeignet ist.» Loebe liegt die künstlerische Nachwuchsförderung am Herzen, wobei Erl keine Ausgabe von «Jugend forscht» werden solle, wie er mit ironischem Zungenschlag versichert. Ein Starzirkus verbietet sich freilich, schon wegen des beschränkten Budgets.
In der Affäre um Kuhn hatten im Herbst einige der mutmaßlichen Opfer sexueller Übergriffe seitens des Dirigenten ihr Inkognito gelüftet und namentlich Stellung genommen. Kuhn zog sich daraufhin nach Italien zurück. Seither ist sein «Camerino» im Erler Festspielhaus, in dem sich manche der von ihm nach wie vor energisch bestrittenen Zudringlichkeiten ereignet haben sollen, verwaist.
Auch die Chefdirigentenposition, die Kuhn ebenfalls innehatte, ist nun vakant und wird es wohl noch eine Weile bleiben. Loebe will zunächst mit wechselnden Dirigenten arbeiten. Ob auch der Festspielgründer nach einer möglichen Rehabilitierung wieder einmal am Pult in Erl stehen könnte, sei derzeit kein Thema, sagt Loebe. «Ich möchte nicht zu sehr nach hinten schauen. Hier in Erl freuen sich alle, dass wir dabei sind, das Alte abzuschütteln und einen neuen Anfang zu machen.»