Zürich - Riesenapplaus für die italienische Star-Mezzosopranistin Cecilia Bartoli im Züricher Opernhaus: In der Premiere von Georg Friedrich Händels Zauberoper «Alcina» wurde Bartoli am Sonntagabend in der Rolle der Titelheldin vom Publikum gefeiert. Die Opernsängerin mit dem sprudelnden Temperament steht seit langem an der Spitze des Klassikmarkts. Kaum eine ihrer Kolleginnen versteht es so gekonnt wie sie, mit immer neuen Ideen Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Denn Bartoli beteiligt sich eben nicht am Gastierbetrieb des globalen Opernzirkus, sondern schafft sich ihr Repertoire selbst. Seit einigen Jahren tritt sie vorzugsweise mit Ausgrabungen vergessener Komponisten oder radikalen Neudeutungen bekannter Rollen - wie etwa mit Vincenzo Bellinis «Norma» - in Erscheinung - meist begleitet von CD-Veröffentlichungen mit anschließenden Konzert-Tourneen.
Ausgesprochen rar sind dagegen ihre Auftritte in Opernhäusern. Umso größer war die Spannung, wie Bartoli die exponierte und hoch virtuose Sopran-Partie in Händels «Alcina» meistern würde. Regisseur Christof Loy deutet das Zauberreich der Alcina - laut Libretto eine einsame Insel, auf die Alcina ihre Liebhaber lockt und nach Gebrauch zu Tieren oder Steinen verzaubert - als barockes Theater.
Bühnenbildner Johannes Leiacker zeigt opulent bemalte Prospekte und Gips-Säulen, aber auch die muffige Unterbühne und schäbige Garderoben mit abblätternden Tapeten. Die ohnehin verwickelte Handlung wird in Loys hinreißend subtiler und fein ausgearbeiteter Regie zu einem wahren Taumel der Identitäten und einem Wechselbad der Gefühle zwischen heiterer Liebelei bis zum elementaren Drama. Die Schauspielerin Silvia Fenz als greiser Liebesgott Cupido begleitet stumm und sich oft das dürre Haar raufend das turbulente Geschehen, Ursula Renzenbrinks Kostüme spielen raffiniert mit den Epochen.
Der Orchestergraben im Züricher Opernhaus ist so weit hoch gefahren, dass die gut sichtbaren Musiker unter der Leitung von Giovanni Antonini fast selbst zu Akteuren werden und mit den Sängern nicht nur akustisch auf Tuchfühlung gehen können.
Antonini wagt kontrastreiche Tempi, lässt mal Virtuoses an der Grenze zur Spielbarkeit vorbei huschen, dann wieder dehnt er ruhige Passagen bis kurz vor den Stillstand. Die Dynamik drosselt er auf Kammermusik-Niveau, was in der trockenen Züricher Akustik wunderbar funktioniert und maximale Transparenz sichert. Das ist der ideale Boden für Bartolis berühmte Piano-und Verzierungskünste. In den höheren Lagen klingt ihre Stimme mittlerweile fast körperlos und auch ihr Vibrato flirrt noch unruhiger als früher. Ihre Bühnenpräsenz jedoch ist umwerfend, die Mittellage unverändert kernig und charakteristisch im Klang.
Obwohl die Titelrolle schon bei Händel die alles beherrschende Figur ist und Loys Regie die Zauberin zur Diva und damit noch dominanter macht, erweist Bartoli sich als kollegiale Team-Playerin, die ihren famosen Kolleginnen und Kollegen häufig den Vortritt lässt. Vor allem die Frauenstimmen leisten in Zürich Außerordentliches: Allen voran Malena Ernman in der Hosenrolle des Ruggiero, die mit flammenden Koloraturen und satter Tiefe glänzt, gefolgt von Varduhi Abrahamyans warm timbrierter Bradamante und Julie Fuchs' glockenklarer Morgana. Über fast vier Stunden reißt nie der Spannungsfaden. Ein großer Ensemble-Abend voller Esprit.
Constanze Schmidt