Berlin - Deutschland ist ein Opern-Paradies. In keinem anderen Land stehen so viele Opernhäuser wie hierzulande. Es sind gut 80 Musiktheater, die jährlich mit mehr als zwei Milliarden Euro subventioniert werden. Das weckt auch den Anspruch, künstlerisch tonangebend zu sein. Doch bei der jährlichen Wahl der Musikkritiker zum "Opernhaus des Jahres" hatten 2011 deutsche Bühnen das Nachsehen:
Erstmals wurde ein Haus im nicht-deutschsprachigen Raum gekürt: das Theatre de la Monnaie in Brüssel, ein vergleichsweise kleines Haus mit 1.150 Plätzen und "bescheidenen" Zuschüssen von 43 Millionen Euro. "Mut zum Wagnis" bescheinigt ihm die Fachzeitschrift "Opernwelt", viele Stücke der Moderne stehen auf dem Spielplan.
Unter den Regisseuren brachte das zu Ende gehende Opernjahr vor allem zwei Altmeister wieder ganz nach vorn: Hans Neuenfels kam mit 70 Jahren zu neuen Ehren, denn im zweiten Jahr wurde seine Bayreuther Ratten-Inszenierung des "Lohengrin" zum Kult. Im Jahr ihrer Premiere war sie noch heftig gescholten und ausgebuht worden.
Erstaunlich auch das Comeback des Regisseurs Achim Freyer: Mit 77 Jahren wurde er von der "Opernwelt" zum "Regisseur des Jahres" gekürt. Am Opernhaus Zürich hatte er eine magisch-poetische Inszenierung von Arnold Schönbergs "Moses und Aron" vorgestellt und damit Publikum und Kritiker gleichermaßen überzeugt. Und nach seinem kompletten "Ring des Nibelungen" in Los Angeles stemmt er nun Wagners Monumentalwerk am Nationaltheater Mannheim auf die Bühne.
Erfolgsjahr für Andrea Breth
Mit zwei sehenswerten Aufführungen bereicherte auch Andrea Breth die Opernsaison 2011. An der Berliner Staatsoper war mit "Wozzeck" ihre erste Auseinandersetzung mit Alban Berg zu erleben und am preisgekrönten Theatre de la Monnaie trug die 59-Jährige mit einer Leos-Janacek-Inszenierung zum Erfolg des Hauses bei. Der bekannte Regie-"Außenseiter" Calixto Bieito wurde für seine Inszenierungen in Stuttgart und Basel ebenso geliebt wie angefeindet. Auch dem Regie-Nachwuchs gelangen Achtungserfolge: Der 31-jährige Tobias Kratzer punktete mit "Anna Bolena" am Luzerner Theater.
In der allsommerlichen Kulturhochburg Bayreuth gab es nach der "Tannhäuser"-Premiere ratloses bis verärgertes Achselzucken. Zu unverständlich, zu verkopft hatte der Berliner Regisseur Sebastian Baumgarten das Werk auf die Bühne gebracht. "Im ersten Jahr ist es für jeden Regisseur in Bayreuth schwierig, gerade wenn der Entwurf versucht, radikal zu sein und mit bestimmten Grundsätzen Bayreuths aufzuräumen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich bejubelt werde", sagte Baumgarten der Nachrichtenagentur dapd.
Während von den großen Opernhäusern künstlerische Arbeit auf höchstem Niveau ganz selbstverständlich erwartet wird, gibt es immer wieder kleine Häuser, die verblüffen. 2011 war es die Oper Halle in Sachsen-Anhalt. Dort wurde Alban Bergs "Lulu" in der Regie von Jasmina Hadziahmetovic zu einem Ereignis, und auch Gaetano Donizettis "Lucrezia Borgia" machte eine Reise in die "Kultur-Provinz" lohnenswert.
Auch das klassizistische Theater im thüringischen Meiningen spielt nach seiner Komplettrenovierung wieder mit im Kanon der Großen. Mit Richard Wagners Frühwerk "Das Liebesverbot" erlebte das Haus in dem 20.000-Einwohner-Ort im Dezember einen schönen Erfolg.
"Walküre in Detmold"
Eine charmante Entdeckungsreise durch die Welt der Oper von München bis Cottbus unternimmt der Journalist Ralph Bollmann in seinem Buch "Walküre in Detmold". Rund 80 feste Opernensembles gibt es in Deutschland, und Bollmann hat sie alle besucht und dabei einen ungeheuer reichen, manchmal auch skurrilen Kulturschatz entdeckt.
Eine der einst wichtigsten Opernstädte Deutschlands, Hamburg, dagegen befindet sich im ablaufenen Jahr weiter auf dem Weg ins künstlerische Mittelmaß. Nach immer nichtssagenderen Inszenierungen und zuletzt auch wenig engagierten Dirigaten wundert es nicht, dass Intendantin und Musikdirektorin Simone Young jetzt ankündigte, ihren Vertrag über 2015 hinaus nicht zu verlängern - und damit möglicherweise einer quälenden Debatte zuvorkam.