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Berliner Ensemble zeigt neue «Dreigroschenoper». Foto: JR, Berliner Ensemble
Berliner Ensemble zeigt neue «Dreigroschenoper». Foto: JR, Berliner Ensemble
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Der Haifisch schreit: Liebe mich!

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Berlin - Rund 93 Jahre nach der Uraufführung der «Dreigroschenoper» hat das Berliner Ensemble eine weitere Neuinszenierung des Theaterstücks aufgelegt. Regisseur Barrie Kosky und sein Team feierten am Freitagabend Premiere. Erzählt wird die Geschichte über Liebe und Kapitalismus in einer Kulisse aus Stahlgerüsten.

«Und der Haifisch, der hat Zähne...» Diese Zeile verleitet bis heute zum Mitsummen, dabei hätte das ganz anders ausgehen können. Die «Dreigroschenoper» mit Texten von Bertolt Brecht kam erstmals 1928 auf die Bühne. Viele hätten damals gedacht, das werde ein großer Flop, sagt der aus Australien stammende Opernregisseur Barrie Kosky heute. Bei der chaotischen Premiere sei der Saal nur halb gefüllt gewesen. «Das war eine richtige Katastrophe.»

Plötzlich habe es dann gezündet, sagt Kosky in einem Videoclip des Berliner Ensembles. Und der Auslöser für diesen Erfolg sei Kurt Weills Musik gewesen. Die Lieder seien sofort Hits geworden - Popsongs. Fast ein Jahrhundert nach der Uraufführung hat sich Kosky die «Dreigroschenoper» nun selbst vorgenommen. Und er zeigt eine Mischung aus Seifenoper und Kapitalismuskritik.

Der Abend beginnt mit eben jener Liedzeile zum Haifischgebiss, die nicht nur zum ikonischen Lied der «Dreigroschenoper» geworden ist, sondern auch in diversen englischen Jazz-Versionen existiert («Oh the shark, babe, has such teeth, dear...»).

Am Berliner Ensemble steht nun zum Glück nicht Popsänger Robbie Williams auf der Bühne, sondern Schauspieler Nico Holonics. Er spielt den Ganoven Mackie Messer - einen Typen, dem man einen Hang zum Narzissmus bescheinigen könnte und der mit seiner tänzelnden Art wirkt, als habe er in einem Berliner Club die Nacht durchgekokst. Nun will er die schöne Polly Peachum heiraten (Cynthia Micas).

Deren Eltern (Constanze Becker und Tilo Nest) sind damit allerdings so gar nicht einverstanden. Sie betreiben ein Bettlerimperium und versuchen, Mackie ins Gefängnis zu bringen und hängen zu lassen. Auf der Bühne beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel durch ein stählernes Labyrinth. Holonics hat sich beim Klettern in der Kulisse nach eigenen Angaben schon mal ordentlich das Bein angehauen.

Mackie hat eine Vorliebe für Prostituierte und allerhand Affären. Als ihn Polly schließlich wiedersieht und auf die versprochene Zukunft hofft (samt Glück und Zweisamkeit und dem ganzen Brimborium), will er ihr weißmachen, sie hätten doch überhaupt nie geheiratet. Man könnte meinen, die beiden spielten einen Ratgeber über toxische Beziehungen und psychischen Missbrauch nach.

Dass die Geschichte heute noch funktioniert, hat die Premiere am Freitagabend gezeigt. Der Abend ist mit glitzerndem Lametta, überzeugendem Ensemble und begabtem Orchester sehr unterhaltsam. Und wirft eben trotz der eher simplen Telenovela-Liebesgeschichte auch die großen Fragen auf. Was steckt hinter der Fassade? Kann der Mensch unter schlechten Bedingungen überhaupt gut sein?

Im Programmheft setzt sich die Soziologin Eva Illouz («Warum Liebe weh tut») mit der Frage auseinander, wie sich Gesellschaftsordnung und Kapitalismus auf Beziehungen auswirken. Brechts Figuren, sagt Illouz in dem Interview, seien «unmoralische Diebe», die die Kernideologie der Kapitalisten verkörperten: «Geschäft geht über alles, was bedeutet, dass jegliche Erwägung von Mitleid, Menschenliebe und Altruismus missachtet und verhöhnt wird». So trifft man in der «Dreigroschenoper» viele Menschen, die sich nobel geben, eigentlich aber auf ihre Vorteile bedacht sind. «Erst kommt das Fressen, dann die Moral», heißt es an einer Stelle.

Als Vorlage für die «Dreigroschenoper» diente John Gays «The Beggar's Opera» aus dem 18. Jahrhundert, wie Kosky in einem Video sagte. Elisabeth Hauptmann habe das Stück gesehen und eine deutsche Fassung vorgeschlagen. Die Uraufführung ging damals im gleichen Gebäude über die Bühne, in dem heute das Berliner Ensemble untergebracht ist.

Gegen Ende der neuen Inszenierung schwebt ein großer Schriftzug über der Bühne. «Love me» - übersetzt «Liebe mich». Vom Publikum gibt es für das Schauspielensemble und das Orchester sehr viel Applaus. Für das Regieteam gibt es neben großer Zustimmung auch einige Buhrufe. Über vieles kann man nach dem Abend nachdenken. Wie zum Beispiel findet das Individuum seinen Platz in der Welt?

«Ersetzbarkeit und Instrumentalisierung sind der Stoff, aus dem der Kapitalismus gemacht ist», wird die Soziologin Illouz zitiert. Der Kapitalismus übertreibe die Idee des Individuums. «Er macht uns einzigartig, unnachahmbar, einmalig. Das macht es schwieriger, Liebe aufrechtzuerhalten, denn um zu lieben, braucht man dasselbe, was nötig ist, um eine soziale Gemeinschaft und Gesellschaft aufzubauen», erklärt sie. «Es bedarf einer gemeinsamen Lebenswelt, für die man akzeptiert, seine Einzigartigkeit aufzugeben.»

 

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