Berlin (dpa) - Neuanfang mit 79 Jahren: Christoph Eschenbach kehrt als Dirigent nach Deutschland zurück und tritt an diesem Freitag in Berlin als neuer Chef des Konzerthausorchesters erstmals auf. «Ich war fast 30 Jahre «Music Director» in den USA, und es war an der Zeit, dass ich mich wieder in Europa bewege», sagte Eschenbach vor seinem Auftakt am Gendarmenmarkt mit Gustav Mahlers achter Sinfonie.
Eine Woche nach dem Start von Kirill Petrenko bei den Berliner Philharmonikern gibt somit ein weiterer Chefdirigent seinen Einstand in der Hauptstadt.
Die Entscheidung für Berlin sei ihm nicht schwer gefallen. Das Konzerthaus mit seiner illustren Geschichte - hier wurde unter anderem 1821 «Der Freischütz» uraufgeführt - sowie das aufgeschlossene und innovative Orchester hätten den Ausschlag gegeben, sagte Eschenbach der Deutschen Presse-Agentur. Das 1952 gegründete Berliner Sinfonie-Orchester hatte sich 2006 in Konzerthausorchester Berlin umbenannt.
Mit der Berufung des Dirigenten war Konzerthaus-Intendant Sebastian Nordmann ein Coup gelungen. Der 1940 in Breslau geborene Musiker gehört zu den international gefeierten Pultstars. Eschenbach war Chef beim Tonhalle-Orchester Zürich, dem Houston Symphony-Orchestra, dem NDR Sinfonieorchester, dem Orchestre de Paris, dem Philadelphia Orchestra und zuletzt beim National Symphony Orchestra im Kennedy-Center in Washington. Von 1999 bis 2002 leitete er das Schleswig-Holstein Musikfestival.
Der Neue wird Nachfolger des Ungarn Iván Fischer, der als Gast dem Konzerthaus verbunden bleibt. Das Orchester hatte sich mehrheitlich für Eschenbach entschieden, sein Vertrag läuft zunächst drei Jahre. Intendant Nordmann nannte den Dirigenten ein «Universalgenie».
Eschenbach hat eine bewegte - und bewegende - Biografie. Seine Mutter starb bei der Geburt, sein Vater, der Musikwissenschaftler Heribert Ringmann, in einem Strafbataillon. Mit seiner Großmutter war er ein Jahr auf der Flucht, doch in einem Flüchtlingslager starb sie an Typhus. So wuchs Eschenbach bei der Cousine seiner Mutter, der Pianistin Wallydore Eschenbach, in Schleswig-Holstein und Aachen auf.
«Die letzten Kriegsjahre waren schon ziemlich grauenvoll, und ich trage sie unvergesslich in mir», sagt der Dirigent. «Die Musik hat mir geholfen, diese fürchterlichen Eindrücke zu sublimieren und sie zu übersetzen in Kunst.» Er sei «ein Kriegskind» und werde es auch immer bleiben.
Zwar startete Eschenbach seine Karriere als Pianist, wechselte aber bald in das Dirigierfach und lernte den Beruf bei Herbert von Karajan und George Szell. «Es hat mich einfach die Größe des Repertoires gereizt.» Klavierspieler seien sehr einsam. «Man ist allein auf der Bühne mit einem großen, schwarzen Tier.»
Wenn das Konzerthaus, das bis 2006 noch Schauspielhaus hieß, in zwei Jahren seinen 200. Geburtstag feiert, soll auch Eschenbach mit von der Partie sein. Doch auch Eschenbachs Achtzigsten am 20. Februar 2020 will das Konzerthaus groß feiern. Dafür kommen das Orchestre de Paris sowie auch andere Musiker nach Berlin, denen der Dirigent und Pianist seit langem verbunden ist: Die Pianisten Lang Lang und Tzimon Barto, die Geigerin Midori und der Cellist Kian Soltani.
Auch einem Laien verhalf Eschenbach zu künstlerischer Berühmtheit - dem Hobbypianisten Helmut Schmidt (1918-2015). In den legendären Abbey Road Studios, wo einst die Beatles ihre Platten produzierten, nahm der damalige Kanzler 1981 zusammen mit Christoph Eschenbach und Justus Frantz Mozarts Konzert für drei Klaviere auf.
Schmidt sei außerordentlich musikalisch gewesen. «Ich habe ihn mal in Hamburg besucht. Da berichtete er mir, dass er im Fernsehen mein Konzert beim Schleswig-Holstein-Festival gehört hatte. Haben Sie gehört, fragte ich nach. Ja, ja, antwortet er. Ich habe eingeschaltet, aber den Ton weggelassen.« Da sprach für seine totale Musikalität. Er hat die Musik in sich gehört.»
Ob Eschenbach wieder als Solist am Klavier auftreten wolle? «Warum nicht? Ich habe es noch nicht geplant.» Eine Verletzung an der linken Hand habe ihm eine Zwangspause auferlegt. «Jetzt fange ich wieder an. Zu Beginn war es wie bei der ersten Klavierstunde. Aber jetzt kann ich's wieder.»