Dresden - Wenn der Dirigent Omer Meir Wellber Rezitative aus Mozart-Opern spielt, fließen schon mal Melodien von Edith Piaf ein. Oder ein paar Takte der amerikanischen Hymne - so wie nach der Wahl Donald Trumps.
Der israelische Dirigent Omer Meir Wellber sieht in Mozart für jeden Musiker eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. «Mozart lässt uns viel Freiheit. In jeder Aufführung kann und muss man etwas anders machen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur im Interview. Bei den am Freitag beginnenden Mozart-Tagen der Semperoper in Dresden steht der 35-Jährige bei mehreren Aufführungen am Pult. Über seine Beziehung zu dem Komponisten schrieb er gemeinsam mit Co-Autorin Inge Kloepfer das Buch «Die Angst, das Risiko und die Liebe - Momente mit Mozart».
Frage: Was ist das Geheimnis von Mozart?
Antwort: Mozart lässt uns viel Freiheit. In jeder Aufführung kann und muss man etwas anders machen. Man kann seiner Fantasie freien Raum lassen, weil er Raum dafür geschaffen hat. Mozart hat seine Werke zwar genau komponiert, aber keine Anmerkungen gemacht, wie etwas zu spielen ist. Es gibt kaum Hinweise auf piano oder forte, Übergänge oder Akzentuierungen. Auch bei den Rezitativen lässt er Spielraum. Heute werden sie nicht mehr nur mit dem Cembalo oder Hammerklavier gespielt, sondern auch mit Marimba oder Schlagzeug. Mozart vermittelt uns damit das Gefühl, dass seine Musik auch im Jetzt besteht.
Frage: Hat er den Verzicht auf Notierungen bewusst gemacht, oder war das möglicherweise nur Nachlässigkeit?
Antwort: Vielleicht beides. Damals war die Möglichkeit zur Improvisation viel mehr verbreitet, gerade auch in der Barockmusik. Mozart war für seine Zeit aber sehr modern. Es ist sehr interessant zu sehen, was er komponiert hat und welche Passagen er Rezitativen überließ. Ich nehme immer zuerst den Text und denke darüber nach, wie ich das selbst machen würde - und dann vergleiche ich es damit, wie es Mozart umgesetzt hat.
Frage: Warum sind Sie erst so spät zu Mozart gekommen?
Antwort: Ja, ich habe lange einen Bogen um ihn gemacht. Natürlich spielte ich als junger Musiker seine Stücke. Aber eher so, wie man auch andere spielt. Auch wenn es komisch klingt: Ich fand Mozart früher etwas langweilig. Vielleicht auch, weil ich seine Musik nicht richtig verstanden hatte. Als Dirigent bekam ich schon früh viele Angebote, Mozart zu dirigieren und habe immer abgelehnt. Erst als in Dresden die Idee aufkam, alle seine drei Opern mit den Libretti von Lorenzo da Ponte aufzuführen, platzte bei mir der Knoten. Natürlich ist klar: An Mozart kommt man auch als Dirigent nicht vorbei.
Frage: Gibt es Komponisten, mit denen Sie nichts anfangen können?
Antwort: Ich habe da eine andere Perspektive. Ich muss den Komponisten selbst finden. Das ist wie die Beziehung zu Gott. Gott braucht mich nicht, ich muss ihn finden. Für mich ist die ganze Musikliteratur ein heiliger Text. Natürlich findet man zu dem einen mehr Zugang als zu dem anderen. Es gehört aber zur Arbeit, sich Komponisten zu erarbeiten. Ich mache viel Mozart, viel Strauss, viel Schostakowitsch, aber auch andere. Wenn ich einen Schlüssel finde, dann laufe ich los. Aber den Schlüssel muss ich schon selbst suchen. Lernen und Studieren kommt zuerst, erst danach folgt die Partitur.
Frage: Ist Richard Wagner ein Thema für Sie?
Antwort: Ja, ich werde ihn künftig auch in Dresden dirigieren. Aber wenn ich mich zwischen Wagner und Strauss entscheiden müsste, würde ich Strauss wählen. In Israel ist Wagner verpönt, was falsch ist. Es ist aber auch falsch, ihn zu überhöhen und geradezu religiös zu verehren. Wagner ist ein wunderbarer Komponist, hat fantastische Musik geschrieben. Er war aber ein Mensch aus Fleisch und Blut und kein Prophet. Nicht alles von ihm ist wirklich gut. Oft fehlt mir bei ihm das Gefühl, in einen Dialog zu treten. Er ist monothematisch, seine Welt ist etwas dogmatisch. Ich bin mehr ein Dialog-Künstler.
Frage: Werden Sie künftig wieder mehr komponieren?
Antwort: Vielleicht. Momentan dominiert das Dirigieren. Aber auch das Komponieren interessiert mich sehr, beispielsweise Schauspielmusik. Ich habe da viel in Israel gemacht und will das auch künftig tun. Musik hat im Schauspiel und im Film eine wichtige Rolle. Früher brauchte ich zum Komponieren nur einen Stuhl und einen Tisch. Inzwischen geht das nicht mehr ganz so einfach. Ich habe zu viel Musik anderer Leute im Kopf. Vielleicht höre ich deshalb meine eigene, innere Musik momentan nicht so gut.
Frage: Was halten Sie von Jetset-Dirigenten mit mehreren Chefposten?
Antwort: Ich selbst möchte das nicht. Das ist eine bewusste Entscheidung. Auch wenn ökonomische Argumente eigentlich dagegen sprechen (lacht). Doch am Ende ist das besser für mich. Man braucht auch für sich selbst Zeit in bestimmten Phasen seines Lebens. Wenn ich in Dresden arbeite, dann will ich auch länger hier sein. Das gleiche gilt für Mailand, wo meine Familie lebt.
ZUR PERSON: Omer Meir Wellber (35) gehört international zu den gefragtesten Dirigenten seiner Generation. Er ist regelmäßiger Gast an renommierten Opernhäusern wie München, Dresden oder Venedig.