Die documenta gilt als eine der international wichtigsten Kunstausstellungen, doch sie läuft weitgehend unter lokaler Regie. Nach dem Eklat mehren sich nun die Forderungen nach einer Reform. Kritiker fordern, dass sich der Bund nicht nur mit Geld einbringt.
Im Zusammenhang mit dem Antisemitismus-Eklat auf der documenta mehren sich die Rufe nach einer tiefgreifenden Strukturreform. So forderte der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, am Dienstag für die Zukunft mehr Mitsprache des Bundes bei der Kasseler Kunstschau. „Es ist natürlich jetzt sehr dringlich, dass gehandelt werden muss“, sagte Klein in Berlin. Es seien aber auch grundsätzliche Konsequenzen zu ziehen.
Auf der documenta fifteen war ein als antisemitisch eingestuftes Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi nach wenigen Tagen entfernt worden. Zuvor hatte es monatelang Antisemitismus-Vorwürfe gegen das kuratierende Kollektiv Ruangrupa aus Indonesien gegeben.
Klein sagte, es gehe um die Struktur der documenta, die auch Kulturstaatsministern Claudia Roth (Grüne) in einem Fünf-Punkte-Plan angehen wolle. Aktuell teilen sich die Verantwortlichkeiten wie folgt: Träger der Ausstellung ist eine gemeinnützige Gesellschaft, im Aufsichtsrat dieser gGmbH sitzen Vertreter von Land und Stadt.
Aufsichtsratsvorsitzender ist der Oberbürgermeister der Stadt Kassel, Christian Geselle. Die Ebene darunter bilden die Geschäftsführung und die künstlerische Leitung. Geschäftsführerin – die Position nennt sich inzwischen Generaldirektorin – ist Sabine Schormann.
Das Papier der Staatsministerin sieht im Kern vor, dem Bund künftig mehr Einfluss auf die documenta zu geben. Eine finanzielle Förderung des Bundes soll es nach Roths Willen zukünftig nur noch mit einer unmittelbaren Einbindung in die Strukturen der documenta geben. Sie werde den bisherigen Gesellschaftern von Land Hessen und Stadt Kassel vorschlagen, sich auf eine andere Struktur zu verständigen, hieß es.
„Die documenta ist eine derart bedeutsame Veranstaltung mit weltweiten Auswirkungen“, bekräftigte am Dienstag Klein. „Da kann es nicht sein, dass der Bund sich zurückzieht, dass eine Stadt wie Kassel das alleine macht und auch Warnungen, die ja in der Öffentlichkeit und auch von Bundesseite ausgesprochen werden, einfach in den Wind schlägt. Das kann so nicht bleiben.“ Der Antisemitismusbeauftragte fügte hinzu: „Ich finde auch, wenn Bundesgelder bereitgestellt werden, muss der Bund auch sehen, dass verantwortungsvoll damit umgegangen wird.“
Auch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) warf den Verantwortlichen der documenta am Dienstag Fehler vor. „Es war falsch, vorab nicht mehr Gespräche zu führen“, sagte er der „Frankfurter Rundschau“ (Dienstag). Man werde auch darüber nachdenken müssen, „ob die Strukturen der documenta so bleiben können“. Er erwarte nun von den Verantwortlichen, „dass sie jeden Stein umdrehen, ob irgendwo noch etwas Problematisches ist.“ Wen er genau damit meinte, erläuterte er in dem Interview allerdings nicht.
Zuvor hatte auch die stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Schau, Hessens Kunstministerin Angela Dorn, die Vorschläge Roths zur Überarbeitung der Strukturen der documenta gGmbH begrüßt. Es habe bereits nach den finanziellen Problemen der 14. documenta Einigkeit unter den Gesellschaftern der documenta bestanden, zusätzlich zu Vertretern aus Kassel und der hessischen Landesregierung auch bundesweite und internationale Expertise in den Aufsichtsrat einzubeziehen, teilte die Grünen-Politikerin am vergangenen Freitag mit.
„Wir waren uns einig, dass sich die Rolle der documenta als eine der weltweit bedeutendsten Kunstausstellungen im Aufsichtsrat widerspiegeln muss“, hatte die Grünen-Politikerin erklärt. „Leider sind die Überlegungen an der Stadtpolitik in Kassel gescheitert.“
Die Stadt Kassel teilte am Dienstag mit, eine von Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) angestrebte Änderung des Gesellschaftsvertrags der documenta gGmbH sei Ende 2020 unter anderem durch die Grünen im Stadtparlament abgelehnt worden. Der Entwurf, dem damals lediglich die Sozialdemokraten zugestimmt hatten, sah vor, das Gremium von zwölf auf neun Mitglieder um vier Kasseler Stadtverordnete zu verschlanken.
Der Rat sollte demnach nur noch aus drei Mitgliedern der Stadt, drei Mitgliedern des Landes sowie aus drei unabhängigen Sachverständigen bestehen. Zwei dieser drei Sachverständigen sollten auf Vorschlag von Beiräten des documenta-Instituts sowie einer auf Vorschlag der Geschäftsführung „aus sachnahen Gebieten mit nationaler Reputation“ gewählt werden.
Von Roths Reformplänen wisse die Stadt bis heute nur aus den Medien, erklärte ein Sprecher weiter. „Weder die Stadt Kassel noch die documenta gGmbH wurden persönlich oder schriftlich zu neuen Ideen/Planungen kontaktiert.“ Geselle habe daher am Montag einen Brief an die Kulturstaatsministerin geschrieben. Den Inhalt des Schreibens erläuterte der Sprecher nicht näher. Die von Roth vorgeschlagene Verständigung zwischen dem Land Hessen und der Stadt Kassel habe es bislang nicht gegeben.
„Im Übrigen lässt die Bundeskulturstiftung ihre beiden Aufsichtsratsmandate seit Frühjahr 2018 mit entsprechend schriftlicher Erklärung unbesetzt“, betonte der Sprecher. Die aktuelle Regelung des Gesellschaftsvertrages laute, dass zwei weitere Mitglieder des Aufsichtsrats auf Vorschlag der Kulturstiftung des Bundes von der Gesellschafterversammlung gewählt würden. „Da beide Mandate im Gesellschaftsvertrag nach wie vor verankert sind, wäre es Vertretern der Bundeskulturstiftung oder von ihnen benannten Dritten ohne Weiteres jederzeit möglich gewesen, im Vorfeld der documenta fifteen an Sitzungen des Aufsichtsrats des Unternehmens teilzunehmen und entsprechende Informations- und Kontrollfunktionen wahrzunehmen.“