Der Wunsch eines jeden Musikers ist ein Dirigent, der präzis den Takt schlägt. In Dresden soll das demnächst ein Roboter übernehmen. Momentan wird der elektronische Maestro trainiert.
Die Dresdner Sinfoniker fügen der Musikgeschichte ein paar neue Takte hinzu. Zu seinem 25-jährigen Bestehen lässt sich das Ensemble Mitte Oktober im Festspielhaus Hellerau auch von einem Roboter dirigieren.
Genaugenommen werden sind es drei Roboterarme sein, die den Musikern zeigen, wo es langgeht. Beim Programm „Roboter.Sinfonie“ steht zunächst mit Michael Helmrath ein Dirigent aus Fleisch und Blut auf dem Podium. Nach der Pause überlässt er die Leitung einer maschinellen Kollegin namens „MAiRA Pro S“.
Zumindest geht Sinfoniker-Intendant Markus Rindt wegen des Namens von einer Dirigentin aus. Das Stück „#kreuzknoten“ von Wieland Reissmann ist für die Roboter-Dirigentin eine besondere Herausforderung: „Zwei ihrer drei Arme leiten das Orchester durch sich überkreuzende Tempi. Ein Teil der Musikerinnen und Musiker beginnt langsam und akzeleriert, während die andere Hälfte retardiert. ‘#kreuzknoten’wäre aufgrund seiner rhythmischen Finesse von einem Menschen nicht zu dirigieren“, erklärt Rindt.
Roboter ist mit Taktstock ausgerüstet
Auch bei „Semiconductor’s Masterpiece“, einem Auftragswerk des Komponisten und Jazz-Pianisten Andreas Gundlach für die Dresdner Sinfoniker, greift die mit einem Taktstock ausgestattete Roboterfrau beherzt zu. Gundlach nutzt die Fähigkeit der Maschine, mit allen Armen das aufgeteilte Ensemble unabhängig voneinander durch komplexe Passagen zu führen und betritt damit musikalisches Neuland. Wie wird es klingen, wenn drei Orchesterteile in unterschiedlichen Metren und Geschwindigkeiten zusammenspielen, sich rhythmisch voneinander entfernen, um sich schließlich wiederzutreffen?
Für das Projekt hat der Sinfoniker-Chef Spezialisten vom Exzellenzcluster CeTI (Centre for Tactile Internet with Human-in-the-Loop) der Technischen Universität Dresden gewinnen können. Dort „lernt“ die elektronische Dirigentin derzeit, wie Takte geschlagen und Dynamiken angezeigt werden können. Die Idee hatte Rindt schon vor 20 Jahren. „Damals eine verwegene Vorstellung und reine Utopie. An die heutigen technischen Möglichkeiten war nicht ansatzweise zu denken“, erzählt der Intendant.
Frank Peters, Gruppenleiter für Robotik am CeTI, erwähnt vor allem Sicherheitsaspekte, die einen früheren Einsatz des Roboters im Konzertbetrieb nicht möglich machten. Damals habe es nur Industrieroboter und noch keine Kollaborativen Roboter gegeben, also speziell für die Interaktion mit dem Menschen konzipierte Maschinen. „Industrieroboter sind dazu da, um vorprogrammierte Bewegungen exakt abzufahren. Die halten nicht an, wenn ihnen etwas im Wege steht“, sagt Peters.
Publikum soll mit gesellschaftlich relevanten Themen konfrontiert werden
Seit mehr als einem Jahr arbeiten Peters und Rindt bereits an dem Projekt. Die Bewegungen werden dem Roboter etwa mit einem Datenhandschuh angezeigt und dann abgespeichert. Mit sieben Gelenken vermag der maschinelle Dirigentenarm sehr geschmeidig zu agieren. Rindt stellt klar, dass Künstliche Intelligenz bei diesen Prozessen keine Rolle spielt. Man wolle das Publikum überraschen und konfrontieren und wie schon bei früheren Projekten gesellschaftlich relevante Themen ansprechen und Fragen stellen.
„Wie gehen Künstler, wie gehen wir mit neuen Technologien um, die geeignet sind, unsere Gesellschaft grundlegend zu verändern? Wo könnten neben bekannten Risiken auch große Chancen liegen? Entsteht womöglich ein neuer, ganz eigener musikalischer Ausdruck als Ergebnis der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine? Wo bleiben Interpretation und Charisma?“ formuliert Rindt selbst ein paar dieser Fragen. Bei „Roboter.Sinfonie“ habe der Mensch die kreative Kontrolle und das letzte Wort. Aber die Grenzen würden fließender.
Exzellenzcluster befasst sich mit Kooperation zwischen Mensch und Roboter
„Die Kooperation zwischen Menschen und Robotern spornt unsere Forschung bei CeTI seit jeher an. Unsere Vision ist dabei eine aktive Zusammenarbeit, in welcher Roboter den Menschen unterstützen und menschliche Fähigkeiten auf Robotik übertragen werden“, betont CeTI-Sprecher Frank Fitzek. Spannend und relevant werde das bei Tätigkeiten, die ein einzelner Mensch nicht alleine schaffen könne, aber auch bei komplexen Arbeiten, bei denen ein hohes Maß an verlässlicher Präzision erforderlich sei, sagt der Professor.
Zur „Roboter.Sinfonie“ gehört auch ein Vermittlungsprojekt mit Dresdner Gymnasiasten. In Zusammenarbeit mit dem Exzellenzcluster entwickelt Choreograf Norbert Kegel mit den Jugendlichen eine Choreografie, in der sie mit dem Roboterhund Spot des Unternehmens Boston Dynamics interagieren. Ein Kurzfilm von der Entstehung der Choreografie ist in den beiden Jubiläumskonzerten am 12. und 13. Oktober zu sehen.
Rindt hatte das Orchester Ende der 1990er-Jahre zusammen mit dem Komponisten Sven Helbig gegründet. Es setzt sich aus Künstlern der Freien Szene und Musikern namhafter Orchester aus dem In- und Ausland zusammen. Gespielt wird ausschließlich zeitgenössische Musik. Oft ging es bei den Projekten auch um politische Themen. 2013 führten die Sinfoniker mit arabischen Kollegen im Westjordanland die „Symphony for Palestine“ auf, 2017 protestierten sie musikalisch an der Grenze zwischen Mexiko und den USA gegen die vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump geplante Mauer.
Aber auch mit anderen spektakulären Auftritten sorgten die Sinfoniker immer wieder für Schlagzeilen. Unter dem Titel „Himmel über Prohlis“ spielten sie 2020 auf Hochhäusern eines Dresdner Stadtviertels. Das Format wurde in Hamburg und einer griechischen Stadt wiederholt.
2021 ließen die Musiker bei dem Projekt „Elbkarawane“ ordentlich Dampf ab. Bei „Vapora Fortis“ – einem Stück für Schaufelraddampfer und Orchester spielten sie auf einem Frachtkahn auf der Elbe, Dampfpfeifen der Raddampfer gaben den Ton an.