Sie singen für Gott und ein wenig auch für die Welt. Die Dresdner Kapellknaben können auf eine mehr als 300 Jahre alte Geschichte zurückblicken. Demnächst steht ein Auftritt in einem Heiligtum an.
Dresden - Die Luft im Probensaal ist zum Schneiden, draußen zeigt das Thermometer mehr als 30 Grad an. Während andere Kinder und Jugendliche an diesem Tag ins Freibad gehen, stehen im Dresdner Kapellknabeninstitut 50 Jungen im Alter von 9 bis 18 Jahren und üben für das nächste Konzert: Beethovens Messe in C-Dur. Domkapellmeister Christian Bonath probt zunächst mit acht Knaben, später kommen die Älteren dazu. «Ich sehe Euch vieles nach, aber wenn wir uns konzentrieren, läuft es besser», motiviert er für das Probenfinale.
Bonath räumt ein, dass seine Kapellknaben ein wenig im Schatten der Kruzianer stehen. Der Kreuzchor ist eine Institution der Stadt mit Millionen-Zuschüssen, für die Kapellknaben ist das Bistum Dresden-Meißen zuständig und überweist jährlich einen sechsstelligen Betrag. Ihr Kernrepertoire ist geistliche Musik. Neben dem Hochamt in der Kathedrale geben sie seit dem Amtsantritt von Bonath vor zwei Jahren aber auch vermehrt Konzerte. «Als Chorleiter finde ich, dass die Jungs einen bestimmten Kanon an Werken gemacht haben sollten. Mit diesem Rucksack lässt es sich gut durch das Leben gehen.»
«Jeder Sänger ist ein Solist»
«Bei uns ist die solistische Ausbildung sehr wichtig. Jeder Sänger ist ein Solist, das ist mein Credo», betont der Chorleiter. Jeder müsse in kleinen Besetzungen führen können. «Wir haben viel mit Barockmusik zu tun, damals waren die Besetzungen kleiner. Ein Massenchor werden wir nie sein, sondern immer so zwischen 40 und 60 Leuten pendeln. Das ist für uns eine gute Stärke.»
Ihre Gründung im Jahr 1709 verdanken die Kapellknaben der politischen Raffinesse von Friedrich August I. (1670-1733), der im reformatorischen Kernland Sachsen als Kurfürst regierte. Der Mann mit dem Beinamen «der Starke» wurde 1697 konfessionell wankelmütig, weil er die polnische Königskrone begehrte. Dafür musste er die Konfession wechseln, was sich auch auf das musikalische Leben am Hof auswirkte. Die Hofkapelle - die heutige Staatskapelle Dresden - wurde in eine protestantische und katholische Gruppe geteilt. Für den im katholischen Ritus gefeierten Hofgottesdienst suchte man in Böhmen Knaben.
Heute stammen sie vorwiegend aus der Dresdner Region. Leander Gaßmann und Silas Geiert gehören etwa schon seit ein paar Jahren dazu. Silas räumt ein, dass Musik anfangs nicht ganz so sein Ding war. Seine Eltern hätten ihn aber überredet. «Ab der 2. Klasse war ich gern hier. Ich liebe die Musik. Ohne den Chor wäre ich ein anderer Typ», meint der 14-Jährige. Jetzt sei er am Überlegen, die Musik später zum Beruf zu machen. Auch der gleichaltrige Leander gibt zu, anfangs etwas misstrauisch gewesen zu sein. «Ich hatte vorher mit dieser Musik nichts am Hut.» Doch nun mache sie ihm Spaß, vor allem in den Konzerten. Durch den Chor sei er noch einen Schritt näher an den Glauben herangewachsen.
Chorleiter: «Die Buntheit hilft uns sehr»
Die Leitung der Kapellknaben geht bei der Suche nach Nachwuchs systematisch vor. Inzwischen wird an Dresdner Kindergärten und Grundschulen gezielt nach Talenten gefahndet. Nicht alle Kapellknaben stammen aus katholischen Familien. Während die Kruzianer ihre schulische Ausbildung im Kreuzgymnasium bekommen, bleibt das den Kapellknaben freigestellt. Viele von ihnen gehen zwar auf das katholische Benno-Gymnasium, doch alle Schulformen sind vertreten. «Die Buntheit hilft uns sehr», sagt Bonath.
Die Karriere eines Kapellknaben geht mit der Schulzeit zu Ende. Wenn sie die Oberschule oder das Gymnasium verlassen, scheiden sie aus dem Chor aus. Aufgenommen werden die Jungen in der Regel zu Beginn der 4. Klasse. Aktuell leben acht Knaben im hauseigenen Vollinternat, der Rest verbringt die Zeit außerhalb der Schule im Tagesinternat des Kapellknabeninstitutes. Hier wird auch gegessen oder Fußball gespielt. Hausaufgaben und die Chorproben runden das Leben im Tagesinternat ab. Da die Schule immer mehr Raum einnimmt, finden die Proben erst am späten Nachmittag statt.
Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ist stolz auf die Sangeskraft der Jungen. Als einziger katholischer Knabenchor in Ostdeutschland seien die Dresdner ein Solitär. «Das Verdienst der Kapellknaben um die Pflege des musikalischen Erbes lässt sie, gemeinsam mit dem Leipziger Thomanerchor und dem Dresdner Kreuzchor, zum immateriellen Kulturerbe zählen», schrieb er in seinem Grußwort für das Jahresprogramm der Kapellknaben. Die drei Chöre stehen seit 2014 im Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Deutschland.
«Was wir machen, machen wir gut.»
Bonath möchte seine Jungen nicht mit den Kruzianern vergleichen - nicht nur, weil der Kreuzchor etwa zweieinhalbmal so viele Sänger hat und das Repertoire bis auf Ausnahmen anders ist. «Es wäre töricht, sich mit einem Chor zu vergleichen, der ganz andere Möglichkeiten hat. Aber wir wissen, was wir können. Unser Chor hat einen großen Sprung gemacht. Was wir machen, machen wir gut.»
Dass der Chorleiter seit seinem Amtsantritt vermehrt auf Konzerte abseits der Gottesdienste setzt, hat einen Grund. «Wegen der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft merken wir, dass wir ein bestimmtes Publikum nicht mehr erreichen. Das ist extrem schade, denn der Chor ist sehr leistungsfähig», betont Bonath und sieht sich bestätigt. Die Kathedrale sei zu den Konzerten voll. «Das zeigt, dass es eine Nachfrage gibt. Wenn wir die Knaben nur in der Liturgie auftreten lassen, erreichen wir bestimmte Menschen nicht. Unser Auftrag ist aber, die Frohe Botschaft zu verkünden. Es wäre schlimm, wenn diese Botschaft nicht mehr ankommt.»
Auch bei den Kapellknaben stößt der Konzertbetrieb auf Resonanz. «Es ist ein Unterschied, ob man im Gottesdienst oder im Konzert singt. Mental und musikalisch», meint Silas Geiert. Ein Konzert sei komplexer, dort singe man mehr Werke. Leander Gaßmann findet es gut, auch mal anderswo als in der Kathedrale zu singen. Gemeinsam mit dem Kreuzchor sind die Kapellknaben auch schon im Stadion von Fußball-Drittligist Dynamo Dresden aufgetreten. Demnächst stehen ganz besondere Auftritte an. Dann geht es zum Papst nach Rom - inklusive Privataudienz, Auftritt in der deutschen Botschaft und im Vatikan.
Bald geht es zu einer Konzert- und Pilgerreise nach Rom
Schon vor einem Jahr habe es das leise Gerücht über die Reise nach Rom gegeben, erinnert sich Silas. «Da wuchs die Lust. Ich war mit dem Chor in fünf Jahren noch nie im Ausland. Ich freue mich, dass wir ein Level erreicht haben, mit dem wir auch wieder mal eine Reise machen können. Das ist schon etwas ganz Besonderes. Leander macht vor allem die Audienz beim Papst stolz. «Das ist ein Geschenk, dass man im Leben vielleicht nur einmal bekommt.» Auch wenn man für die Reise ordentlich ackern müsse, denn mit Händels «Messias» stehe ein großes Werk auf dem Programm.
Noch zu DDR-Zeiten, 1983, hatten die Kapellknaben schon einmal vor dem Papst gesungen. Damals lauschte Johannes Paul II. den glockenklaren Stimmen aus Dresden. Wenn sie jetzt wieder in die Ewige Stadt fahren, findet gerade die Weltsynode statt, zu der Hunderte Kardinäle und Bischöfe anreisen. Die Kapellknaben gestalten gemeinsam mit dem Chor der Sixtinischen Kapelle den Eröffnungsgottesdienst im Petersdom oder auf dem Petersplatz. «Das werden die Knaben ihr Leben lang nicht vergessen», ist sich Bonath sicher.
Wenn es nach ihm geht, soll jeder Kapellknabe mindestens zwei Dinge erlebt haben. «Er muss einmal in Rom gewesen sein und einmal im Heiligen Land. Ich hoffe, dass wir irgendwann in Jerusalem singen können. Wir predigen das ganze Jahr singend vom Leben Jesu. Da müsste man auch mal dahin, wo sich das alles abgespielt hat.» Laut Bonath ist der Chor aber schon lange nicht mehr «rein katholisch». Es gebe auch konfessionslose Sänger. Dennoch werde hier nicht nur die Liebe zur Musik gefunden, sondern auch zum Glauben.
Eine Sorge plagt den Chor aktuell. Das Bistum Dresden-Meißen muss sparen. «Auch unser Etat wird zusammenschrumpfen, wir werden aber weiterhin lebensfähig sein», ist sich Bonath sicher. Die Existenz der Kapellknaben stehe nicht auf dem Spiel. Allerdings werde man Prioritäten setzen müssen. Der Fokus soll dann auf dem Tagesinternat liegen. «Ich bin jedoch optimistisch, dass der Chor die Qualität halten kann», sagt der Chef.