Karlsruhe - Die Nazi-Zeit als Thema einer Oper, das ist mutig. Nach der Uraufführung der Oper "Wallenberg" 2001 in Dortmund folgt am Samstag am Badischen Staatstheater Karlsruhe ein neuer Versuch, das heikle Sujet auf die Bühne zu bringen. Der estnische Komponist Erkki-Sven Tüür schrieb die Musik zu einer Reihe kurzer Szenen, die das Leben von Raoul Wallenberg beleuchten. Der schwedische Diplomat rettete in Budapest während des Zweiten Weltkriegs Tausende von Juden vor der Ermordung.
"Es ist schwierig, an so ein Thema heranzugehen", sagt Regisseur Tobias Kratzer. Vielleicht ist das auch der Grund, warum "Wallenberg" seit der Uraufführung 2001 in Dortmund weltweit nur ein einziges weiteres Mal aufgeführt wurde, 2007 im estnischen Tallinn. "Diese Oper hat eine zweite Chance verdient", betont Kratzer.
Bei der Vorbereitung hat er die ebenso dramatische wie spannende Geschichte des Raoul Wallenberg entdeckt. "Ich kannte den Namen Wallenberg, mehr nicht. Die Figur Schindler hat durch den Film offenbar den Namen Wallenberg im öffentlichen Bewusstsein verdrängt", vermutet Kratzer.
Tiermasken sollen Charakter der Figuren unterstreichen
Eine exakte Aufarbeitung historischer Tatsachen kann die Kunstform Oper natürlich nicht bieten. "Diese Oper ist eine surreale Zuspitzung der Geschichte und des Phänomens Wallenberg", erklärt Kratzer seinen Ansatz. In seiner Inszenierung setzt er auf das alte Mittel der Fabel. Tiermasken sollen den Charakter der Figuren unterstreichen. Und so bevölkern Platzhirsche, Häschen und Schweine in Metzgerkleidung die Bühne.
Die europäische Diplomatie etwa kommt im Gewand von drei Hasen daher. Das solle das Versagen der Diplomatie zeigen, die auf Hitler verschreckt wie das sprichwörtliche Kaninchen reagiert habe, sagt der Regisseur. Nur Wallenberg selbst wird nicht mit Tierattributen gekennzeichnet. Sein Gegenspieler Adolf Eichmann tritt als giftgrüne Schlange auf.
"Bei diesem Kostüm habe ich das Gefühl, dass es meine Darstellung des Eichmann unterstützt", sagt der Bass Renatus Meszar. Er hat die Rolle des Judenverfolgers übernommen. "Es ist dem Komponisten gut gelungen, die verschiedenen Aspekte der Persönlichkeit Eichmanns, diesen unberechenbaren Wechsel von Charme zu Jähzorn, in kurzen prägnanten Szenen einzufangen", sagt der Sänger.
Das Sowjetsystem vernichtete Wallenberg
Erkki-Sven Tüür beleuchtet die Geschichte aus dem estnischen Blickwinkel. So zeigt die Oper nicht nur, wie Wallenberg trotz der Bedrohung durch Eichmann durch das Ausstellen schwedischer Schutzpässe viele Juden rettete. Im zweiten Teil zeigt sie, wie das stalinistische Sowjetsystem den angeblichen Spion Wallenberg verfolgte und schließlich vernichtete.
"Wallenbergs Persönlichkeit beginnt sich zu spalten in den echten Menschen und in Wallenberg zwei, den Helden, den die Welt in ihm sehen will", sagt der Regisseur. US-Präsident Ronald Reagan ernannte Wallenberg 1981 zum Ehrenstaatsbürger der USA. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Spur des Diplomaten längst in der Sowjetunion verloren. "Das Stück zeigt, dass jeder gern den Mythos Wallenberg für sich benutzt hat, aber niemand am Menschen Wallenberg interessiert war", betont Meszar.
"Wallenberg" birgt vielleicht keinen Sprengstoff, aber auf jeden Fall Gesprächsstoff. Das Staatstheater Karlsruhe bereitet sich mit einem eigens im Foyer eingerichteten Wallenberg-Forum und einer Reihe von Experten auf den Diskussionsbedarf des Publikums vor.
- Premiere: 7. Juli, 19:30 Uhr im Großen Haus;
- Spieldauer: zwei Stunden;
- weitere Vorstellungen: 11., 13. und 18. Juli, jeweils 20:00 Uhr