Nakhon Pathom - Mit einem Konzert in Thailand haben die Berliner Philharmoniker am Freitag eine zweiwöchige Asien-Tournee begonnen. Beim Auftritt in Nakhon Pathom - etwa 50 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Bangkok - gab es für das Orchester unter Leitung des venezolanischen Dirigenten Gustavo Dudamel am Freitag begeisterten Applaus.
Manchmal müsse er sich schon noch kneifen, sagt Gustavo Dudamel im Intendantinnenzimmer der Berliner Philharmoniker. Vor zehn Jahren sei er hier zum ersten Mal mit dem Orchester aufgetreten. «Ein Traum wurde wahr», erinnert sich der Dirigent. Und noch könne er es nicht ganz fassen. Jetzt ist er 38 und gehört zu den Spitzenmusikern der Klassik. Er ist viel unterwegs, die Orchester stehen bei ihm Schlange. Aber Dudamel wirkt manchmal noch wie der frisch gebackene Absolvent einer Musikhochschule.
Begeistert erzählt er im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur vom letzten Konzert mit den Philharmonikern. In Berlin hat er Leonard Bernsteins Divertimento dirigiert, ein Meisterwerk des «West Side Story»-Komponisten. Dann ist er in Gustav Mahlers 5. Sinfonie eingetaucht. In einer zweiten Konzertserie glänzt er dann mit der Fünften von Dmitri Schostakowitsch und wieder Bernstein. Souverän führt er das Orchester über die musikalischen Abgründe.
Die Konzerte waren ausverkauft. Dudamel, der früher mit seinen ausladenden Bewegungen auf dem Podium nach den Sternen zu greifen schien, wird von den Philharmonikern als «Energiebündel» gefeiert. Auf dem Podium wirkt er sparsamer und konzentrierter. Er sei erwachsen geworden, heißt es in einer Kritik nach der zweiten Konzertserie.
Jetzt reist Dudamel mit den Berlinern und dem Berliner Programm durch Asien - als Gastdirigent. Am Freitagabend ist er in Bangkok stürmisch gefeiert worden. Beim Auftritt in Nakhon Pathom - etwa 50 Kilometer entfernt von Thailands Hauptstadt - gab es begeisterten Applaus. Auf dem Reiseplan stehen noch bis zum 23. November Taiwan und China.
Es ist eine etwas ungewöhnliche Tour. Traditionell unternimmt das Orchester solche Reisen mit seinem Chef. Aber der Neue, Kirill Petrenko, wechselt erst in der nächsten Spielzeit von München nach Berlin. Nach dem Abschied von Simon Rattle spielen die Philharmoniker in dieser Saison ohne Chef.
Der Venezolaner ist ein Dauergast in Berlin. «Das Orchester hat mir viel Verantwortung übertragen.» Doch anders als der Chefdirigent müsse er sich als Gast an Tradition und Orchesterklang anpassen. «Das ist wie beim Tanzen: Man lernt ein wenig und gibt auch etwas weiter. Du passt dich eben an die Bewegung deines Partners an.»
Dudamel, sagt Philharmoniker-Intendantin Andrea Zietzschmann, gehöre zur Riege junger Dirigenten, mit denen das Orchester eng zusammenarbeite. Und mit seinem Charisma sei er die Idealbesetzung für eine Asien-Tour. Außerdem beherrscht er das Kernrepertoire, die zentralen Orchesterwerke, die zum Markenzeichen des Orchesters gehören.
Seit zehn Jahren ist Dudamel Chefdirigent der Los Angeles Philharmonic. Auf ihn geht die Gründung des Jugendorchesters YOLA zurück, das sich mit musikalischen Bildungsangeboten vor allem an die große lateinamerikanische Gemeinde der US-Metropole richtet.
Dank seiner Ausstrahlung soll Dudamel für die Klassik vor allem junges Publikum ansprechen - auch wenn bereits ein paar graue Haare durch seinen Lockenkopf schimmern, wie er selber anmerkt. Der Maestro trat in der «Sesamstraße» auf und war Vorbild für die US-Serie «Mozart in the Jungle». 2016 dirigierte er in der Pause des Superbowl und trat mit Beyoncé und Musikern der Band Cold Play auf - mehr Superstar-Status geht in den USA für einen Künstler kaum.
Für den Spross einer Musikerfamilie aus Barquisimeto im Norden von Venezuela - Mutter Gesangslehrerin, Vater Posaunist einer Salsa-Band - war der Weg auf das Podium wohl vorgezeichnet. «Ich habe mich selber nie unter Druck gesetzt.» Er fing mit Geige an («Zum Lernen mussten wir uns ein Instrument mit 20 anderen Kindern teilen»), irgendwann stellte er sich vor das Orchester und ergriff den Taktstock. «Das war für mich das Normalste der Welt», berichtet er auf Spanisch.
Geprägt wurde Dudamel von dem inzwischen weltberühmten «Sistema». Das Netz von Jugendorchestern und Musikschulen, das der Pädagoge José Antonio Abreu 1975 gründete, gilt weltweit als Vorbild. In Hunderten, über das Land verteilte «nucleos» haben Hunderttausende Kinder und Jugendliche ein Instrument erlernt und im Orchester gespielt. Das daraus entstandene «Simón Bolivar Jugendorchester» wurde wichtigster Kulturbotschafter des Landes.
Mit dem wirtschaftlichen und politischen Absturz Venezuelas hat sich die Lage dramatisch für «El Sistema» verschlechtert. Mit dem Tod von Gründer Abreu im März ging die wichtigste Stütze verloren. Der weltberühmte Dudamel hat sich lange geweigert, öffentlich seine Stimme zur Misere des Landes zu erheben, in die Präsident Hugo Chávez (1954-2013) und sein Nachfolger Nicolás Maduro Venezuela stürzte. Das hat Dudamel wieder heftige Kritik im In- und Ausland eingetragen.
««El Sistema» lebt weiter - trotz der sehr komplexen Lage, die wir gerade in Venezuela erleben», sagt Dudamel ohne direkt die Regierung zu erwähnen. Viele junge Talente hätten zwar das Land verlassen, er verliere aber nicht die Hoffnung. «Solange auch nur ein Kind unterrichtet wird, lebt «El Sistema»».
Dudamel widerspricht energisch Vorwürfen, dass er sich nicht einmische. Über Skype dirigiert er Proben, er sei auch immer wieder zu Besuch dort. «Die Leute kennen nur einen Bruchteil meiner Aktivitäten.» In der angespannten Lage sehe er seine Rolle aber vor allem als Stifter der Einheit. Ob das überhaupt unter dem autokratisch regierenden Maduro möglich sei? Dudamel hält sich bei der Antwort zurück. «Ich glaube, das Volk ist weise und wird seine Zukunft selber entscheiden.»