Mozart sagte über ihn: «Er ist der Vater, wir die Bub'n. Wer von uns was Rechtes kann, hat von ihm gelernt.» Die Rede ist von Carl Philipp Emanuel Bach, dessen maßstabsetzende Abhandlung «Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen» innerhalb kürzester Zeit europaweit zum Standardwerk avancierte. Gleich sechs Städte erinnern in diesem Jahr an den 300. Geburtstag des großen Bach-Sohnes. Nicht nur in der Hansestadt ist er als «Hamburger Bach» bekannt.
Hamburg - Auch wenn sein Vater Johann Sebastian heute bekannter ist, genoss Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) bei seinen Zeitgenossen ein weitaus höheres Ansehen. Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven galt er als wegweisendes Vorbild und Wolfgang Amadeus Mozart sagte über ihn: «Er ist der Vater, wir die Bub'n. Wer von uns was Rechtes kann, hat von ihm gelernt.» Seine maßstabsetzende Abhandlung «Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen» avancierte innerhalb kürzester Zeit europaweit zum Standardwerk. Am 8. März jährt sich der Geburtstag des Komponisten zum 300. Mal.
Ein in der Hamburger Tagespresse erschienener Nachruf nannte C.P.E. Bach «eine der größten Zierden der Tonkunst», dessen Kompositionen als Schöpfungen eines Originalgenies «immer neu, unerschöpflich, groß und kraftvoll» bleiben werden. «Die Nachwelt ist lange Zeit nicht bereit gewesen, dem Komponisten diesen Rang zuzuerkennen», sagt der Direktor des Bach-Archivs Leipzig, Peter Wollny. Die 1999 begonnene Gesamtausgabe mache nun erstmals das facettenreiche Schaffen des Komponisten in vollem Umfang zugänglich und biete so die Möglichkeit, dessen musikgeschichtliche Bedeutung zu bestimmen.
Am 8. März 1714 wird Carl Philipp Emanuel Bach in Weimar geboren und verbringt hier seine frühe Kindheit, ehe der Vater Johann Sebastian 1717 an den Köthener Hof wechselt. Mit der Berufung des Vaters zum Thomaskantor zieht die Familie 1723 nach Leipzig. Seine musikalische Ausbildung erhält er bei seinem Vater, von 1731 bis 1738 absolviert er in Leipzig und Frankfurt (Oder) ein Studium der Rechte. Danach wirkt C.P.E. Bach fast 30 Jahre lang als Kammercembalist am Hof Friedrich des Großen in Berlin und Potsdam. Während dieser Zeit komponiert er einige seiner bahnbrechenden Werke, in deren Zentrum das Klavier steht.
Carl Philipp Emanuel Bach avanciert zum zentralen Vertreter des neuen, vom Geist der Aufklärung geprägten Stils der musikalischen Empfindsamkeit, der zugleich für die Komponisten der Wiener Klassik richtungsweisend wurde. 1768 wird er Nachfolger von Georg Philipp Telemann im Amt des Musikdirektors der fünf Hauptkirchen in Hamburg, weshalb er auch als «Hamburger Bach» bezeichnet wird. Bis zu seinem Tod am 14. Dezember 1788 wendet er sich verstärkt der Kirchenmusik zu. Seine sterblichen Überreste sind in der Krypta der Hamburger St. Michaelis-Kirche bestattet und der Öffentlichkeit zugänglich.
Mit mehr als 200 Veranstaltungen in Hamburg, Potsdam, Berlin, Frankfurt (Oder), Leipzig und Weimar sowie in ganz Deutschland wird das Jubiläumsjahr begangen. Einen Höhepunkt in Hamburg bietet das große Jubiläumskonzert im Michel am 8. März. In der Staats- und Universitätsbibliothek ist bis zum 27. April die Sonderausstellung «Carl Philipp Emanuel Bach in Hamburg» zu sehen. Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt bis zum 30. Dezember Musikinstrumente aus der Epoche des Spätbarocks und der Empfindsamkeit. Noch Zukunftsmusik ist das Hamburger Komponistenquartier: In der historischen Peterstraße soll noch 2014 ein Museum an den «Hamburger Bach» erinnern.
Carola Große-Wilde
Lesen Sie ergänzend dazu ein Interview der Presseagentur dpa mit dem Autor Klaus-Rüdiger Mai, der gerade mit «Die Bachs» eine groß angelegte Familienbiografie vorgelegt hat.
Frage: Herr Mai, stimmt es, dass Carl Philipp Emanuel bei seinen Zeitgenossen ein höheres Ansehen genoss als sein Vater?
Antwort: Johann Sebastian fiel recht schnell der Vergessenheit anheim. Erst mit der Aufführung der Matthäuspassion am 11. März 1829 setzte die Wiederentdeckung Johann Sebastian Bachs ein. Aber von 1750 bis zu seinem Tod galt sein zweitältester Sohn Carl Philipp Emanuel als der große Bach. Bis 1767 wirkte er am Hof Friedrich des Großen in Potsdam und wohnte in Berlin, und wer als Musiker, als Schriftsteller, als Philosoph oder als Künstler auf dem Weg von Dresden nach Hamburg oder von Paris nach Sankt Petersburg reiste, machte im gastlichen Haus von Carl Philipp Emanuel Station. Als er dann 1767 als Musikdirektor nach Hamburg ging, pilgerte man dann eben nach Hamburg.
Frage: Wie kam es dazu?
Antwort: Carl Philipp Emanuel war ohne Zweifel ein bedeutender Komponist, aber auch ein Selbstvermarktungsgenie. Zeitlich befinden wir uns in einem Epochenumbruch: zunehmend erlangt das aufgeklärte Bürgertum an gesellschaftlicher Bedeutung. Der Schwerpunkt der Musik verlagert sich von den Kirchen, den Gottesdiensten und den Hofkapellen der Fürsten zu öffentlichen Konzerten und vor allem zum Musizieren im privaten Bereich und in den Salons. Die Musik wird nicht mehr zur Ehre Gottes, sondern zur Freude und zur Feier des Menschen komponiert. Carl Philipp Emanuel war der rechte Mann zur rechten Zeit. Als die Zeit der Empfindsamkeit zwischen Barock und Wiener Klassik endet, wird auch sein Ruhm von den neuen Komponisten überschattet, die doch soviel von ihm gelernt haben.
Frage: Für welche Komponisten war er ein Vorbild?
Antwort: Unzweifelhaft haben Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und Felix Mendelssohn Bartholdy ihm viel zu verdanken. Steht Mozart allerdings in höherer Schuld bei Carl Philipp Emanuels Halbbruder Johann Christian, dem Londoner Bach, so Joseph Haydn in der von Carl Philipp Emanuel. Salopp formuliert, wenn Johann Christian Bach der Erfinder von Mozart ist, so ist Carl Philipp Emanuel der Erfinder von Haydn. Die Wiener Klassik, die Romantik haben den Bachs so unendlich viel zu verdanken. Um ein hübsches Bonmot zu paraphrasieren: Manchmal sieht man eben nur die Zwerge, die auf den Schultern von Riesen stehen. Geschichte ist eine durch und durch ungerechte Veranstaltung.
Frage: Was ist das Besondere an seinem Werk und worin unterscheidet er sich von seinem Vater?
Antwort: Während Johann Sebastian zur höheren Ehre Gottes komponierte und sein Oeuvre von geistlicher Musik bestimmt ist, beginnt Carl Philipp Emanuel erst sehr spät und das auch nur beruflich bedingt, geistliche Werke zu komponieren, und zwar als er ab 1767 zuständig für die Musik in den fünf Hamburger Hauptkirchen wird. Er komponierte für die Salons, für ein bürgerliches Publikum, nicht für Fürsten, und nur in Hamburg für die Kirchengemeinde. Nicht die Orgel, sondern das Cembalo und das Hammerklavier standen im Mittelpunkt, und es lässt tief blicken, wenn er bekannte, dass er das Pedalspiel, das sein Vater so meisterhaft beherrscht hat, nicht mehr vermag.
Frage: Seine musikalische Ausbildung erhielt Carl Philipp Emanuel bei seinem Vater. Weiß man, was für ein Verhältnis die beiden hatten?
Antwort: Johann Sebastian vermittelte seinen Söhnen das Handwerk, er war ein guter, ein moderner und ein strenger Lehrmeister, aber was mindestens genauso wichtig ist, er warnte seine Söhne davor, ihm sklavisch zu folgen. Kunst ist Eigenständigkeit, und so bestand er darauf, dass sie eigenständig werden, dass sie ihre eigene Musik machen - und das klappte, alle vier Bach-Söhne wurden eigenständige Charaktere. Soviel Carl Philipp Emanuel auch von seinem Vater gelernt hatte, spürte er, dass er seinen eigenen Weg finden musste, deshalb verließ er Leipzig und ging nach Preußen. Er verließ sich nicht auf die Protektion seines Vaters, sondern suchte bewusst seinen eigenen Weg, den er mit Bravour fand - darin war er seinem Vater sehr ähnlich.
Frage: In Ihrem Buch sprechen Sie von 30 Bachs, die das Musikgeschehen Deutschlands und Europas maßgeblich prägten. Welche Rolle spielte Carl Philipp Emanuel in der Bach-Dynastie?
Antwort: Noch in einem anderen Punkt war er seinem Vater sehr ähnlich. Er empfand einen großen Stolz auf seine Familie und versuchte die Familientradition zu wahren und fortzusetzen. Er verfasste einen biografischen Nachruf auf seinen Vater, stand Biografen mit Auskünften zur Verfügung, führte die von seinem Vater begonnene Familiengenealogie weiter und sammelte die Kompositionen seiner Familie. Insofern war es geradezu ein Schicksalsschlag, dass er das Erbe der Bachs nicht an seine Kinder weitergeben konnte. Sein ältester Sohn Johann August wurde Jurist und starb kurz nach ihm. Der musisch begabte Sohn Johann Sebastian schlug das musikalische Erbe aus und kämpfte darum, Maler zu werden. Als der Vater es ihm endlich gestattete, starb der Sohn unter grauenvollen Umständen in Rom. Carl Philipp Emanuel sollte diesen Verlust nie überwinden.