Stuttgart (ddp-bwb). Ein spektakulärer Zug wird sich in diesem Sommer auf dem Weg nach Stuttgart durch Europas Schienenverkehr schlängeln: Der etwa 180 Meter lange «Orient-Express» hat einen Bühnenwaggon, der sich durch ausklappbare Wände flugs zur Bühne umbauen lässt. Theater-Ensembles aus acht Ländern reisen mit dem Zug mehr als zwei Monate lang von Ankara bis Stuttgart.
Auf der Tour durch Europa spielen sie alle zwei Wochen in einer anderen Stadt auf Bahnhöfen und an Open-Air-Spielorten. Gemeinsam feiern alle Ensembles im Juli die Ankunft des «Orient-Express» mit einem zehntägigen internationalen Theaterfestival in Baden-Württembergs Hauptstadt.
Dort hat der Projektleiter des außergewöhnlichen Vorhabens, der Dramaturg Christian Holtzhauer, derzeit alle Hände voll zu tun. Er koordiniert die Kooperation mit den Nationaltheatern der Türkei, Rumäniens, Serbiens und Sloweniens, dem kroatischen Zagreb Youth Theater sowie Bühnen in Italien und der Schweiz. Die Zusammenarbeit sei «spannend», aber bisweilen kompliziert, berichtet Holtzhauer. «Theater ist immer eine sehr lokale Angelegenheit." In anderen Ländern gebe es «ganz andere Erwartungen an das Theater», wie den Anspruch, dass das Schauspiel die eigene Identität manifestieren solle. So sei für die Kollegen in der Türkei wichtig, «türkische Kultur zu propagieren, das Sprachverständnis zu fördern» und «das Europäische in der Türkei herauszustellen».
Jedes beteiligte Haus hat ein Stück für den «Orient-Express» in Auftrag gegeben. Themen sind das für viele Menschen noch immer nicht grenzenlose Reisen, die nationale Identität, Migration, Europa und die Osterweiterung sowie der eigene Platz in diesen Transformationsprozessen. Im deutschen Stück, für das am Schauspiel Stuttgart am Montag die Proben begonnen haben, geht es vor allem um Patent- und Markenrechte. Hauptfigur sei ein Teddybär, der in Rumänien gefertigt wird und «eine Odyssee durch Europa antritt», verrät Holtzhauer. An der Grenze zu Deutschland wird das Plüschtier abgewiesen, da es sich um ein Plagiat handelt. Dem Teddy droht die Vernichtung, doch eine «gute Fee» rettet ihn und bringt ihn in die Türkei, wo seine Rückreise nach Deutschland beginnt.
«Es wird sehr lustig», verspricht Holtzhauer. Die Darbietungen auf der rollenden Bühne sind für ihn auch ein «Versuch, die angestammten Spielorte zu verlassen» und «nochmal anders auf das Publikum zugehen». Ein Filmteam soll die Reise dokumentieren. Je zwei Ensembles reisen im «Orient-Express» einen Teil der Strecke zusammen, bevor eines den Zug verlässt und die nächste Theatergruppe an Bord geht. Die Kulturstiftung des Bundes übernimmt rund 40 Prozent der Kosten des Abschluss-Festivals in Stuttgart.
Derzeit kämpft Holtzhauer noch mit den organisatorischen Widrigkeiten des aufwendigen Vorhabens. Hauptproblem sei es, die Fahrt «in den internationalen Fahrplan einzufädeln», berichtet er. Die Bahn, vor allem in den osteuropäischen Ländern, ist dem Projektleiter zufolge sehr um ein Gelingen bemüht. «Am schwierigsten sind die Kollegen von der Deutschen Bahn». Dort sehe er noch kein großes Entgegenkommen. Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist nicht als Veranstaltungsort für das internationale Theaterfestival zugelassen. Nun wollen die Theaterleute auf den Hafen ausweichen.
Eine Bahn-Sprecherin in Stuttgart bezeichnet den «Orient-Express» zwar als «schönes Projekt», verweist aber darauf, dass der Hauptbahnhof «in erster Linie Bahnhof» sei. «Die Züge müssen pünktlich fahren», betont sie. Gleise stundenlang für Theatervorstellungen zu sperren, sei in dem ausgelasteten Bahnhof unmöglich. Und die Berücksichtigung des «Orient-Express» im Fahrplan könne die Bahn erst prüfen, wenn der Zielort des Zuges feststehe.
Bis Mai muss der Fahrplan für den «Orient-Express» stehen. Dann feiert das deutsche Stück in Ankara Premiere und der «Zug voll mit Theaterleuten» nimmt seine Fahrt auf. Holtzhauer hofft auf gute Stimmung: «Hoffentlich kriegen die keinen Zugkoller.»