Weimar - Gebannt schauen die 45 Teilnehmer des Lieder-Workshops auf Tcha Limberger. Sie achten auf die Bewegungen seiner Lippen, seinen Rhythmus, seine Ausstrahlung. Ab und an stampft der Musikdozent barfüßig den Takt mit. Limberger singt eine Passage eines alten jüdischen Liedes und zeigt seinen Schülern, wie sehr sie sich mit unterschiedlicher Intonation und Verzierung verändern kann. Der Belgier ist einer von zahlreichen international bekannten Musikern, die noch bis Freitag (7. August) beim Yiddish-Summer-Festival in Weimar jüdische Musik und Kultur vermitteln.
Das Festival findet bereits zum zehnten Mal statt und wird «immer größer», wie Programmdirektor Alan Bern erzählt. Mehr als 250 Teilnehmer seien aus allen Teilen der Welt gekommen, um von den besten Künstlern der jüdischen Musik unterrichtet zu werden. Das Festival sei in dieser Form einzigartig. «Über sechs Wochen verteilt, gibt es jüdische Tanz-, Lied- und Instrumental-Workshops, bei denen sich die Teilnehmer in kleinen Gruppen speziellen Themen zuwenden», sagt Bern. «Das Ziel des Projektes ist die Begegnung mit sich selbst über die Begegnung mit anderen.» Damit meine er die tiefe innere Auseinandersetzung mit jüdischer Musik, die sich im Kreise anderer weiter entwickle, erläutert der gebürtige US-Amerikaner.
Die Dozenten sucht Alan Bern in allen Teilen der Welt. So treffen in Weimar russische, ost- und westeuropäische, amerikanische und kanadische Musiker aufeinander, die durch die melancholischen Klänge des Klezmers miteinander vereint werden.
Die Musik jüdischer Volksmusikanten ist im 15. und 16. Jahrhundert in Osteuropa entstanden und wird vor allem auf privaten Festen und Tanzveranstaltungen sowie an religiösen Feiertagen gespielt. Mit Akkordeon und Geige, Trompete und Posaune verleihen die Musiker des Klezmers dem Weltschmerz traurigen Ausdruck. Auf diese Weise entstehen mitreißende und gefühlvolle Melodien, die das Publikum in eine andere Welt mitzunehmen scheinen. «Durch die Melodien öffnet sich das Herz der Musiker, sie nehmen einander viel intensiver wahr und entwickeln eine einzigartige musikalische Kommunikation", sagt Bern.
Auch Michiel Ockeloen empfindet das aufkommende Gemeinschaftsgefühl zwischen Menschen verschiedener Nationalitäten als inspirierend. Der Akkordeonspieler aus Holland hat sich einen Monat Auszeit für das Festival in Weimar genommen. «Die Workshops, die abendlichen Jam Sessions und das Lernen bei den großen Virtuosen sind eine tiefgehende Erfahrung für mich», sagt der Musiker. Das Festival sei für ihn eine Inspirationsquelle, aus der neue Ideen hervorgingen. Diese könne er im folgenden halben Jahr in seiner eigenen Band umsetzen und selbstständig weiterstudieren.
Auch die Dozenten entwickeln sich auf dem Yiddish-Summer-Festival weiter, so auch Tcha Limberger, der nicht nur Lied-, sondern auch Instrumentalworkshops in Weimar leitet. «Die Lehrer bringen unterschiedliche Stile, Impulse und Ideen mit», sagt Limberger. Davon könne jeder nur profitieren. Die Schüler seien einzigartig, jeder sei wissbegierig und wolle die Musik besser verstehen und interpretieren lernen.
Ein wichtiger Schritt zu einem besseren Verständnis der Musik seien vor allem die Jam Sessions, die während des Festivals abends in Weimarer Cafés und Bars stattfinden. Dabei setzen die Workshop-Teilnehmer die Lektionen des Tages frei um. «Schüler und Lehrer gehen miteinander eine Verbindung ein und spielen einfach drauf los», schwärmt Limberger. Ein «natural flow» sei das, der die Menschen zueinander bringt. Und so entstünden nicht nur regelmäßig neue Freundschaftsbeziehungen und Bandgründungen zwischen den Teilnehmern - sondern sogar Ehen.