Görlitz - In einer bitterkalten Kriegsnacht am 15. Januar 1941 führte der französische Komponist Olivier Messiaen sein Quartett «Auf das Ende der Welt» erstmals im Kriegsgefangenenlager in Görlitz auf. In Erinnerung an diese Zeit entstand ein mehrtägiges Festival. Die neue Auflage beginnt am 11. Januar.
Musik überwindet Stacheldraht, Hunger und Kälte. Dies bewies der Franzose Olivier Messiaen mit seiner Komposition «Quatuor pour la fin du temps». Das Quartett «Auf das Ende der Welt» schuf er während seiner Gefangenschaft im Kriegsgefangenenlager Stalag VIII A in Görlitz. Mit drei Mitgefangenen führte der Komponist sein Werk erstmals in einer bitterkalten Nacht am 15. Januar 1941 in der Theaterbaracke dort auf. Bis 1945 etwa waren im Lager 120 000 Gefangene inhaftiert, mindestens 12 000 starben. In Erinnerung an sie und die Uraufführung lädt der Verein «Meetingpoint Music Messiaen» ab 11. Januar zu einem Festival ein
Wie die Organisatoren mitteilten, beschäftigt sich das junge Festival auf künstlerischer Ebene mit einem besonderen Moment der Geschichte dieser Region und widmet sich 2019 dem Themenkreis «Wurzeln». Neben zeitgenössischen Konzerten gibt es Vorträge und Führungen zum Stalag VIII A und Görlitz unterm Hakenkreuz, Musikworkshops für Jugendliche, Diskussionsangebote sowie eine Ausstellung mit Werken des Schauspielers, Malers und Musikers Armin Müller-Stahl in der Galerie Brüderstraße Görlitz. Der Künstler wird auch zur Eröffnung am 14. Januar erwartet. Abends folgt eine Podiumsdiskussion zum Thema Grenzidentitäten «Eine Heimat in zwei Ländern» im Schlesischen Museum.
Für Agata Grabczewski vom Verein «Meetingpoint Music Messiaen» bietet das Festival für jeden die Möglichkeit, sich mit seiner Herkunft und Geschichte über die Musik und Kunst zu beschäftigen. Zudem geht das Festival zu seinen musikalischen «Wurzeln» zurück. Am 15. Januar wird erneut das «Quartett auf das Ende der Zeit» in der ehemaligen Stalag-Theaterbaracke zu hören sein. «Zudem erwartet die Festivalgäste die polnische Erstaufführung des führenden zeitgenössischen Komponisten und Messiaens Schüler, Tristan Murail, der sich mit dem Stalag VIII auseinandersetzte», sagt Grabczewski.
Der Verein «Meetingpoint Music Messiaen» erinnert bereits seit 2008 jährlich am 15. Januar an das besondere Ereignis. 2017 organisierten dessen Mitglieder zum ersten Mal das mehrtägiges Festival. Die Idee dahinter sei es, Menschen auf beiden Seiten der Neiße, sowie aus Europa und der Welt an diesem einzigartigen Ort der (Musik-)Geschichte zusammenzubringen. Auf Initiative des Görlitzer Vereins entstand 2015 auf dem Gelände des ehemaligen Lagers ein Europäisches Bildungs- und Kulturzentrum.
In Görlitz-Moys am südöstlichen Rand der Stadt wurde 1939 ein Kriegsgefangenenlager errichtet. Der 1908 in Avignon geborene Komponist kam im Juni 1940 nach seiner Gefangennahme als Soldat dorthin. Bereits auf dem Weg an die Neiße lernte er den Obergefreiten Etienne Pasquier, einen Solo-Cellisten, sowie den Klarinettisten Henri Akoka kennen, mit denen er später sein Quartett aufführte. Schon wenige Wochen danach konnte der Franzose das Lager wieder verlassen - mit der Kollaboration des französischen Vichy-Regimes mit den Nationalsozialisten. Heute gilt Messiaen als einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Bis zu seinem Tod 1992 schrieb er über 38 Vokal-, Orchester-, Bühnen-, Klavier- und Orgelwerke.