Mainz -Der türkische Komponist zitiert Louis Armstrong: Es gebe nur gute und schlechte Musik. Drei Tage lang zieht Fazil Say das Publikum des Staatstheaters Mainz in seinen Bann, mal als Pianist, mal mit eigenen Werken.
Bevor Fazil Say im Staatstheater Mainz auftritt, besucht der türkische Komponist eine Grundschule und tauscht sich mit Kindern aus den dritten Klassen aus. In einem Workshop findet er schnell eine gemeinsame Wellenlänge. «Alles, was ich hier mache, ist kindlich», sagt der Künstler zum Abschluss eines dreitägigen Komponistenporträts am Staatstheater Mainz. «Ich komponiere, seit ich Klavier spiele, seit ich fünf Jahre alt bin.»
Das macht er mit viel Elan und großen Gefühlen. Seine Istanbul-Sinfonie, aufgeführt vom Philharmonischen Staatsorchester unter Leitung von Hermann Bäumer, lässt einen dramatischen Film in den Köpfen der Zuhörer abspielen. Diese sind bei Fazil Say auch immer Zuschauer. Allein das Spiel auf der Kanun, einer orientalischen Kastenzither, ist ein Schauspiel für sich.
Die sieben Sätze der 2010 entstandenen Sinfonie tragen entsprechende Titel wie «Orientalische Nacht». Am Anfang und am Ende des fulminanten Werks erklingt Meeresrauschen. Und im vierten Satz namens «Hübsch gekleidete junge Mädchen auf dem Schiff zu den Prinzeninseln» imitiert die Tuba im Orchester das Schiffshorn.
«Ich komponiere nicht Programmmusik direkt», sagt der Künstler. Er lasse sich aber beim Komponieren von bestimmten Themen inspirieren. Gleichwohl zieht Chefdirigent Bäumer einen Vergleich zwischen der Istanbul-Sinfonie und der 1928 entstandenen Tondichtung «Ein Amerikaner in Paris» von George Gershwin (1898-1937), die als Paradebeispiel der Programmmusik gilt.
«Es sind total neue Klänge, es ist eine unglaublich tolle Verbindung von orientalischer Kultur mit der westeuropäischen Musik», schwärmt Bäumer. «Es ist eine Musik, die vom Gefühl her kommt, eine Musik, die Romantik zulässt.»
Auf diese Weise spielt auch der Pianist Fazil Say. Bei den ersten Takten des dritten Klavierkonzerts von Beethoven wendet er sich weit zum Publikum hin, horcht in die Reihen hinein. Dann schaut er nach oben und nimmt auf dem Steinway-Flügel die Melodie vom Orchester auf. Immer wieder formt er den Rhythmus mit den Lippen nach oder hält den Klang mit der linken Hand in der Schwebe. Und bei Mozarts Klaviersonate in A-Dur wiegt er sich erst in den Harmonien, ehe er im 3. Satz mit der Bezeichnung «Alla turca» die Arpeggien mit extrem hartem Anschlag in die Tasten donnert.
Er respektiere die Musik der Avantgarde, experimentelle Musik, sagt Say. Aber der damit in der Nachkriegszeit verbundene Gestus des Protestes bedeute ihm wenig. «Das ist ein Planet, der hat fünf Kontinente, 200 Länder, 3000 Kulturen und 30 000 Musikkulturen - die müssen wir alle akzeptieren.»
Dass Fazil Say auch moderner klingen kann, zeigt er mit seinem Bläserquintett «Alevi Dedeler raki masasinda» (2011). Dieses in Berlin entstandene Werk verdankt sein besonderes Hörerlebnis dem fließenden Mit- und Gegeneinander der einzelnen Instrumente ebenso wie den gegeneinander verschobenen Rhythmen. Los geht es im Acht-Achtel-Takt, dann folgen elf Achtel, sieben Achtel und weitere Sprünge.
«Auf Deutsch spricht man von irregulären Takten - aber für uns ist das nicht irregulär», lacht Fazil Say. Wer da als Musiker zu zählen anfange, habe schon verloren. «Man muss das verinnerlicht haben.»
Diese Unterscheidung zwischen alt und neu, tonal und atonal, sei nicht mehr sinnvoll, sagt Say. «Wie Louis Armstrong sagt - es gibt gute Musik und schlechte Musik und basta.» Die Freundinnen und Freunde von Fazil Say können sich da auf neue Kompositionen freuen. Im Gespräch mit Sabine Fallenstein vom SWR2 bejaht er die Frage, ob er wegen ausgefallener Auftritte in der Pandemie mehr Zeit gehabt habe. Auf ihre Zusatzfrage, ob es dann bald neue Kompositionen von ihm geben werde, antwortet er: «Viele!»